Arbeiter läuft an Rohren einer Erdgasverdichtungsstation in Bayern entlang

Mögliche Russland-Sanktion Was ein Gasembargo zur Folge hätte

Stand: 03.03.2022 11:00 Uhr

Kann Deutschland kurzfristig auf Öl- und Gaslieferungen aus Russland verzichten? Diese Frage drängt angesichts möglicher weiterer Sanktionen. Klar ist: Der Schritt hätte einen hohen Preis.

Von Jan Zimmermann, ARD Berlin

Die Forderung wird immer lauter: Deutschland sollte auf russische Rohstofflieferungen verzichten. Anstatt Russland den Gashahn zudrehen zu lassen, sollte Deutschland Russland den Geldhahn zudrehen. Das fordert beispielsweise der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk. Die bisherigen Sanktionen gegen Russland reichten nicht aus. "Viele Schlupflöcher wurden gelassen, und jetzt gilt es, alle diese Schlupflöcher zu schließen und alle Kanäle, alle Finanzströme für diese kriegerische Maschinerie von Putin trocken zu legen und letztendlich auch dieses Embargo von Importen von strategischen Rohstoffen", sagte Melnyk.

Ein Stopp von Gas, Öl, Kohle aus Russland: Ist das möglich? Welche Folgen hätte das? Derzeit sind die Abhängigkeiten noch groß. "Von heute auf morgen ist das schon ein Kraftakt. Das muss man deutlich sagen, weil wir über 50 Prozent unseres Gases aus Russland beziehen", sagt die Energieexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). "Beim Öl sind es 36 Prozent, da haben wir mehr Flexibilität. Wir beziehen auch immer noch Steinkohle aus Russland, das vergessen wir auch, aber da kann man auch auf andere Quellen umsteigen."

Ausstieg aus Gaslieferungen problematisch

Laut Kemfert wäre ein Lieferstopp also möglich - zumindest bei Öl und Kohle. In diesen Bereichen gebe es genügend Alternativen, also andere Länder, die Deutschland beliefern könnten. "Die Sanktionsmöglichkeiten haben wir, aber man muss es wirklich klug vorbereiten", sagt Kemfert.

Problematisch wird es beim Gas. Sowohl die Haushalte als auch die Industrie wären von Ausfällen stark betroffen, erklärt Timm Kehler vom Brancheverband "Zukunft Gas". Er bezeichnet Gas als "wichtigsten Energieträger der Industrie. Jeder zweite Deutsche heizt mit Gas. Und ich glaube, allein aus diesen Proportionen heraus wird es deutlich, dass man hier nicht kurzfristig Veränderungen des Systems herbeiführen kann."

Ohne Gas aus Russland würden Branchen wie die Chemie-, Automobil-, Stahlindustrie wohl große Schwierigkeiten bekommen. "Das wäre ein volkswirtschaftlicher Schock mit ungeahnten Folgen", sagt Kehler. "Gerade in einer Phase, wo wir ohnehin hohe finanzielle Belastungen zu schultern haben, sollten wir ein solches Risiko nicht zusätzlich noch eingehen." Kehler ist sich sicher: Fällt Russland als Handelspartner aus, werden die Gaspreise weiter steigen.

Energiepreise werden weiter steigen

Doch ob mit oder ohne Russland: DIW-Expertin Kemfert rechnet in jeden Fall mit weiter steigenden Energiepreisen. "Preispolitisch fliegt uns dieser Krieg um die Ohren. Das sind nicht die Sanktionen oder irgendwelche Rückschlüsse, die wir daraus ziehen. Sondern der Krieg treibt die Preise nach oben", sagt Kemfert. "Das ist der Preis der verschleppten Energiewende, den wir im Moment zahlen. Und die fossilen Preise werden weiter steigen."

Deutschland und die EU versuchen seit Wochen, die Gas-Abhängigkeit von Russland zu reduzieren - mit Flüssiggas aus aller Welt. 1,5 Milliarden Euro stellt die Bundesregierung dafür jetzt zur Verfügung. Flüssiggas (Liquefied Natural Gas, LNG) sei eine der wenigen Alternativen zu Lieferungen aus Russland, bestätigt Branchenexperte Kehler. "Wir haben rund zwei Dutzend LNG-Terminals in Europa, die sicherlich noch weiter ausgelastet werden können", sagt er. "Und in diesen Tagen hat die Bundesregierung auch schon Maßnahmen ergriffen, um im globalen Gasmarkt LNG-Mengen für Deutschland zu sichern, die dann über bestehende Terminals beispielsweise in Belgien oder in den Niederlanden nach Deutschlands gebracht werden können."

Allerdings: Einer Untersuchung des Marktforschungsinstituts ICIS zufolge, über die das "Handelsblatt" berichtet, könnten selbst bei kompletter Auslastung aller verfügbaren Flüssiggas-Terminals aktuell nur 40 Prozent des europäischen Gasbedarfs über LNG gedeckt werden, falls aus Russland kein Erdgas mehr importiert werden würde.

Industrie müsste notfalls Produktion drosseln

Pläne für eigene LNG-Terminals in Deutschland an den Standorten Brunsbüttel, Stade und Wilhelmshaven werden nun auf Druck der Bundesregierung vorangetrieben. Insgesamt vier Terminals sind in der Planung. Doch werden noch einige Jahre vergehen, bis diese tatsächlich genutzt werden können. So rechnet die Projektgesellschaft Tree Energy Solutions (TES), die das Terminal in Wilhelmshaven aufbauen will, mit einer Fertigstellung in drei Jahren. Hinter TES steht die belgische Investorengruppe Atlasinvest.

Unabhängig davon, was in den nächsten Tagen passiert: Timm Kehler von "Zukunft Gas" will die Verbraucher beruhigen. Ihre Gasversorgung sei durch gesetzliche Auflagen vorrangig gesichert. Die Industrie müsste notfalls ihren Energieverbrauch und in der Folge ihre Produktion drosseln - das wäre teuer, aber nicht unmöglich.

Jan Zimmermann, Jan Zimmermann, ARD Berlin, 03.03.2022 09:54 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 Aktuell am 03. März 2022 um 09:05 Uhr.