Erntemaschinen fahren über ein Sojafeld.

Russischer Dünger fehlt Brasiliens Landwirtschaft unter Druck

Stand: 07.03.2022 14:00 Uhr

Brasiliens Agrarindustrie ist auf Düngemittel aus Osteuropa angewiesen. Die könnten infolge des Ukraine-Kriegs knapp werden. Das steigert Preise für Kaffee, Soja und andere Lebensmittel - und sorgt für ein Umdenken.

Gelbbraune Soja-Pflanzen - so weit das Auge reicht. Überall rund um die Stadt Luis Eduardo Magalhães im äußersten Westen des brasilianischen Bundesstaats Bahia wächst die proteinhaltige und weltweit so wichtige Bohne, ohne die auch die deutsche Fleischindustrie kaum auskäme. Das gesamte Anbaugebiet liegt auf riesigen, flachen Tafelberg-Plateaus. Gerade wurden Pestizide versprüht, um die Pflanzen zügig für die Ernte zu trocknen. Der Boden ist staubtrocken und äußerst karg. Deshalb sind die lokalen Agrarunternehmer für den Anbau genmanipulierten Sojas - neben Pestiziden - vor allem auf Düngemittel angewiesen.

Wichtiger Wirtschaftszweig gerät in Not

Derzeit schauen sie mit großer Sorge auf den Krieg in der Ukraine, weil Russland und Belarus zwei der wichtigsten Düngemittelproduzenten für Brasilien sind. Soja, Mais und Kaffee: Wichtige Export-Agrarprodukte Brasiliens benötigen Kunstdünger aus Osteuropa. Doch der dürfte nun knapp werden, denn das russische Handelsministerium hat den Düngemittel-Herstellern einen vorübergehenden Stopp ihrer Exporte empfohlen. Grund sind logistische Probleme, denn der wichtigste Ausfuhrhafen Odessa liegt auf ukrainischem Territorium.

Der Sojaanbau aus Brasiliens Hinterland - wie in Luis Eduardo Magalhães - war bislang der Garant für Brasiliens Wirtschaftskraft. Während der Pandemie federten die massiven Agrarexporte den Absturz der Wirtschaft des größten Landes Südamerikas ab. Doch der Mangel an Dünger könnte diesen Wirtschaftsmotor nun ins Stottern bringen und die Ernährungssicherheit weltweit gefährden.

Für den Soja-Anbau wird vor allem Kaliumchlorid benötigt. Bei Kalium liegen die Exporte Russlands und von Belarus bei knapp 50 Prozent. Aber auch Ammonium - Grundstoff für Stickstoff- und Phosphat-Düngemittel - ist ein Importprodukt, das derzeit immer mehr zur Mangelware wird. Deshalb schlägt der Präsident der Soja- und Maisproduzenten in Mato Grosso Alarm. "Wenn Brasilien jetzt nicht schnell handelt, wird es zu Nahrungsmittelknappheit, Inflation und Arbeitslosigkeit kommen", warnt Fernando Cadore.

Düngervorräte reichen noch für drei Monate

Kunstdünger treibt die globale Agrarwirtschaft an und sorgt für niedrige Lebensmittelpreise. Brasilien hat 2021 neun Millionen Tonnen Dünger allein aus Russland importiert. Um die Versorgung damit sicherzustellen, war Präsident Jair Bolsonaro kurz vor Beginn des Angriffskriegs zu seinem Amtskollegen Wladimir Putin nach Russland gereist. Jetzt tritt für Brasilien und die gesamte verflochtene internationale Agrarindustrie das schlimmste Szenario ein, welches auch Brasiliens Kaffeeproduktion betrifft.

Die Preise im Land des weltgrößten Exporteurs waren bereits vor dem Ukraine-Krieg aufgrund von Wetterextremen angestiegen. Nun drohen weitere Preissteigerungen, die dann wahrscheinlich auch von den deutschen Röstereien erneut an die Konsumenten weitergegeben werden. Man kann sich also auf höhere Kaffeepreise einstellen.

Laut Brasiliens Verband für Düngemittel-Logistik besitzt das Land noch Kunstdünger für drei Monate. Das bedeutet, dass sich die Knappheit vor allem auf die kommende Aussaat und somit die darauffolgende Ernte im September und Oktober auswirken wird. Wenn Landwirte dafür weniger Dünger einsetzen können, fallen Ernten schwächer aus. Bei knappen Lebensmitteln steigen die Preise für Mais, Soja und - in Folge dessen - auch für Fleisch.

Weiterer Kahlschlag im Amazonas-Regenwald?

Brasilien Agrarministerin Tereza Cristina wird deshalb Mitte des Monats nach Kanada reisen: neben Russland und Belarus ein weiterer wichtiger Kunstdünger-Produzent. Sie gesteht ein, dass in Brasilien in der Vergangenheit Fehler gemacht wurden. "Wir haben keinen nationalen Plan für eine Düngemittel-Produktion entworfen", kritisiert Cristina.

2021 importierte Brasilien 84 Prozent seines Düngers aus dem Ausland. Ein Wert, der zuvor angestiegen war. Denn seit 2016 wurden drei Düngemittel-Fabriken im Nordosten Brasiliens geschlossen - unter Bolsonaro und auch unter dessen Vorgänger Michel Temer. "Unser Ziel war es gewesen, den billigsten Dünger einzukaufen", erklärt Cristina. "Aber jetzt sollte Brasilien die Düngemittel-Versorgung als Teil seiner nationalen Sicherheit verstehen", gibt sich die Ministerin selbstkritisch.

Sie hat eine Ausweitung der Produktion in Brasilien angekündigt. Ein nationaler Plan dafür soll Ende des Monats in Kraft treten. Auch Verbandspräsident Fernando Cadore pocht nun auf schnelle Lösungen. "Wir brauchen weniger Bürokratie, um schneller Dünger herstellen zu können." Auch Bolsonaro will handeln und hat dafür sogar die Ausbeutung des Amazonas ins Gespräch gebracht. Angedacht ist womöglich sogar der Abbau von Rohstoffen zur Düngemittel-Produktion in indigenen Gebieten. "Unsere Ernährungssicherheit und die Agrarindustrie fordern von uns Maßnahmen, um nicht abhängig von außen zu sein", erklärte der Präsident zuletzt.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das Erste am 05. März 2022 um 16:30 Uhr im "Weltspiegel".