Eine Zugbegleiterin kontrolliert in einem Regionalzug die Fahrkarten der Reisenden.

Gewalt gegen Zugbegleiter Auf der Suche nach mehr "Bahnhöflichkeit"

Stand: 29.11.2023 08:19 Uhr

Die Fälle verbaler und körperlicher Gewalt gegen Mitarbeitende von Bus und Bahn sind stark gestiegen. Eine neue Kampagne soll für mehr Respekt sorgen. Der Verkehrsminister nimmt alle Reisenden in die Pflicht.

Seit 33 Jahren arbeitet Christina, die nicht mit ihrem Nachnamen genannt werden möchte, bei der DB Regio. Seit neun Jahren ist die Zugbegleiterin in Saarbrücken stationiert. Doch an diesem Tag ist alles anders. Als Christina einen Reisenden kontrolliert, der eine falsche Fahrkarte hat und sie ihm stattdessen ein neues Ticket ausstellen möchte, steht er auf und beginnt, nach ihr zu treten.

"Das kam aus dem Nichts heraus", erzählt die 52-jährige. Zum Glück eilen ihr ein paar Männer zu Hilfe und halten den Angreifer fest, der eine Station später aussteigt. "Da hab' ich schon ziemlich gezittert, auch nach so vielen Jahren Berufserfahrung", sagt Christina. "Danach hat es mich schon Überwindung gekostet, meine Arbeit weiterzumachen."

"Wirklich schlimme Übergriffe"

Das Beispiel von Christina ist kein Einzelfall. Die Zahl der Körperverletzungen gegen Bus- und Bahnmitarbeitende habe sich in den vergangenen Jahren verdreifacht, berichtet Martin Burkert, Chef der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG. "Das sind wirklich schlimme Übergriffe. Wir hatten im letzten Jahr 3.200 Körperverletzungen", so Burkert.

Allein im ersten Halbjahr 2023 habe es 7.500 Krankheitstage gegeben, die durch Körperverletzungen verursacht wurden. Das zeige, wie dramatisch die Situation mittlerweile geworden sei. "Leider hatten wir auch schon Todesfälle bei solchen Übergriffen", so der EVG-Chef.

Es wird bedroht und bespuckt

Noch stärker gestiegen ist laut Statistik die Anzahl der verbalen Attacken - inklusive Bespucken und Bedrohungen - auf Mitarbeitende, etwa in Bussen, Bahnen oder auf Bahnhöfen. "In den letzten zehn Jahren haben wir eine Verfünffachung der verbalen Angriffe und Übergriffe erlebt. Tendenz leider steigend."

Allein im Regionalverkehr der DB Regio habe es im vergangenen Jahr etwa 14.000 verbale Übergriffe gegeben. Dazu käme eine hohe Dunkelziffer, denn etwa 70 Prozent der Vorfälle würden vom Personal gar nicht gemeldet. "Dass wir beschimpft werden, das gibt es fast täglich," beklagt auch Zugbegleiterin Christina. "Ich hab‘ da ein dickes Fell. Aber schön ist es nicht," sagt sie. In diesem Beruf muss man sich schon viel gefallen lassen."

Bundesweite Plakate

Doch genau das soll sich ändern. Dabei helfen soll die neue Kampagne #mehrAchtung, die nun vom Bundesverkehrsministerium und der Gewerkschaft EVG präsentiert wurde. Bundesweit sollen Plakate in Zügen und auf Bahnhöfen in den kommenden zwei Jahren für mehr Respekt gegenüber den Beschäftigten bei Bus und Bahn sorgen, etwa für mehr "Bahnhöflichkeit".

Die Plakate sollen ein "Signal an die Gesellschaft" aussenden, erhofft sich Bundesverkehrsminister Volker Wissing. "Wir haben gemeinsam viele Probleme identifiziert, die mich betroffen gemacht haben", sagte der FDP-Politiker bei der Vorstellung der Kampagne.

Vielfältige Gründe

Die Gründe für die Zunahme von verbaler und körperlicher Gewalt im Bus- und Bahnverkehr seien vielfältig, analysiert EVG-Chef Burkert. Nach Einschränkungen durch die Maskenpflicht während der Corona-Pandemie hätte auch der Ansturm auf das 9-Euro-Ticket dazu geführt, dass "Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine Überlastung erfahren haben und die Aggressivität in den Zügen gestiegen ist", so Burkert. "Und natürlich macht die Unpünktlichkeit in den Zügen auch aggressiver."

Von der Unzufriedenheit der Bahnkunden weiß natürlich auch der Verkehrsminister. "Aber das liegt nicht an den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern", betont Wissing. "Das sind technische Gründe, die zu Verspätungen führen. Daran arbeiten wir an anderer Stelle." Doch es sei unfair, den Frust an den Mitarbeitenden auszulassen, die nichts dafür könnten.

Gewalt als Mitgrund für Fachkräftemangel

Die Hoffnung ist groß, dass das Ausmaß an gewaltsamen Übergriffen wieder zurückgeht, auch um den gestiegenen Arbeits- und Fachkräftemangel nicht weiter zu verschärfen. "Derzeit läuft eine hohe Anzahl von Ausschreibungen, aber wir haben zu wenige Bewerber", sorgt sich auch Ralf Damde, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats bei DB Regio. "Es gibt Menschen, die aufhören und sagen, 'ich kann das nicht mehr'. Und andere, die sich gar nicht erst bewerben", erzählt er. "Man muss sich dem Thema ernsthaft annehmen, damit dieser Job wieder attraktiv wird für die Menschen."

Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG setzt sich für neue Möglichkeiten zum besseren Schutz der Mitarbeitenden ein, etwa für den Einsatz von Bodycams, die zu Beginn von Auseinandersetzungen eingeschaltet werden können. Verkehrsminister Wissing zeigt sich dafür offen, zumal diese schon erfolgreich erprobt worden sind. Zudem werden Selbstverteidigungskurse für das Bahnpersonal angeboten - und es gibt Projektbahnhöfe, die bereits mit mehr Kameras ausgestattet wurden.

Schon ein "Guten Tag" kann helfen

Dadurch steige die Aufklärungsquote, berichtet EVG-Chef Burkert; ein Schutz vor Übergriffen sei dies aber nicht. "Wir brauchen die Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit," unterstreicht Burkert. Wissing fordert gemeinsame Verantwortung für mehr Schutz. Der Minister sieht alle Bus- und Bahnreisenden gemeinsam in der Pflicht. "Es ist wichtig, dass wir das als gesamtgesellschaftliche Aufgabe wahrnehmen und uns entgegenstellen. Das Problem ist nicht nur zu lösen, indem überall Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte aufpassen."

Jeder müsse sich selbst anständig verhalten und könne dadurch einen eigenen Beitrag leisten. Es sei außerdem wichtig, den Mitarbeitenden in Konfliktsituationen beizustehen, etwa "indem wir in einem ruhigen Ton, wenn wir so etwas beobachten, Mitreisende darauf aufmerksam machen, dass wir den Ton unangemessen finden."

Der Wunsch von Zugbegleiterin Christina ist noch simpler: "Dass die Leute mir auch mal 'Guten Tag' sagen. Ich bin ja auch ein Mensch." Jeden Tag sei sie zehn bis 14 Stunden lang unterwegs, arbeite auch an Wochenenden und in den vergangenen Jahren sogar an Weihnachten. "Wir machen hier einen harten Job. Einfach mal die Kopfhörer rausnehmen, wenn ich kontrolliere. Und ein bisschen mehr Respekt uns gegenüber zeigen."