Arbeitsagentur-Chefin Andrea Nahles spricht bei einer Pressekonferenz | REUTERS

Fachkräftemangel Nahles fordert neue Willkommenskultur

Stand: 19.12.2022 09:12 Uhr

Die Chefin der Bundesagentur für Arbeit sieht das Problem beim aktuellen Fachkräftemangel auch bei der hohen Zahl der Auswanderer. Um mehr Fachkräfte zu gewinnen, fordert Nahles eine neue Willkommenskultur.

Die Chefin der Bundesagentur für Arbeit fordert eine neue Willkommenskultur, um mehr Fachkräfte aus dem Ausland zu gewinnen und sie auch in Deutschland zu halten. Dem Nachrichtenportal "t-online" sagte Andrea Nahles: Der "Spirit Einwanderungsland" sei in Deutschland noch nicht da. "Es kommen ja nicht Fachkräfte zu uns, sondern Menschen. Und deshalb brauchen wir auch die Bereitschaft, sie eben nicht nur als Fachkräfte zu sehen, sondern als Menschen willkommen zu heißen. Sonst wird es nicht gelingen."

Die Arbeitsagentur-Chefin wies aber auch auf das Problem der Auswanderung hin: Allein im vergangenen Jahr seien rund 1,1 Millionen Menschen nach Deutschland gekommen. "Eigentlich eine tolle Zahl. Da könnten wir richtig stolz drauf sein", so Nahles. "Dummerweise sind gleichzeitig 750.000 Leute wieder ausgewandert." Laut Nahles beklagten sie, dass sie unterhalb ihrer Qualifikation arbeiteten, weil ihre Berufsabschlüsse nicht anerkannt würden. "Außerdem hätten sie gern ihre Familie bei sich, die darf aber nicht kommen."

Hürden für Zuwanderer

Wenn Deutschland die Zahl der Auswanderer reduzieren würde, könnte laut Nahles ein Teil des Fachkräfteproblems gelöst werden. Sie kritisierte zugleich die "vielen Hürden" für Zuwanderer. "Es beginnt schon damit, dass die Menschen in ihrem Heimatland Deutsch lernen müssen. Es gibt aber nicht überall Deutschlehrer. Und dann müssen Interessenten den Kurs selbst bezahlen, das können sich manche schlicht nicht leisten." Deutschland konkurriere dabei mit englischsprachigen Ländern. Englisch sei eine Sprache, die viele in der Schule lernten. "Und schließlich dauert es oft Monate, bis man einen Termin beim Konsulat für ein Visum bekommt."

Schätzungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) gehen davon aus, dass Deutschland eine Nettozuwanderung von 400.000 bis 500.000 Personen jährlich braucht, um dem demografischen Wandel entgegenzuwirken. Dem ohnehin strapazierten deutschen Arbeitsmarkt gehen daduch bis 2035 sieben Millionen Arbeitskräfte verloren - wenn nicht kräftig gegengesteuert wird.

Baby-Boomer-Jahrgänge bald in Rente

Hintergrund ist hauptsächlich, dass viele Arbeitnehmer der sogenannten Baby-Boomer-Jahrgänge bald in Rente gehen. "Dass der demografische Wandel kommt, ist seit langer Zeit absehbar. Und er wird weiter zunehmen. Schon heute gibt es 1,8 Millionen offene Stellen - der Arbeits- und Fachkräftemangel zieht sich längst quer durch alle Branchen", sagte dazu Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA).

Bei der Zuwanderung gab IAB-Forscher Enzo Weber zu bedenken, dass es nicht nur darum gehe, weitere Menschen, möglichst mit guter beruflicher Qualifikation nach Deutschland zu bringen. Entscheidend sei auch, das Abwandern von bereits im Land befindlichen Migranten möglichst zu verhindern. Die Abwanderungsquote liege derzeit bei sieben Prozent. Sie müsse auf 5,5 Prozent gedrückt werden, um nicht negative Effekte zu riskieren.

Ältere Beschäftigte einstellen

Angesichts des Fachkräftemangels hatte Arbeitsminister Hubertus Heil Unternehmen aufgefordert, ältere Beschäftigte nicht aufs Abstellgleis zu schieben. "Der Fachkräftemangel droht zur Wachstumsbremse zu werden. Dass viele Unternehmen Menschen über 60 nicht mehr einstellen, ist eine Haltung, die wir uns deshalb nicht mehr leisten können", sagte er der "Bild am Sonntag". Es gelte, in Firmen für altersgerechte Arbeitsplätze zu sorgen. "Nur so kann sichergestellt werden, dass die Arbeit wirklich bis zum Renteneintritt erledigt werden kann."

Bundeskanzler Olaf Scholz hatte zuvor gefordert, den Anteil derer zu steigern, die bis zum Renteneintrittsalter arbeiten. "Steigerungspotenzial" gebe es auch beim Anteil von Frauen am Arbeitsmarkt. Dafür müssten aber Ganztagsangebote in Krippen, Kitas und Schulen ausgebaut werden.