Ein Kassenzettel mit Lebensmittel-Preisen.
analyse

Anhaltende Teuerung Warum ist die Inflation so hartnäckig?

Stand: 28.06.2023 16:26 Uhr

Notenbanken weltweit rätseln, warum sich die Teuerung auch mit starken Zinserhöhungen nur teilweise in den Griff bekommen lässt. Fachleute glauben: Es gibt keine schnelle Lösung.

Es geht bunt zu, an der Praia da Conceição, einem der schönen Strände im portugiesischen Badeort Cascais: farbige Sonnenschirme, Kinder, die ins Wasser springen und Sonnenanbeter, die Eis schlecken. Es ist Ferienzeit in Portugal, das Wetter ist herrlich und der beliebte Urlaubsort etwa 30 Kilometer westlich von der Hauptstadt Lissabon ist voller Leben.

Doch Ferien am Meer, auch im eigenen Land, werden für viele Portugiesen zunehmend zum Luxus. Auch hier hat die hohe Inflation ihre Spuren hinterlassen. Ähnlich wie in Deutschland erreichte sie im vergangenen Jahr 8,1 Prozent und steht derzeit bei 5,4 Prozent. Weil die Portugiesen deutlich weniger verdienen als die Deutschen, trifft sie die starke Teuerung umso stärker.

Teuerung schon lange über der Zielmarke

Das wissen auch die Währungshüter der Europäischen Zentralbank (EZB), die auch in diesem Jahr nur wenige Kilometer entfernt ihre jährliche Notenbankkonferenz abhalten. Hier diskutieren und debattieren sie zusammen mit rund 175 Vertreter von Zentralbanken, wissenschaftlichen Einrichtungen und internationalen Organisationen.

Zentrale Fragen sind, woher der Inflationsschub kommt, warum er so hartnäckig ist und was man am besten dagegen tut. Einig ist man sich, dass die Inflation schon viel zu lange weit über dem angestrebten Ziel von zwei Prozent liegt. Nicht so einig ist man sich, wie man das Problem am besten löst.

EZB-Präsidentin Christine Lagarde

Sieht noch kein Ende des Zinserhöhungs-Zyklus: EZB-Präsidentin Christine Lagarde

EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte am Dienstag bereits bestätigt, dass es im Juli eine weitere Zinserhöhung geben werde - und weitere Zinsschritte angedeutet. Nachdem die EZB die Inflationsentwicklung zunächst völlig unterschätzt und falsch bewertet hat, will sie jetzt zeigen, dass sie das erreicht, was sie den 346 Millionen Menschen in der Eurozone versprochen hat: Preisstabilität. Dafür ist sie auch bereit, eine Rezession in der Eurozone in Kauf zu nehmen - ein konjunktureller Abschwung, der bereits begonnen hat.

Geldpolitik greift nicht wie gewünscht

Rätselraten gibt es in der Notenbankwelt weiterhin, warum die Inflation überall so hartnäckig ist. Zwar greifen die Zinserhöhungen, aber nicht so stark, wie gewünscht. Ausgelöst wurde der Inflationsschub durch die Folgen der Corona-Krise, insbesondere durch die zunehmende De-Globalisierung. Als die Arbeitsteilung in der Welt nicht mehr funktionierte, wurden Waren knapp und teuer.

Dann folgten die Preisschübe durch die hohen Energiepreise und den Krieg gegen die Ukraine - externe Schocks, gegen die die EZB nicht viel ausrichten konnte. Schließlich begann die Inflation richtig hartnäckig zu werden, weil Unternehmen ihre höheren Kosten durch höhere Preise weitergaben und noch einiges obenauf schlugen, um ihre Profite zu erhöhen. So verdoppelten etwa Fluggesellschaften ihre Ticketpreise, obwohl Kerosin schon wieder billiger wurde. Reiseveranstalter und Hotels langten ohne Not kräftig zu, wohlwissend, dass die Kunden nach Corona bereit waren, tief in die Tasche zu greifen.

Exzessive Unternehmensgewinne

Und auch der Lebensmittelhandel witterte seine Chance, verkleinerte den Inhalt in den Verpackungen und erhöhte die Preise. Nach Berechnungen der EZB machten in den vergangenen Monaten exzessive Unternehmensgewinne rund zwei Drittel des Inflationsschubs in der Eurozone aus. In normalen Zeiten ist es nur ein Drittel. Jetzt ist ein anderer Faktor für die hartnäckige Teuerung verantwortlich: die in vielen Ländern hohen Tarifabschüsse und die dadurch steigenden Löhne.

Noch sehe man keine sogenannten "Zweitrundeneffekte", bei denen ständig steigende Kosten zu einer Spirale steigender Löhne führen, heißt es von der EZB. Aber das könne sich auch schnell ändern. Denn der Arbeitsmarkt ist wegen des Fachkräftemangels überall sehr robust. Gewerkschaften können daher hohe Tarifabschlüsse durchdrücken. Es bleibt abzuwarten, wieviel von diesen Kosten Unternehmen an die Kunden weitergeben.

Fakt ist, das zeigen alle Aussagen und Papiere auf der Konferenz in Sintra: Es gibt keine schnelle Lösung für die Inflation. Denn das Problem ist komplex: So unterstrich etwa der Chefvolkswirt der Europäischen Kommission, Miguel Gil Tertre, den Einfluss von Klimawandel und unvorhersehbaren Wetterphänomenen auf die Energiepreise: Hitze treibt Klimaanlagen und Kühlgeräte an, Starkregen und Sturm führen zu mehr Zerstörungen, Hochwasser verursacht Schutzmaßnahmen - alles Kosten, die auch die Inflation anfeuern.

Warnung vor Angebotsschocks bei Energie

Norwegens Notenbank-Präsidentin Ida Wolden Bache, Repräsentantin des Landes, das derzeit der wichtigste Energielieferant in Europa ist, warnte vor neuen Angebotsschocks im Energiesektor. Nicht nur wegen des Umbaus zur "grünen" Energie, sondern allein schon deshalb, weil fossile Brennstoffe endlich seien.

Und die erste stellvertretende Geschäftsführerin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Gita Gopinath, betonte, diese und andere Strukturveränderungen in der Wirtschaft führten zu einer Teuerung, die wesentlich hartnäckiger bleiben werde als in Zeiten vor der Pandemie. Viele Gründe also, die für ein weiteres Handeln der Notenbanken sprechen. Gopinath forderte wie die meisten Teilnehmer in Sintra die EZB dazu auf, bei der Bekämpfung der Teuerung nicht locker zu lassen, auch wenn dies Spuren in der Wirtschaft hinterlasse: "Inflation ist zwar schwer fassbar, aber sie ist kein Unbekannter", so Gopinath. Die EZB wie andere Zentralbanken wüssten genau, wie man sie in den Griff bekomme.

Das musste sie der Gastgeberin in Sintra und Ex-Chefin des IWF, Christine Lagarde, nicht zweimal sagen. Das Inflationsziel von zwei Prozent habe oberste Priorität, sagte die EZB-Präsidentin. Man dürfe in der jetzigen Situation hoher Teuerung und ihrer Bekämpfung nicht wankelmütig werden. Denn: "Wir können noch keinen Sieg verkünden."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 28. Juni 2023 um 16:09 Uhr.