Bundeswirtschaftsminister Habeck und Scheich Mohammed bin Hamad bin Kasim al-Abdullah Al Thani, Minister für Handel und Industrie von Katar
Analyse

Ersatz für russisches Gas Was hat Habecks Energie-Reise gebracht?

Stand: 22.03.2022 11:08 Uhr

LNG aus Katar und Fracking-Gas aus den USA - auf seinen Energie-Reisen hat Wirtschaftsminister Habeck versucht, Ersatzquellen für russische Gasimporte zu finden. Die Bilanz fällt durchwachsen aus.

Eine Analyse von Notker Blechner, tagesschau.de

Die Erwartungen der deutschen Industrie waren groß. Mit einer hochkarätigen Wirtschaftsdelegation, darunter die Vorstandschefs von RWE, Siemens Energy und ThyssenKrupp, war Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck nach Katar und in die Vereinigten Arabischen Emirate gereist. Es ging darum, den Weg für Alternativen zu russischen Gaslieferungen zu bahnen. Mehr Flüssiggas-Lieferungen seien für die Versorgungssicherheit deutscher Unternehmen ganz entscheidend, sagte im Vorfeld der Reise Martin Wansleben, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK).

Tatsächlich wurden auf Habecks Golf-Reise mehrere Kooperationsabkommen geschlossen. "Wenn wir vielleicht auch in diesem Jahr noch russisches Gas brauchen werden: In der Zukunft nicht mehr. Und das fängt ja jetzt erst an", sagte der Minister in Katar. Die geschlossenen Abkommen zeigen Perspektiven auf. Doch konkret Zählbares für die kurzfristige Diversifizierung der Lieferstruktur ist noch nicht herausgekommen.

Vage Energiepartnerschaft mit Katar

In Doha unterzeichneten Deutschland und Katar eine Energiepartnerschaft. Sie sieht langfristige Lieferungen von Flüssiggas (LNG), den Ausbau von erneuerbaren Energien sowie Maßnahmen zur Energieeffizienz vor. Wann und wie viel Flüssiggas geliefert wird, ließ Habeck offen. Es sei aber über konkrete Mengen gesprochen worden.

Die einzelnen Lieferverträge sollten jetzt deutsche Unternehmen abschließen. Habeck sieht sich lediglich als Türöffner. Oder besser als Verhandlungsantreiber. Denn die jahrelangen Gespräche zwischen Doha und Berlin stagnierten zuletzt. Die Verhandlungen hätten daher einen "motivatorischen Schubs" gebraucht, sagte Habeck in blumigen Worten am Rande der Reise in Doha.

Katar, Doha: Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, und Scheich Mohammed bin Hamad bin Kasim al-Abdullah Al Thani (2.v.r.) treffen sich im Ministerium für Handel und Industrie mit ihren Delegationen zu einem Gespräch.

Habeck sehe sich als "Türöffner" für deutsche Geschäfte, sagte er in Doha. mehr

Wasserstoff-Abkommen mit den Emiraten

Noch langfristiger ist die Vereinbarung, die mit den Vereinigten Arabischen Emiraten geschlossen wurde. Zum Abschluss seiner "Energie-Mission" verkündete Habeck in der Öko-Modellstadt Masdar City ein Abkommen zur Wasserstoff-Kooperation. Es beinhaltet fünf Projekte. So wollen Siemens Energy, die Lufthansa und das Unternehmen Masdar aus den Emiraten synthetisches Kerosin für eine klimaneutrale Luftfahrt herstellen. RWE und die staatliche Abu Dhabi National Oil Company beschlossen eine Zusammenarbeit für den Import von kohlenstoffarmem und grünem Wasserstoff sowie für Wasserstoff-Derivate wie Ammoniak.

Robert Habeck (rechts) steht neben Mohamed Jameel Al Ramahi, CEO der Abu Dhabi Future Energy Company (Masdar), vor einer Solaranlage in Abu Dhabi.

Wirtschaftsminister Habeck hat die Zusammenarbeit bei Forschung und Produktion von Wasserstoff mit den VAE verkündet. mehr

LNG-Lieferungen meist langfristig

Experten bezweifeln, dass kurzfristig die Deals mit den Golf-Staaten mehr Energie nach Deutschland bringen. Die LNG-Lieferungen seien oft nur langfristig angelegt. Das machte vor kurzem Katars Energieminister Saad al-Kaabi deutlich. "Die meisten LNG-Lieferungen sind an langfristige Verträge und eindeutige Bestimmungsorte gebunden", sagte er kurz nach der russischen Invasion in der Ukraine.

Laut Andreas Goldthau, Professor für Public Policy an der Universität Erfurt, hat Katar 90 bis 95 Prozent seiner LNG-Produktion langfristig verkauft. Höchstens zehn Prozent der Mengen könnten demnach auf dem Spotmarkt landen und kurzfristig eingekauft werden.

Ähnlich skeptisch ist Andreas Schröder, Energieexperte von ICIS. Kurzfristig löse Katar die Gas-Abhängigkeit Europas und Deutschlands von Russland nicht, sondern erst nach zwei bis drei Jahren, sagte er tagesschau.de. "Katar kann sofort liefern, aber Deutschland kann nicht importieren." Denn ein LNG-Importterminal (in Brunsbüttel) werde wohl nicht vor 2023 kommen. "Wahrscheinlich erst 2024."

Das LNG-Tankerschiff "Al Nuaman" mit Flüssiggas aus Katar fährt in den LNG-Terminalhafen in Swinoujscie, Polen. (Aufnahme vom 11. Dezember 2015)

Das LNG-Tankerschiff "Al Nuaman" mit Flüssiggas aus Katar.

Norwegen will mehr liefern

Mehr Hoffnungen machen die Besuche Habecks in den USA und in Norwegen. Dort wurden dem Minister höhere Gas-Lieferungen in Aussicht gestellt. Norwegen zum Beispiel will die Erdgas-Förderung in den kommenden Monaten erhöhen und im Sommer mehr nach Europa liefern. Vom Oseberg-Feld könnten die Gasexporte bis Ende September um etwa eine Milliarde Kubikmeter gesteigert werden, erklärte der Betreiber Equinor vorige Woche. Zudem könne der Ausstoß im Heidrun-Feld um 0,4 Milliarden Kubikmeter hochgefahren werden. Darüber hinaus will Norwegen Deutschland mit Spezialschiffen für LNG-Lieferungen helfen.

"Mehr Erdgas aus Norwegen ist natürlich eine gute Option", sagt Energie-Experte Hans-Wilhelm Schiffer. Immerhin gehe voraussichtlich bereits im Herbst dieses Jahres die Baltic Pipe mit einer Kapazität von zehn Milliarden Kubikmeter in Betrieb, die Norwegen mit Polen verbindet.

Erdgastanker am Gas-Terminal Snövit bei Hammerfest, Norwegen

Damit will das Land Europa helfen, unabhängiger von russischem Gas zu werden. mehr

USA bringen jetzt schon mehr LNG nach Europa

Kurzfristig höhere Mengen könnten vor allem aus den USA kommen. Die USA haben in den vergangenen Monaten und Wochen angekündigt, ihre LNG-Kapazitäten auszubauen. Laut Branchenexperten könnten sie schon in diesem Jahr Australien und Katar als weltgrößter LNG-Exporteur ablösen. Die USA könnten vor allem ihre Fracking-Kapazitäten aufstocken, da sich die Herstellung des Schiefergases bei einem hohen Ölpreis lohnt.

Bisher ist Australien mit 87,1 Millionen Tonnen Hauptexportland von LNG. Katar, das die drittgrößten Gasreserven der Welt hat, ist die Nummer zwei mit 77,4 Millionen Tonnen, dicht gefolgt von den USA, die 2021 rund 71,6 Millionen Tonnen ausführten.

In der jüngsten Vergangenheit ist deutlich mehr amerikanisches LNG nach Europa und Deutschland gekommen. Von September bis Januar haben sich die Mengen verdoppelt, sagt Florian Haslauer, Partner und Geschäftsführer der Energieberatungsfirma e.venture Consulting (e-VC) gegenüber tagesschau.de. "Das war rein marktgetrieben." Weil der europäische LNG-Preis deutlich gestiegen sei, hätten die USA verstärkt ihre Schiffe nach Europa geleitet.

Experte: Zusätzliches Potenzial bleibt begrenzt

Allerdings sei das Potenzial in den nächsten Jahren begrenzt. Bis 2025 könnten die USA zusätzliche Kapazitäten von neun Milliarden Kubikmetern, möglicherweise auch etwas mehr zur Verfügung stellen, hat Haslauer von e-VC in einer Studie errechnet. Bei Norwegen rechnet er mit elf Milliarden Kubikmetern an zusätzlichen Mengen.

Die Anlage des Erdgasspeichers (Astora GmbH) in Rehden.

Vor sechs Jahren übernahm eine Gazprom-Tochterfirma den größten Gasspeicher Deutschlands. mehr

Das größte Potenzial habe Katar. Hier seien bis 2025 rund 23 Milliarden Kubikmeter LNG an zusätzlicher Kapazität möglich, meint er. Von diesen theoretisch rund 43 Milliarden Kubikmetern LNG-Mengen aus Katar, Norwegen und den USA würde Deutschland aber bestenfalls ein Drittel bekommen. Das würde folglich nicht ausreichen, um russisches Gas zu ersetzen.

Habeck ist nicht der erste Wirtschaftsminister, der in den Golf-Staaten für Lieferungen von Öl und Gas wirbt. Auch andere Länder wie Österreich und Japan kamen zuletzt mit Minister und Wirtschaftsdelegation in die Emirate und nach Katar, um die Abhängigkeit vom russischen Gasimporten zu reduzieren. Energie-Experten sprechen von einem "Schaulaufen" der westlichen Regierungen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 21. März 2022 um 23:31 Uhr.