Flaggen der G20 auf dem Gipfel auf Bali
faq

Bundestag beschließt EU-Richtlinie Wie sich die globale Mindeststeuer auswirkt

Stand: 10.11.2023 16:46 Uhr

Der Bundestag hat ein Gesetz zur Einführung einer globalen Mindeststeuer für international tätige Unternehmen beschlossen. Was hat das für Folgen - für die Konzerne und für den Staat?

Von Till Bücker, ARD-Finanzredaktion

Der Bundestag hat sich heute auf eine globale Mindeststeuer für internationale Großkonzerne geeinigt. Dafür stimmten die Fraktionen der Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP sowie die Union als größte Oppositionspartei. Die Linke und die AfD votierten dagegen. Es gehe "um eine der größten Reformen der internationalen Besteuerung von Unternehmen", schreibt das Bundesfinanzministerium auf seiner Website. Was ändert sich damit - und was bedeutet das für die Einnahmen des Staates?

Welche Regeln gibt es aktuell?

Derzeit ist die Besteuerung von multinationalen Unternehmensgruppen noch weitgehend national organisiert. Sprich: Ein Konzern muss nur in den Staaten Steuern auf seine Gewinne zahlen, in denen er eine physische Präsenz hat. Dabei können die Steuersätze extrem unterschiedlich sein - selbst innerhalb Europas. Während sie in sogenannten Steueroasen wie Ungarn oder Irland nach Angaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) bei neun und 12,5 Prozent liegen, erhebt Deutschland demnach knapp 30 Prozent Unternehmenssteuer.

Warum ist so eine Mindestbesteuerung nötig?

Bei vielen Konzernen ist es gängige Praxis, Gelder zwischen den Tochtergesellschaften in den verschiedenen Ländern so hin- und herzuschieben, dass die Steuerlast möglichst gering ausfällt. In Staaten mit hohen Steuersätzen werden die Gewinne kleingerechnet und in Staaten mit niedrigen Steuern hoch - etwa durch Lizenzzahlungen für die Nutzung von Markennamen oder Patenten. Auch die immer weiter wachsende Digitalisierung spielt eine Rolle. Denn mittlerweile ist es oft möglich, in Ländern wirtschaftlich aktiv zu sein, ohne dort eine physische Präsenz zu haben, an die die Besteuerung der Erträge geknüpft ist.

Vielen Staaten mit durchschnittlichen oder höheren Unternehmenssteuern entgehen durch diese Strategien beträchtliche Einnahmen. Die neue globale Mindeststeuer soll der Bundesregierung zufolge dazu beitragen, diesem "schädlichen Steuerwettbewerb und aggressiven Steuergestaltungen" entgegenzuwirken sowie Steuergerechtigkeit und Wettbewerbsgleichheit zu fördern. "Der Wettlauf um die niedrigsten Steuersätze wird damit bald der Vergangenheit angehören", hofft die Ampel-Koalition.

Was ändert sich nun konkret?

Die Reform der internationalen Unternehmensbesteuerung besteht aus zwei Säulen: Zum einen geht es darum, wo die Steuer erhoben wird, und zum anderen, wie hoch diese ist. Die erste Säule umfasst laut Bundesregierung ein neues System der Zuweisung von Besteuerungsrechten an die Steuerhoheitsgebiete, in denen die jeweiligen Konzerne ihre Gewinne erzielen. An diesem Konzept arbeitet derzeit noch die OECD.

In der zweiten Säule geht es um den genannten Mindestsatz an Körperschaftssteuer. International tätige Unternehmen mit einem Jahresumsatz über 750 Millionen Euro sollen künftig mindestens 15 Prozent Steuern auf sämtliche Gewinne zahlen - ganz egal, wo und in welcher Tochterfirma sie entstehen.

Wie sollen die Unternehmen kontrolliert werden?

Wenn ein Konzern in der Zukunft Profite in Niedrigsteuerländer verschiebt und eine Tochtergesellschaft sie effektiv nur mit beispielsweise neun Prozent versteuert, greifen die neuen Regeln. Der Heimatstaat des Mutterkonzerns hat in dem Fall das Recht, die Differenz zu fordern und die Gewinne aus der Steueroase mit sechs Prozent nachzuversteuern. Damit soll sichergestellt werden, dass alle Unternehmen "ihren fairen Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens leisten", heißt es aus dem Finanzministerium.

Was ging der Reform voraus?

Bereits im April 2021 hatte die damals gerade im Amt gestartete US-Wirtschaftsministerin Janet Yellen einen weltweiten Mindestsatz bei der Besteuerung von Unternehmen gefordert - allerdings sollte dieser noch bei 21 Prozent liegen. "Gemeinsam können wir mit einer globalen Mindeststeuer sicherstellen, dass die Weltwirtschaft gedeiht auf der Basis fairer Wettbewerbsbedingungen in der Besteuerung multinationaler Konzerne", sagte Yellen in einer Rede vor dem Rat für globale Angelegenheiten.

Im darauffolgenden Sommer einigten sich die G20-Staaten auf die von der OECD vorgeschlagene Mindeststeuer von 15 Prozent, zu der sich im Oktober 2021 insgesamt 138 Länder bekannten. Nach monatelangen Verhandlungen und zwischenzeitlicher Blockade durch Ungarn verständigten sich die Staaten der Europäischen Union (EU) Ende des vergangenen Jahres schließlich zu einer einheitlichen Umsetzung. Daraufhin wurde die zweite Säule der Reform in der EU rechtlich verankert und muss fristgerecht bis Ende 2023 in nationales Recht umgewandelt werden. Das hat der Bundestag heute für Deutschland getan, nachdem die Regierung im August einen ersten Gesetzentwurf vorgelegt hatte.

Welche Mehreinnahmen können die Staaten erwarten?

Die OECD erwartet durch die zweite Säule früheren Angaben zufolge insgesamt Mehreinnahmen von rund 150 Milliarden Dollar pro Jahr. Bei der Verteilung von Besteuerungsrechten, bei der gerade noch an den Details gearbeitet wird, sollen die Marktstaaten über 125 Milliarden Dollar jährlich mehr bekommen. Für die Europäische Union prognostiziert die EU-Steuerbeobachtungsstelle knapp 50 Milliarden Euro zusätzliche Steuererlöse.

"Wir schätzen, dass 200 Milliarden Euro in die Kassen der Staatengemeinschaft zusätzlich fließen", sagte Achim Pross, der als OECD-Vertreter bei einer Sitzung des Finanzausschusses Mitte Oktober geladen war. Auch auf Deutschland entfalle davon ein bemerkenswerter Betrag.

Und in Deutschland?

Hierzulande sind Schätzungen zufolge 500 bis 600 Unternehmen von dem Gesetz betroffen. Das Finanzministerium hat bislang noch keine eigenen Berechnungen über die Mehreinnahmen angestellt, dafür aber das Münchener ifo-Institut beauftragt. Das Ergebnis der im Juni veröffentlichten Kurzexpertise: Deutschland wird zu einem großen Gewinner der Reform.

Im Zeitraum von 2024 bis 2026 kann der Staat demnach mit einem zusätzlichen Steueraufkommen aus der ersten Säule von durchschnittlich etwa 850 Millionen Euro bis 1,7 Milliarden Euro pro Jahr rechnen. Das hänge davon ab, ob der zufließende Anteil mit 15 Prozent oder 30 Prozent besteuert wird.

Auch Säule zwei werde zu einem Zuwachs an Steueraufkommen führen, so die Forscherinnen und Forscher weiter. Falls die Einführung der Mindestbesteuerung tatsächlich zu einem Rückgang an steuermotivierter Gewinnverlagerung führt, rechnen sie zwischen 2024 und 2026 mit zusätzlichen Steuereinnahmen in Höhe von rund 1,5 bis 1,7 Milliarden Euro jährlich.

Was sagen Expertinnen und Experten?

Fachleute nennen die Einführung einer globalen Mindeststeuer einen "Gamechanger" im Kampf gegen das jahrzehntelange Steuerdumping von Großkonzernen. Doch es gibt auch Kritik: So sprach das Institut der Wirtschaftsprüfer im Finanzausschuss von "einer der kompliziertesten Regelungen" und mahnte Vereinfachungen an. Zudem halten Einige 15 Prozent für nicht ausreichend. Der Prozentsatz der Mindestbesteuerung sei viel zu niedrig, sagte etwa Linken-Politiker Christian Görke. Er bezeichnete den Gesetzentwurf als "ernüchternd" und als "finanzielle Nullnummer".

Ob und in welcher Höhe Deutschland überhaupt Einnahmen aus der Mindestbesteuerung erzielen kann, hänge davon ab, wie Niedrigsteuerländer auf den Beschluss reagieren, schreibt das ifo Institut in seiner Expertise. Diese hätten nämlich die Möglichkeit, sich das Aufkommen aus der Nachbesteuerung der Gewinne der in ihrem Land ansässigen Gesellschaften durch die Erhebung einer "qualifizierten nationalen Ergänzungssteuer" selbst zu sichern. Außerdem müsse berücksichtigt werden, dass die Unternehmen versuchen könnten, sich dem Geltungsbereich zu entziehen.

Darüber hinaus dürfte das Steuergefälle zwischen den Staaten Experten zufolge grundsätzlich bestehen bleiben - und damit auch Steueroasen weiterhin existieren. Denn: Oberhalb der 15 Prozent könne auch künftig konkurriert werden.

Martin Polansky, ARD Berlin, tagesschau, 11.11.2023 06:00 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 10. November 2023 um 14:00 Uhr.