Eine Person spielt am Laptop ein Computerspiel
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Computerspiele im Job Wenn Zocken zum Arbeitsalltag gehört

Stand: 19.02.2024 10:01 Uhr

Erlaubtes Computerspielen während der Arbeitszeit soll in manchen Firmen die Beschäftigten motivieren - oder sie auf bestimmte Situationen vorbereiten. Aber es gibt dabei auch Risiken.

Von Leon Vucemilovic, SWR

"Um mich auf eine Preisverhandlung vorzubereiten, setze ich mich auch mal an den Computer und spiele", erzählt Joachim Straßner, Vertriebsleiter beim Ludwigshafener Unternehmen Sun Chemical. Das ist vom Arbeitgeber so gewollt, denn die Spiele sind eigens für die Angestellten entwickelt worden. Straßner spielt einen Verkäufer in einer Preisverhandlung. Sein Gegenüber lernt er in einem Video kennen.

Im Laufe des Spiels passiert dann immer etwas Ungewöhnliches. Zum Beispiel wird sein Gegenüber plötzlich laut oder es will die Verhandlungen abbrechen. Unter Zeitdruck muss Straßner reagieren und die richtigen Antworten finden, um seinen virtuellen Verhandlungspartner zu beruhigen und sich am Ende doch noch mit ihm zu einigen. "Das macht Spaß", erzählt er. "Und ich mache mich mit der Situation vertraut und lerne, wie ich am besten damit umgehen kann."

Weniger Fehler durch spielerisches Lernen?

"Gamification" - oder auch Gamifizierung - werden solche Versuche genannt, Angestellte mit Spielen im Arbeitsalltag zum Lernen oder zu besseren Leistungen zu motivieren. "Spiele kann man auf die verschiedensten Weisen in den Arbeitsalltag einbauen", sagt Benedikt Morschheuser. Er ist Juniorprofessor für Wirtschaftsinformatik an der Universität Erlangen-Nürnberg und beschäftigt sich vor allem mit "Gamification".

Die spielerischen Elemente könnten Beschäftigte zum Beispiel dazu motivieren, weniger Fehler bei der Arbeit zu machen oder sich nachhaltiger zu verhalten, sagt Morschheuser. "Es hängt ganz davon ab, wie das Spiel gestaltet ist." Das reiche von Arbeiten am Fließband mit verbundenen Augen bis zu aufwändigen Computerspielen.

Es geht auch um Spaß und gute Laune

Besonders beliebt seien Herausforderungen und Rätselspiele. "Es geht darum, die Tätigkeit attraktiver zu machen. Wir verwenden dazu Elemente aus Spielen, die uns motivieren. Das sind zum Beispiel Challenges."

Sun Chemical hat sich dafür entschieden, die Spiele erstmal nur zur Fortbildung der Mitarbeiter einzusetzen. Ihre Verkaufszahlen sollen die Angestellten nicht direkt vergleichen können. "So eine Art von Wettbewerb wollen wir nicht", sagt Anna Herbst. Sie ist im Unternehmen für "Gamification" zuständig. Zwar gebe es auch Bestenlisten unter den Vertrieblern. Da träten aber Teams gegeneinander an und keine einzelnen Angestellten. "Bei uns hat der Teamcharakter einen hohen Stellenwert."

Sozialer Druck kann demotivieren

Sozialer Druck sei tatsächlich ein Risiko von "Gamification" in der Arbeitswelt, sagt Wirtschaftsinformatiker Morschheuser. "Ein Wettkampf kann auch demotivieren, wenn jemand zum Beispiel sieht: 'So gut wie die anderen werde ich in diesem Spiel nicht mehr sein'." Aber auch zu viel Begeisterung sei nicht gut. "Es besteht die Gefahr, dass Menschen sich sehr stark motivieren lassen und dabei eigene Grenzen überschätzen oder sogar gesundheitliche Risiken in Kauf nehmen." Die Unternehmen müssten sich ihrer ethischen Verantwortung bewusst sein - auch damit sie ihre Angestellten nicht unbewusst in eine bestimmte Richtung erziehen.

"Wir wollen unsere Mitarbeiter nicht manipulieren", sagt Anna Herbst von Sun Chemical. "Trotzdem wollen wir unseren Vertriebsmitarbeitern eine gewisse Mentalität vermitteln und verschiedene Verkaufsstrategien beibringen."

"Man lernt im Moment"

Der Entwickler der Plattform, Peter Kuntz, hat deswegen darauf geachtet, die Spielsituationen zwar unterhaltsam, aber nicht unrealistisch zu gestalten. "Die nachgespielten Verhandlungssituationen basieren alle auf echten Geschichten aus der Praxis", sagt Kuntz.

Das Programm hat er speziell für die Ludwigshafener Firma entwickelt. Es ist so gestaltet, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter spielen können, wann immer sie Zeit dazu haben. "Manche Spiele kann man zwischendurch in ein paar Minuten durchspielen. Für andere muss man erst Lernmaterial durcharbeiten, bevor man die Aufgaben lösen kann." Diese Spiele seien sinnvoll, wenn der Beschäftigte beispielsweise eine bestimmte Kundenanfrage zu beantworten hat und sich dafür fachlich nochmal einarbeiten muss. "Man lernt in dem Moment, in dem man es braucht", erklärt Kuntz. Das bringe den Spielern mehr als das "Lernen auf Vorrat", bei dem viel erlerntes Wissen bis zu dem Zeitpunkt, an dem es gebraucht werde, verloren gehe.

Freiwilligkeit als Grundvoraussetzung

Die größte Herausforderung bei "Gamification" ist, Beschäftigte nachhaltig von den Spielen zu begeistern. "Freiwilligkeit spielt eine wichtige Rolle", sagt Gamification-Forscher Morschheuser. "Ohne Freiwilligkeit wird das Spiel zur Arbeit und nicht die Arbeit zum Spiel."

Dazu müsse man das Spiel laufend weiterentwickeln, um immer neue Anreize zu schaffen. "Das ist wie bei normalen Computerspielen", sagt Morschheuser. "Ohne regelmäßige neue Inhalte lässt die Motivation nach ein paar Wochen oder Monaten wieder nach."

Mehr "Gamification" durch Künstliche Intelligenz?

"Irgendwann wird Gamification wahrscheinlich in den meisten Unternehmen dazugehören", sagt Morschheuser. "Computerspiele durchdringen die Gesellschaft schon jetzt. Wenn ich mir zum Beispiel eine App zum Lernen einer neuen Sprache installiere, erwarte ich automatisch spielerische Elemente. Ich gehe davon aus, dass sich auch im Arbeitsleben die Erwartungen verändern werden."

Einen Schub könnte da auch der Einsatz von Künstlicher Intelligenz geben, vermutet Entwickler Kuntz. Er will versuchen, KI in seine Programme zu integrieren, um die Spiele zum Beispiel besser auf den individuellen Spieler oder die Spielerin zuzuschneiden.

Morschheuser sieht zusätzlich die Chance, dass Spiele den Umgang mit KI erleichtern können. "Noch fällt es vielen schwer, KI in den Arbeitsalltag einzubauen. Viele Menschen haben da auch Angst davor. Ein spielerischer Umgang könnte den Menschen helfen, mit KI zusammenzuarbeiten und ihnen den Umstieg erleichtern."