Die Hände eines Gamers auf einer beleuchteten Tastatur

Virtuelle Schatzkisten Glücksspiel für Kinder?

Stand: 09.01.2024 11:27 Uhr

Ein Klick und die virtuelle Schatzkiste öffnet sich: Paul zahlt und zockt im FIFA-Online-Game in der Hoffnung auf den Mega-Star für sein Team. Doch meistens gibt es eine Niete. Denn hier gewinnt vor allem der Spielehersteller.

Von Marvin Mohr, WDR

Vor 30 Jahren startete das Fußball-Simulationsspiel FIFA. Heute ist es auf allen Plattformen, Konsolen und auch mobil längst ein Klassiker der Computer-Spielewelt. Millionen Kinder und Jugendliche wie Paul kicken täglich auf ihren Bildschirmen. Echte Superstars wie Lionel Messi, Cristiano Ronaldo und Kylian Mbappé bewerben das Spiel und sind auch als virtuelle Spielfiguren zu haben.

Der 17-jährige Paul hat sich über Jahre seine eigene Mannschaft aufgebaut - oder besser: zusammengekauft. Die Top-Stars können zwar auch erspielt werden, aber dafür muss man sehr viel und sehr gut FIFA spielen.

Faktisch öffnet sich der Weg zur Spitzenmannschaft nur mit Geld. Das wird erst in die FIFA-Spielwährung und dann in sogenannte Lootboxen gesteckt - virtuelle Überraschungspakete ähnlich den Panini-Sammelbildern von einst. Auch die Preise sind ähnlich. Lootboxen in Videospielen kosten etwa einen Euro.

FIFA allein hat seinen Machern 2021 durch den Verkauf von Lootboxen 1,6 Milliarden US-Dollar eingespielt. Der Markt ist gigantisch: 2020 betrugen die Einnahmen durch Lootboxen weltweit über 15,2 Milliarden US-Dollar, Tendenz steigend.

Denn nicht nur FIFA, sondern der Großteil der Spieleanbieter setzt auf Lootboxen, ob für Konsole oder Handy. Mal sind es Waffen, mal Rüstungen aus Gold. Aber immer wird damit gelockt, dass dieser Gegenstand entscheidend für den Spielerfolg sein könnte.

Süchtig machende Glücksspielautomaten

Der Suchtfaktor ist hoch, die Chancen auf einen sinnvollen Gewinn liegen meistens unter einem Prozent. "Ich denke mir da schon: Ja, jetzt ist das Geld weg und ich habe nichts Gutes gezogen, ich hätte es besser wissen müssen. Aber beim nächsten Mal geht es dann wieder genauso schnell", erzählt Paul.

Seit seinem 14. Lebensjahr hat Paul schon mehr als 1.000 Euro verspielt. Der Suchttherapeut Christian Groß betreut seit Jahren glücksspielabhängige junge Patienten und Patientinnen in der Bernhard-Salzmann-Klinik in Gütersloh. Er warnt: "Die Computerspiele von heute, mit diesen Glücksspiel-immanenten Faktoren sind ein enormes Risiko für die Entwicklung einer Glücks- und Computerspielsucht bei Kindern und Jugendlichen."

So tobt in Millionen Kinderzimmern, was früher in Spielhöllen mit Altersbeschränkung verbannt war: das Zocken mit echtem Geld. Wie in Pauls Fall sind die Eltern nur wenige Meter entfernt, aber meist völlig ahnungslos.

Christian Groß

Der Suchttherapeut Christian Groß betreut in der Bernhard-Salzmann-Klinik in Gütersloh glücksspielabhängige junge Patienten und Patientinnen.

Zu niedrige Altersbeschränkungen?

In Deutschland ist Glücksspiel erst ab 18 Jahren erlaubt, aber Spiele mit Lootbox-Inhalten sind teilweise schon ab 0 Jahren freigegeben. Was ein jugendgefährdendes Glücksspiel sei, entscheide nicht der Suchtfaktor, hier zähle eine juristische Definition, sagt der Rechtswissenschaftler Martin Maties von der Uni Augsburg. Bei Spielautomaten bestehe die Chance auf echten Geldgewinn, bei Computerspielen hingegen nur auf virtuelle Belohnung.

Aber schon längst existieren Online-Plattformen, die mit echtem Geld gewonnene Gegenstände aus Lootboxen gegen echtes Geld zurücktauschen. Damit wäre die Unterscheidung hinfällig, so Maties.

Martin Maties

Martin Maties leitet die Forschungsstelle E-Sport-Recht an der Universität Augsburg.

2023 wurde das FIFA-Spiel mit seinen Lootboxen von einem österreichischen Gericht in Wien erstmals als Glücksspiel eingestuft. Mit der Konsequenz, dass die Hersteller das für Lootboxen ausgegebene Geld zurückerstatten müssen. In Belgien gelten Lootboxen bereits seit 2018 als illegales Glücksspiel.

In Deutschland berufen sich die Industrie und die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) hingegen weiter darauf, nicht gegen Gesetze zu verstoßen. Der Sucht- und Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Burkhard Blienert, fordert jedoch endlich ein Eingreifen der Politik und eine eindeutige Altersbeschränkung für Spiele mit Lootbox-Inhalten.

Das wäre revolutionär für das Geschäftsmodell der Gaming-Welt. Deutschland ist der größte Computerspielmarkt Europas, mit beachtlichen Steuereinnahmen. Dass diese zu einem Teil aus den Taschengeld-Etats der Kinder sprudeln und auch noch Glücksspiel- und Suchtgefahr droht, scheint den Erwachsenen erst allmählich zu dämmern.

Mehr dazu sehen Sie in der Doku "Glücksspiele für Kinder? - Wie Fifa & Co an Kids verdienen" in der ARD Mediathek.