Biden und Selenskyj in Kiew
Kommentar

US-Präsident in Kiew Was Biden beweisen wollte

Stand: 21.02.2023 12:19 Uhr

Mit seiner Reise in ein Kriegsgebiet ist US-Präsident Biden ein großes Risiko eingegangen, sagt Katrin Brand. Offenbar wollte er in Kiew Führung zeigen und Solidarität mit der Ukraine. Doch Biden weiß auch: Es wird nicht einfacher werden - für alle.

Ein Kommentar von Katrin Brand, Washington

Perfekte Überraschung, sauberes Timing, schöne Bilder: Team Biden hatte am Ende eines sehr, sehr langen Tages allen Grund, sich auf die Schultern zu klopfen.

Am Samstagabend noch war der Präsident mit seiner Frau in Washington schön essen gegangen, was immer eine sehr öffentliche Angelegenheit ist, weil die gepanzerten Limousinen einfach nicht zu übersehen sind. Und dann hatte er sich am Sonntag in aller Frühe ganz unbemerkt in Richtung Kiew aufgemacht. Und wenn die Einwohner dort nicht von verdächtig vielen gesperrten Straßen berichtet hätten, wäre seine Mission womöglich bis zur Abreise unentdeckt geblieben.

Ein erhebliches Risiko

Das Risiko, einen amerikanischen Präsidenten in ein Kriegsgebiet fahren zu lassen, das nicht von amerikanischen Truppen gesichert wird, ist riesig. Noch ist nicht bekannt, welcher logistische Aufwand und welche Finten nötig waren, um Joe Biden sicher nach Kiew und zurück zu bringen. Nur so viel ist bekannt: dass die russische Kriegspartei informiert war.

Aber der US-Präsident ist das Risiko eingegangen, weil er offenbar etwas beweisen wollte. Dass er kein zaudernder alter Mann ist, wie es seine Kritiker behaupten, sondern der Anführer der westlichen Welt. Und dass er wirklich und wahrhaftig und buchstäblich an der Seite der Ukraine steht. Als beim Spaziergang unter blauem Himmel die Sirenen heulten, bekam er tatsächlich etwas vom Lebensgefühl der Stadt mit.

Es wird nicht leichter

Besser wird es leider nicht. Bidens schöne Bilder - der Staatsmann neben dem Kriegspräsidenten - können nicht vertuschen, dass das kommende Jahr dramatisch schwierig wird. Ja, ein Jahr nach Kriegsbeginn steht Kiew, steht die Ukraine und steht die Hilfe des Westens - noch. Aber: Wie lange noch? Und: was kommt noch?

In den USA sinkt die Bereitschaft, die Ukraine weiter wie bisher zu unterstützen. Das Geld werde zu Hause gebraucht und außerdem sei dieser Krieg Sache der Europäer, sagen einige wenige, aber sehr lautstarke Republikaner. Wann ist dieser Krieg zu Ende, warum wird nicht längst verhandelt, wird nicht nur in den USA gefragt.

Wie wird Putin reagieren?

Heute schon kann Biden eine scharfe Antwort auf seinen verwegenen Trip in die Ukraine erwarten - wenn nämlich der russische Präsident Putin seine Rede zur Lage der Nation hält. Moskau sieht Bidens Reise als provokanten Photostop an.

Wird Putin etwa auf Hilfe aus China setzen, um den Krieg schnell zu gewinnen? Oder will er den Krieg bis 2024 ziehen - bis möglicherweise ein neuer, alter US-Präsident Trump ihm die Ukraine einfach abtritt?

Woran Biden gemessen wird

Es gibt so viele Unwägbarkeiten, so viele Szenarien. Und nichts davon lässt auf einen schnellen Frieden in der Ukraine hoffen.

Biden wollte so gerne US-Präsident werden, um sein Land zu einer, wie er meint, gerechteren Gesellschaft zu machen. Nun wird sein Erfolg als Präsident daran gemessen, ob er einen unauflösbaren Krieg in Europa zum Ende bringen kann.

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