Ein fiktiver Einbrecher hebelt mit einem Brecheisen eine Tür im Keller eines Wohnhauses auf
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Polizeiliche Kriminalstatistik Ein komplexes Problem, das komplexe Antworten erfordert

Stand: 09.04.2024 18:43 Uhr

Der Polizeilichen Kriminalstatistik zufolge gab es im vergangenen Jahr mehr Straftaten. Die Sachlage ist jedoch komplex und hat viele Faktoren. Es gibt keinen Anlass für Pauschalverurteilungen.

Ein Kommentar von Jan Frédéric Willems, ARD-Hauptstadtstudio

Die Polizeiliche Kriminalstatistik war noch nicht mal offiziell veröffentlicht, da war für viele schon klar: Die "Ausländerkriminalität" explodiert und gefährdet Leib und Leben der Deutschen - so der Tenor vieler Medien. Aber diese Statistik ist keine Fünf-Minuten-Terrine, die klare Ergebnisse und klare Handlungsanweisungen mitbringt. Sie bildet ein kompliziertes Problem ab, bei dem man sich schmerzhafte Fragen stellen und Zeit für die Analyse nehmen muss.

Denn es gibt eine Reihe von Fallstricken, die beachtet werden sollten, bevor ein Urteil gefällt wird. Fallstrick 1: Nicht jeder ausländische Tatverdächtige ist ein Täter. Bis ein Urteil gesprochen wurde, gilt die Unschuldsvermutung. Und bei den aktuellen Zahlen geht es vor allem um Verdächtige. Studien legen außerdem nahe, dass ausländisch gelesene Menschen häufiger angezeigt werden, als deutsch gelesene. Je fremder ein Täter wirkt, desto wahrscheinlicher ist es, dass er auch angezeigt wird.

Knapp drei Viertel der Tatverdächtigen sind Männer

Fallstrick 2: Die Zahl der Tatverdächtigen ohne deutschen Pass ist deutlich gestiegen - es gibt aber auch mehr Ausländer in Deutschland. Es ist nur folgerichtig, dass, wenn ihr Anteil an der Bevölkerung wächst, auch ihr Anteil an den Straftätern wächst. Bereinigt man die Zahlen nur um diesen grundlegenden Fakt, kommt man zu einem ganz anderen Schluss: Kriminalität von Ausländern steigt weniger stark an als die Kriminalität von Deutschen.

Fallstrick 3: Nichtdeutsche sind überproportional in den Kriminalitätsstatistiken vertreten, das ist ein Fakt. Sie sind aber eben nicht nur "Ausländer", sondern vielleicht selbst Opfer von Gewalt in ihrer Heimat oder auf der Flucht gewesen, teils traumatisiert und oft: Männer.

Denn auch das ist ein Fakt: Knapp drei Viertel der Tatverdächtigen aus der Kriminalstatistik sind Männer. Auch das hätte eine Schlagzeile und Anlass für eine nationale Debatte sein können. Stattdessen wird aber lieber auf die diffuse Gruppe der "Fremden" gezeigt. Das ist unsauber.

Die Statistik ernst nehmen

Was macht man also mit dieser Kriminalstatistik? Ernst nehmen, das ist klar. Der Anstieg der Straftaten, vor allem der Gewaltdelikte und der hohe Anteil der nicht-deutschen Tatverdächtigen sind Anlass zur Sorge. Allerdings sollte man seriös bleiben und ein so komplexes gesellschaftliches Phänomen wie Kriminalität nicht mit der einzeiligen Antwort "Die Ausländer waren's" abspeisen.

In diesem Kontext ist es natürlich legitim zu fordern, dass Migration geordnet ablaufen muss. Dass, wer kriminell ist und abgeschoben gehört, auch abgeschoben wird. Und dass das Integrationssystem so aufgestellt wird, dass es seine Aufgabe auch bewältigen kann.

Das ist auch im Sinne der Menschen, die hierherkommen. Nur wenn ihnen ein ordentliches Integrationsangebot gemacht wird, Aufmerksamkeit, Platz und Ressourcen gewidmet werden, wird man ihrem Anspruch gerecht - und verhindert, dass sie kriminell werden.

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Jan Frederic Willems, ARD Berlin, tagesschau, 09.04.2024 18:33 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 09. April 2024 um 17:00 Uhr.