Kommentar

Festnahme von Abdeslam Nur ein Schein-Triumph

Stand: 19.03.2016 18:30 Uhr

Allzu lang sollten die Behörden nach der Festnahme von Abdeslam nicht jubeln. Sondern sich darauf konzentrieren, den Terrormilizen den Nährboden zu entziehen. Denn ohne Radikalisierung gäbe es keine Terroristen, denen man nachjagen müsste.

Ein Kommentar von Kai Küstner, ARD Brüssel

Von Kai Küstner, ARD-Studio Brüssel

Mit den triumphierenden Worten "Wir haben ihn!" feierte die belgische Regierung den so dringend benötigten Fahndungserfolg, nachdem ihr - endlich - der meistgesuchte Mann Europas, Salah Abdeslam, ins Netz gegangen war.

"Wir haben ihn! We got him!"- das waren auch die Worte, die US-Präsident Barack Obama sprach, nachdem amerikanische Spezialkräfte 2011 in einer pakistanischen Kleinstadt den bis dahin meistgesuchten Mann der Welt aufgespürt hatten: Osama bin Laden. Dass es auf dem Erdball seit dem Tod bin Ladens sicherer geworden wäre, lässt sich leider nicht behaupten - im Gegenteil.

Und deshalb sollte man auch jetzt, nach der Festnahme des mutmaßlichen Paris-Drahtziehers Abdeslam, nicht so tun, als habe Europa den Kampf gegen den Terror gewonnen. Wenn die Demokratie gegen die selbsternannten Dschihadisten bestehen will, braucht sie dann und wann Erfolgserlebnisse. Einen solchen kleinen Sieg haben die Fahnder ihr nun ohne Zweifel beschert. Umso besser, dass Abdeslam lebend gefasst wurde, was seine Chancen, von Gesinnungsgenossen zum Märtyrer verklärt zu werden, erheblich sinken lässt.

Vorbeugen statt nachjagen

Aber das alles kann und sollte uns nicht von der Richtigkeit dieses Satzes ablenken: Wenn Europa von vornherein dafür sorgen würde, dass junge Menschen sich gar nicht erst radikalisieren, muss es sich nicht im Nachhinein mühsam auf monatelange Terroristensuche machen. Das ist natürlich leichter gesagt als getan. Aber jetzt wäre der Moment, sich darüber Gedanken zu machen.

Dass der "Islamische Staat" mit seinen falschen Illusionen Erfolg hat, hat sehr viel mit tiefsitzender Frustration und mit Minderwertigkeitsgefühlen zu tun. Und zwar im Großen wie im Kleinen: Was junge Belgier, junge Europäer nach Syrien und geradewegs in die Arme des IS treibt, hat der jüngsten Forschung zufolge weniger mit Religion zu tun als vielmehr damit, dass diese Menschen absolut keine Zukunft in ihrer Heimat für sich sehen.

Gefühl eines "Fußabtreters der Geschichte"

Ebenso hat - im Großen - der Erfolg der Terrororganisationen, angefangen mit Al Kaida, auch damit zu tun, dass sich Muslime in bestimmten Erdteilen seit Jahrzehnten als die "Fußabtreter der Geschichte" fühlen.

Der IS lässt sich in Syrien und im Irak nur bezwingen, wenn man der Religionsgruppe der Sunniten - aus der die Terrormilizen Anhänger gewinnen - die Sicherheit gibt, in ihren jeweiligen Staaten nicht als "Menschen zweiter Klasse" behandelt zu werden. Und in Europa lässt er sich nur bezwingen, wenn man jungen Männern - der wievielten Einwanderergeneration auch immer - ebenso das Gefühl gibt, nicht "Menschen zweiter Klasse" zu sein.

Es gilt also, ganze "Sümpfe trockenzulegen", die im Moment noch Nährboden für Terrorismus sind. An diese Aufgabe sollten wir uns machen. Und uns nicht damit aufhalten, Schein-Triumphe wie die Festnahme Abdeslams allzu lange und ausgiebig zu feiern.

Redaktioneller Hinweis

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Dieses Thema im Programm: Dieser Beitrag lief am 19. März 2016 um 17:15 Uhr im Deutschlandradio Kultur.