Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)

Asylanträge Flüchtlingsbehörde droht Überlastung 

Stand: 12.10.2023 06:01 Uhr

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) versucht, die hohe Zahl der Asylanträge zu bewältigen. Die eigentliche Kapazitätsgrenze ist offenbar überschritten.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) scheint angesichts der steigenden Zugangszahlen an seine Belastungsgrenze gestoßen zu sein. Nach Informationen von WDR und NDR ist die Behörde offenbar darauf eingestellt, in diesem Jahr nur rund 230.000 Asylanträge zu bearbeiten - also so viele wie im gesamten Jahr 2022.

Der Wert des Vorjahres ist aber bereits jetzt überschritten, wie das BAMF am Montag mitteilte. Demnach wurden allein bis Ende September mehr als 251.000 Erst- und Folgeanträge gestellt. Im Laufe des Jahres 2023 kommen die meisten Antragsteller aus Syrien, Afghanistan und der Türkei.

Massiver Überstundenbedarf

Der Recherche zufolge wird der laufende Betrieb des BAMF vor allem durch Umschichtungen des Personals in den Asylbereich sichergestellt. Intern ist laut den Informationen die Rede von einer "Kraftanstrengung". Mancher spricht drastischer von einem "Absaufen" der Behörde. Nach offiziellen Angaben des BAMF liegt die Zahl der Überstunden in diesem Jahr aktuell bereits bei etwa 200.000 - im gesamten Kalenderjahr 2022 waren es mit 230.000 nur etwas mehr. 

In Regierungskreisen rechnet man mittlerweile mit deutlich mehr als 300.000 Asylanträgen bis zum Ende des Jahres. Im BAMF soll die Leitung bereits im Frühjahr unterschiedliche Szenarien ausgearbeitet haben - um so gut wie möglich auch mit sehr hohen Zugangszahlen umgehen zu können.

Bisheriger Höchstwert wird wohl nicht erreicht

Ein internes Szenario soll selbst die Zahl von mehr als 400.000 möglichen Asylanträgen für das Jahr 2023 nicht ausgeschlossen haben. Zum Vergleich: Auf dem Höhepunkt der sogenannten Migrationskrise 2015 und 2016 waren beim BAMF im ersten Jahr rund 480.000 beziehungsweise dann fast 750.000 Asylanträge gestellt worden - der bisherige Höchstwert.

Die Behörde mit Hauptsitz in Nürnberg ist zentral für den Umgang mit der hohen Zahl von Schutzsuchenden. Sie gilt als Flaschenhals des Systems, da sie darüber entscheidet, ob ein Asylantrag angenommen oder abgelehnt wird.

Offizielle Prognosen für die Gesamtzahl der Asylzugänge geben weder die Bundesregierung noch deutsche Behörden heraus - auch wenn diese etwa den Bundesländern oder den Kommunen dabei helfen könnten, so vorausschauend wie möglich Kapazitäten für die Unterbringung und Versorgung einzuplanen.

Das BAMF hatte solche Veröffentlichungen in der Flüchtlingskrise 2015/2016 gestoppt, da die Entwicklungen oftmals schnell vonstatten gingen und die Prognosen schließlich sehr ungenau waren.

Umschichtungen und Einsatz von Leiharbeitern

Wie das Bundesamt auf Anfrage mitteilt, habe man bereits im zweiten Halbjahr 2022 "zeitnah" auf steigende Zahlen reagiert: Intern habe man etwa im Rahmen des Konzeptes der "flexiblen" Behörde "umpriorisiert", also zum Beispiel Mitarbeiter aus anderen Bereichen abgezogen und im Asylbereich eingesetzt.

Dazu sei es zu Neueinstellungen sowie zum Einsatz von Leiharbeitern gekommen. Das Personal im Bereich der sogenannten Asylverfahrenssekretariate sei so um etwa 25 Prozent verstärkt worden, um schnelle Antragsstellungen zu ermöglichen, erklärte das BAMF.

Bearbeitungszeit noch nicht deutlich gestiegen

Die Behörde konnte dadurch offenbar vorerst eine Überlastung abwenden: Trotz der gestiegenen Zahl von Asylgesuchen und -anträgen habe man zunächst die Zeitspanne von der Registrierung eines Asylbewerbers nach der Einreise bis zur Antragsstellung auf rund 19 Tage senken können, wie das Bundesamt mitteilte.

Das ist zwar länger als im Juni 2022, aber deutlich kürzer als die 34,7 Tage, die Ende 2022, als sich die Lage erstmals zuspitzte, zwischen Registrierung und Asylantragsstellung lagen. Angesichts der aktuellen Lage erklärte das BAMF vorsichtig: "Die weitere Entwicklung wird intensiv beobachtet."

Eigentlich sollen Asylbewerber erst nach dem Stellen ihres Antrags die Erstaufnahmeeinrichtungen der Bundesländer verlassen und auf die Kommunen aufgeteilt werden. Das klappt aber schon längst nicht mehr, weil die Kapazitäten mehrerer Bundesländer ausgereizt sind - das wiederum hängt auch mit der angespannten Lage auf dem Wohnungsmarkt zusammen. Durch Fahrtzeiten und Zustellungen vergehen dann weitere Tage beziehungsweise Wochen bis zur Antragsstellung.

Niedersachsen erklärte bereits Mitte September, dass die Landesaufnahmebehörde "absehbar an ihre Auslastungsgrenze" stoße. Asylsuchende würden "gegebenenfalls vor der Anhörung, notfalls auch bereits vor der Antragsstellung auf die niedersächsischen Kommunen verteilt", so das Innenministerium in Hannover.

Bereits im September wurde etwa die Hälfte der neu eintreffenden Asylsuchenden ohne vorherige Anhörung auf die Kommunen verteilt. Eine dann notwendige Extra-Ladung führe "grundsätzlich zu längeren Asylverfahrensdauern", hieß es.

Bayerische Asylunterkünfte Mitte September zu 96 Prozent belegt

Die bayerischen Asylunterkünfte waren laut Innenministerium in München Mitte September zu 96 Prozent belegt: "In Ausnahmefällen kann es vorkommen, dass die Asylbewerber aus den 'Ankern' verteilt werden, auch wenn noch nicht alle Schritte beim BAMF abgeschlossen sind." In sogenannten Anker-Einrichtungen versuchen Bund und Länder, die Prozesse rund ums Asyl zu bündeln. Aufgrund der hohen Zugänge würde sich auch beim BAMF die Verfahrensdauer verlängern, hieß es weiter aus dem bayerischen Innenministerium.

Sachsens Innenministerium sprach vor Kurzem auf Anfrage von einer "angespannten" Lage bei den Kapazitäten der Landesaufnahmeeinrichtungen. Man versuche, eine Verteilung vor der Antragsstellung "zu vermeiden" - sonst führe es zu einem "nicht unerheblichen zusätzlichen zeitlichen und personellen Aufwand, verbunden mit erheblichen finanziellen Auswirkungen".

In Nordrhein-Westfalen erklärte das Migrationsministerium, dass hohe Zugangszahlen dazu führen können, dass "Asylsuchende etwas schneller auf die Kommunen verteilt werden" - hierbei würden vor allem Personen ausgewählt, die sowieso gute Bleibechancen hätten, wie etwa Familien mit minderjährigen Kindern.

Kommunen beklagen fehlende Unterstützung vom Bund für Notunterkünfte

David Zajonz, WDR, tagesschau, 12.10.2023 12:00 Uhr