Interview

Interview mit einem BAMF-Entscheider "Es gibt Fälle, die man mit nach Hause nimmt"

Stand: 05.08.2016 08:43 Uhr

Eine halbe Million offener Asylverfahren stapeln sich im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Wer bleiben darf, darüber befinden die sogenannten Entscheider. Einer von ihnen ist G. Abid. Ein Gespräch über Druck, falsche Angaben und schwere Entscheidungen.

tagesschau.de: Der Druck auf die Entscheider im BAMF, die Verfahren abzuarbeiten und die langen Wartezeiten zu verkürzen, ist hoch. Geht das nicht zwangsläufig auf Kosten der Sorgfalt?

Abid: Wir haben keine Vorgabe von der Zentrale in Nürnberg, wie lange eine Anhörung zu dauern hat, sondern den Auftrag, uns Zeit zu nehmen für den Antragsteller und jeden Fall individuell und umfangreich zu prüfen. Ich hatte schon Anhörungen, die zwei Stunden und solche, die acht Stunden gedauert haben. Es hängt immer davon ab, was der Antragsteller vorzutragen hat. Manchmal ist es ein umfangreiches Verfolgungsschicksal mit komplexen Sachverhalten, das einer längeren Zeit, einer genaueren Kontrolle und einer genaueren Überprüfung der Angaben bedarf.

tagesschau.de: Wie oft werden Sie bei diesen Anhörungen belogen?

Abid: Das passiert hin und wieder und gehört zum Alltag eines Entscheiders dazu. Man sollte es nicht als persönlichen Angriff werten, sondern professionell damit umgehen.

tagesschau.de: Wie merken Sie denn, dass ein Flüchtling falsche Angaben macht, etwa zu seiner Identität oder Herkunft?

Abid: Wir stellen konkrete Fragen zur räumlichen, geografischen Situation: Gebäude, Moscheen, Fußballstadien, man fragt auch gerne nach Märkten, ob da Namen bekannt sind, nach Bezirken oder Stadtteilen. Wenn unrichtige Angaben gemacht werden, treten da relativ schnell Widersprüche auf. Und letztendlich merkt man das auch an der nonverbalen Kommunikation: Wenn jemand anfängt zu stottern, wenn jemand anfängt stark zu schwitzen, wenn der Blickkontakt ganz und gar nicht mehr gegeben ist, dann sind das schon Indizien, dass hier eventuell etwas nicht stimmt.

tagesschau.de: Kann man solche Antworten nicht einfach pauken?

Abid: Nein, das merkt man. Je länger man hier tätig ist, desto schärfer wird das eigene Profil bezüglich der Identitätsprüfung. Letztendlich ist die Identitätsprüfung aber auch nur eine Facette von vielen Fragen im Rahmen der Anhörung und mit diesen Facetten wird dem Entscheider die Möglichkeit gegeben, sich ein umfassendes Bild über den jeweiligen Antragsteller machen zu können.

"Ich schlafe immer eine Nacht drüber"

tagesschau.de: Viele Flüchtlinge warten Monate, manche mehr als ein Jahr auf ihre Anhörung. Verstehen Sie, dass da Gefühle wie Ungeduld oder sogar Wut aufkommen?

Abid: Ja, ich kann den Unmut auf jeden Fall nachvollziehen, aus meiner privaten und persönlichen Sicht. Auf jeden Fall kann ich als Entscheider aber sagen, dass wir bestrebt sind, so schnell wie möglich eine Klarheit über die Entscheidung des Antragstellers herzustellen.

tagesschau.de: Wie geht es weiter, nachdem Sie einen Flüchtling angehört haben?

Abid: Als Entscheider kann ich eine Empfehlung geben, die dann an das Entscheidungszentrum übersandt wird. Das Entscheidungszentrum folgt in der Regel dieser Empfehlung.

tagesschau.de: Haben Sie sich innerlich am Ende einer Asylanhörung bereits entschieden?

Abid: Ich treffe die Entscheidung grundsätzlich nicht am selben Tag, sondern schlafe noch eine Nacht darüber und schaue mir das in den nächsten Tagen noch mal in Ruhe an.

tagesschau.de: Spielt bei der Entscheidung auch eine Rolle, wie viele der Familienmitglieder nachkommen könnten?

Abid: Überhaupt nicht. Mein Anliegen ist es, das Verfolgungsschicksal des Antragstellers zu prüfen. Dieses ist dann ausschließliche Entscheidungsgrundlage.

Entscheider beim BAMF

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ist zuständig für Asylverfahren in Deutschland - für die Anhörung und den Bescheid, ob den Bewerbern letztlich Schutz gewährt oder der Antrag abgelehnt wird, sind die Entscheider und Entscheiderinnen beim Bundesamt zuständig. Waren es im Oktober 2015 noch 370, waren es im Juli 2016 schon 1488 Vollzeitstellen - das heißt, es gibt mehr Entscheider und Entscheiderinnnen, mit ihren unterschiedlichen Arbeitszeiten ergibt sich jedoch insgesamt diese Zahl.
Sie gehören dem allgemeinen, nichttechnischen Verwaltungsdienst an. Einige sind verbeamtet, andere befristet eingestellt. Die Entscheider sitzen in den Außenstellen und Ankunftszentren des Bundesamts.
Fachliche Voraussetzungen sind neben umfassenden Kenntnissen des Asyl- und Ausländerrechts das detaillierte Wissen über die politische Lage in den Herkunftsländern der Flüchtlinge. Außerdem müssen die Entscheider Soft-Skills nachweisen und zum Beispiel gängige Interviewtechniken beherrschen, sowie kultursensibles Einfühlungsvermögen und interkulturelle Kompetenzen besitzen.

"Ich gehe mit der notwendigen Distanz an die Sache heran"

tagesschau.de: Sie entscheiden also Tag für Tag über das Schicksal von Menschen. Wie viel nimmt man davon abends mit nach Hause?

Abid: Es gibt schon Fälle, die man mit nach Hause nimmt, die einen noch über die Zeit hinweg beschäftigen. Aber ich hatte bislang noch keinen Fall, bei dem ich sage, dass ich dadurch Probleme in der Ausübung meiner Tätigkeit als Entscheider hatte. Man erarbeitet sich eine gewisse Professionalität. Das heißt, ich gehe mit der notwendigen Distanz an die Sache heran. Ich bin neutral, objektiv und unbefangen, wenn ich mir ein Verfolgungsschicksal anhöre.

tagesschau.de: Was meinen Sie: Sind Sie ein eher harter oder ein gnädiger Entscheider?

Abid: Ob ich ein harter Entscheider bin oder einer, der großzügiger ist, das kann ich nicht beurteilen. Das müssen andere entscheiden. Ich bin auf jeden Fall ein Entscheider, der nach Recht und Gesetz handelt. Für mich sind die rechtlichen Bestimmungen ausschlaggebend dafür, wie jemand beschieden wird.

Das Interview führte Matthias Deiß, ARD-Hauptstadtstudio, für tagesschau.de

Das Interview führte Matthias Deiß, ARD Berlin