Ausgabe der Zeitschrift "Deutsche Polizei" mit dem Thema "Umgang mit Reichsbürgern"
exklusiv

Veranstaltung in Bayern "Reichsbürger"-Netzwerk plant großes Treffen

Stand: 17.11.2023 05:00 Uhr

Sogenannte Reichsbürger kommen ab heute zu einem überregionalen Vernetzungstreffen zusammen. Recherchen von BR und MDR zeigen Verbindungen zu Gruppen, die unter Terrorverdacht stehen.

Von Sammy Khamis, Alexander Nabert, BR und Bastian Wierzioch, MDR

Sie wollen über "Mögliche Wege ins Deutsche Reich" diskutieren und nennen die Veranstaltung "Zukunftskongress": Sogenannte Reichsbürger wollen sich ab heute in einem Hotel im bayerischen Wemding zu einem überregionalen Vernetzungstreffen versammeln. Nach Einschätzung des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz handelt es sich bei der Veranstaltung an diesem Wochenende um eines "der größten Treffen" von "Reichsbürgern" in Deutschland.

Hinter dem Treffen steht nach Informationen von BR und MDR ein "Reichsbürger"-Netzwerk, das bereits zwei sogenannte "Zukunftskongresse" in Thüringen organisiert hat. Zu diesen kamen zwischen 100 und 200 Teilnehmer. Sicherheitskreise rechnen mit einer ähnlichen Anzahl in Bayern. Die Recherchen von BR und MDR zeigen Verbindungen zu Gruppen, die unter Terrorverdacht stehen.

In einer internen Gruppe auf Telegram wurde wochenlang für die Veranstaltung geworben. Aus dem dort geteilten Programm geht hervor, dass neben einem "Fahneneinmarsch" Vorträge von bekannten Größen der "Reichsbürger"-Szene geplant sind. Diese haben Titel wie "Was ist Deutsch? (am Gegensatz von christlich und jüdisch)" oder "Die Lösung für uns alle".

Vernetzung und finanzielle Interessen

Burkhard Körner, Präsident des Bayerischen Verfassungsschutzes, sagte BR und MDR: "Es geht um temporäre Vernetzung, es geht aber auch um finanzielle Interessen." Die Teilnahme an der Veranstaltung kostet 350 Euro, inklusive Unterkunft und Verpflegung.

"Reichsbürger" bestreiten die Existenz der Bundesrepublik, sie lehnen ihre demokratische Ordnung und das Grundgesetz ab. Der Verfassungsschutz rechnet der Szene 23.000 Personen in Deutschland zu, davon allein 5.500 Personen in Bayern. Im März veröffentlichte die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung eine repräsentative Studie, die ergab, dass fünf Prozent der Deutschen eine Nähe zum "Reichsbürger"-Gedankengut zeigten.

Für den Verfassungsschützer Körner ist ein großes Problem die "Waffenaffinität" der Szene. Immer wieder würden bei Razzien zahlreiche Waffen gefunden.

Veranstaltungsort: Mehrfach von AfD genutzt

Der Kongress soll in einem Hotel in der schwäbischen Kleinstadt Wemding stattfinden. Das Hotel war seit 2018 mehrfach Veranstaltungsort für die AfD. Landtagsabgeordnete und Bundestagsabgeordnete hielten dort Reden. Laut Sicherheitsbehörden fanden in dem Hotel auch Treffen der esoterischen Szene sowie "Reichsbürger"-Versammlungen statt.

Der Hotelbetreiber schreibt auf Anfrage: "Jeder der sich bei uns ordentlich benimmt und seine Rechnung bezahlt, ist unser Gast". Auch die Grünen oder Kirchenvertreter hätten schon Veranstaltungen im Hotel abgehalten. "Rechtsextreme waren noch nie bei uns", so der Hotelier.

Martin Drexler, CSU, Bürgermeister der Stadt Wemding, erfuhr erst durch eine Anfrage von BR und MDR von dem "Reichsbürger"-Treffen. "Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, die Würde des Menschen und die Einhaltung der Grundrechte sind die tragenden Prinzipien unseres Grundgesetzes", sagt er, "wir verurteilen jeden, der diese Prinzipien in Frage stellt und fordern ihn auf, diese Aktivitäten zu unterlassen." Ein Verbot des Treffens war von Behörden geprüft worden, rechtlich aber nicht durchsetzbar, heißt es.

Organisator: Holocaust nur "Behauptung"

Laut den Recherchen gehört Lothar W. aus München zu den Organisatoren des Kongresses. Lothar W. wird auch als Referent geführt. In einem Ankündigungsvideo der Veranstaltung spricht W. davon, dass es in der Geschichte schon "mehrfach Vernichtungskriege gegen den deutschen Menschen" gegeben habe.

In einer Telegram-Gruppe, die er als Administrator verwaltet, zeigt er sich besonders radikal. Er schreibt dort etwa: "Natürlich wollen wir zurück nach 1871, warum verteidige ich dann auch das 3. Reich? Nun, es geht um die Ehre unserer Vorfahren." In einer Nachricht schreibt er, der Holocaust sei eine Behauptung, die er "zahlenmäßig, naturwissenschaftlich, architektonisch, ressourcentechnisch und zeitlich" zerlegen werde. Nachfragen dazu von BR und MDR beantwortet er nicht inhaltlich - auch nicht die zu seiner Rolle beim Kongress.

Politikwissenschaftler: "Extrem rechte Ideologie"

Eine zentrale Rolle bei den Veranstaltungen nimmt Hans-Joachim M. ein. Er gehört zu den einflussreichsten Akteuren der "Reichsbürger"-Szene und gilt als Hauptredner des Kongresses. Gleich viermal steht er als Redner im Programm, unter anderem mit dem programmatischen Vortrag "Mögliche Wege ins Deutsche Reich".

Im Vorfeld des Kongresses wurde ein Video mit ihm auf Telegram verbreitet, in dem er eine Vorschau auf seinen Input dort gab. Darin nennt er sich den "Großvater" des Kongresses und sagt, Deutschland sei besetzt - durch die Amerikaner und die Polen.

Reichsbürger kommen auf "Zukunftskongress" zur Vernetzung und Mitgliederwerbung zusammen

Tobias Hildebrandt, BR, tagesthemen, 18.11.2023 23:15 Uhr

Die "Reichsbürger"-Szene ist ideologisch und organisatorisch heterogen. Beobachter der Szene sehen in Hans-Joachim M. jemanden, der Akteure mit verschiedenen Ansichten zusammenbringen kann.

Die ersten beiden "Zukunftskongresse" hätten laut dem Politikwissenschaftler Jan Rathje vom Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) gezeigt, dass nicht nur Reichsbürger dort präsent gewesen seien, "sondern auch Personen, die wir aus dem klassisch organisierten Rechtsextremismus und Neonazismus kennen. Das heißt, hier sind Brückenspektren am Werk, die versuchen, eine extrem rechte Ideologie in eine breitere Masse von verschwörungsideologisch Interessierten zu bringen."

Verbindungen zu mutmaßlichen Terroristen

Dabei sei "besonders problematisch", dass es Verbindungen der zentralen Akteure des dritten "Zukunftskongresses" und des dahinter stehenden Netzwerks zu zwei zuletzt unter Terrorverdacht stehenden "Reichsbürger"-Gruppierungen gebe. Dabei handelt es sich um die sogenannte "Gruppe Reuß" sowie die Vereinigung, die geplant haben soll, den Gesundheitsminister Karl Lauterbach zu entführen.

Für den ersten "Zukunftskongress" im Oktober 2022 wurde nach Informationen von BR und MDR die Teilnahme von Heinrich Reuß erwartet, dieser erschien jedoch nicht. Reuß gilt als Rädelsführer der nach ihm benannten "Reichsbürger"-Gruppe, der der Generalbundesanwalt seit Dezember 2022 vorwirft, als terroristische Vereinigung "die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland überwinden" zu wollen.

Dafür hätten sie Pläne zu einem bewaffneten Angriff auf den Bundestag verfolgt. Ein Foto, das BR und MDR vom zweiten Kongress im Juni 2023 vorliegt, belegt, dass einer der Beschuldigten aus dem Verfahren gegen die "Gruppe Reuß" teilnahm.

Der Hauptredner des Kongresses in Bayern, Hans-Joachim M., erklärte am Tag nach der Razzia gegen die Gruppe bei einem Vortrag, dass er die Festgenommenen kenne: "Ich kenne nämlich einige dieser Putschisten", sagte er darin, die diesen "Berliner Babylon übernehmen wollen".

Veranstalter äußert sich nicht

Es ist nicht die einzige radikale "Reichsbürger"-Gruppe, mit der Hans-Joachim M. in Kontakt stand. Der Generalbundesanwalt wirft den sogenannten "Vereinten Patrioten" vor, einen Umsturz des politischen Systems geplant zu haben. Sie sollen demnach unter anderem vorgehabt haben, Gesundheitsministers Lauterbach zu entführen.

Hans-Joachim M. war bei dem Treffen dabei, bei dem die Entführung besprochen wurde. Dem Nachrichtenportal "t-online" sagte er dazu, dass er zu der Idee mit der Entführung "Quatsch" gesagt habe und dann eine Zigarette rauchen gegangen sei.

Auf die Frage, wie sich die Veranstalter des Kongresses und Hans-Joachim M. von diesen terroristischen Bestrebungen abgrenzten, antworteten die Befragten nicht.

Sammy Khamis, BR, tagesschau, 17.11.2023 06:00 Uhr

Dieses Thema im Programm: Dieser Beitrag lief am 17. November 2023 um 05:21 Uhr im Deutschlandfunk.