Thomas Haldenwang und Nancy Faeser

Verfassungsschutzbericht 2022 Mehr Gewalt von rechts, weniger von links

Stand: 20.06.2023 14:36 Uhr

Im vergangenen Jahr gab es laut Verfassungsschutzbericht mehr politisch motivierte Straftaten. Während die Anzahl linker Straftaten sank, stieg sie rechts an - vor allem die "Reichsbürger" waren gewaltbereiter.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang haben den Verfassungsschutzbericht für 2022 vorgestellt.

Demnach registrierte das Bundeskriminalamt (BKA) für das vergangene Jahr 58.916 politisch motivierte Straftaten. Das sind rund sieben Prozent mehr als 2021 (55.048). Gut 60 Prozent davon hatten einen extremistischem Hintergrund.

Alexander Budweg, ARD Berlin, mit Informationen zum vorgestellten Verfassungsschutzbericht

tagesschau, 20.06.2023 12:00 Uhr

Anstieg antisemitisch motivierter Gewalt

Das BKA hebt hervor, dass die Zahl der Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund um 3,8 Prozent auf 20.967 Fälle (2021: 20.201) angestiegen sei, die der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten um 7,5 Prozent. Darunter befänden sich zwei versuchte Tötungsdelikte. Rechtsextremismus sei weiterhin die größte extremistische Bedrohung für die demokratische Grundordnung, sagte Faeser. Gefährlich seien aber nicht nur gewaltorientierte Rechtsextremisten, sondern auch "geistige Brandstifter". Der politisch motivierten Kriminalität von rechts wurden insgesamt 23.493 (2021: 21.964) zugeordnet.

Während 2022 die Zahl fremdenfeindlicher Straftaten um 1,3 Prozent zugenommen hat und die der antisemitisch motivierten Straftaten sogar um 17,1 Prozent auf 2023 Taten gesunken ist, stieg die Zahl der Gewaltdelikte mit antisemitischem Hintergrund um mehr als die Hälfte auf insgesamt 53 Delikte an (2021: 35).

AfD "sehr stark von Moskau beeinflusst"

Der Verfassungsschutz warnte davor, der Alternative für Deutschland (AfD) bei Wahlen die Stimme zu geben. Es gebe "hinreichend große Bestrebungen in der Partei, die sich gegen die freiheitliche Grundordnung richten", sagte Haldenwang. Nach Einschätzung der Behörde haben mehr als ein Drittel der AfD-Mitglieder ein extremistisches Potenzial. Angesichts der weiterhin bestehenden inhaltlichen Heterogenität innerhalb der Partei könnten aber nicht alle Parteimitglieder als Anhänger der extremistischen Strömungen betrachtet werden.

Weiter sei zu beobachten, "dass Teile der AfD sehr stark von Moskau beeinflusst sind und russische Narrative verbreiten", erklärte Haldenwang mit Blick auf den Angriffskrieg gegen die Ukraine. Es sei in diesem Zusammenhang bemerkenswert, dass Vertreter der AfD die russische Botschaft in Berlin aufsuchten, "um dort Kontakte zu pflegen".

Spionage und ausländische Einflussoperationen

Nicht nur als Folge des russischen Angriffskrieges in der Ukraine gab es 2022 laut dem Bericht mehr Spionagefälle. Der Generalbundesanwalt leitete dazu 28 Ermittlungsverfahren ein, nach 25 Verfahren im Vorjahr. Sie richteten sich etwa gegen mutmaßliche Zuträger russischer, türkischer und marokkanischer Geheimdienste.

Russische Nachrichtendienste bedienten sich teilweise drastischer Methoden und schreckten in äußerster Konsequenz auch nicht vor der Tötung von Oppositionellen und Abtrünnigen zurück, sagte Haldenwang. "Diese sehr robuste Art des Vorgehens, so etwas sehen wir bei Chinesen nicht."

Dennoch warnt der Verfassungsschutz auch deutlich vor Spionage- und Einflussnahmeversuchen Chinas. Er hält die Volksrepublik derzeit für "die größte Bedrohung in Bezug auf Wirtschafts- und Wissenschaftsspionage sowie ausländische Direktinvestitionen in Deutschland". Staatliche chinesische Akteure versuchten, "führende Persönlichkeiten aus der deutschen Wirtschaft unter Ausnutzung der Abhängigkeit einzelner deutscher Unternehmen vom chinesischen Markt" für die Durchsetzung der Interessen der Kommunistischen Partei Chinas zu instrumentalisieren, heißt es.

Mehr Straf- und Gewalttaten von "Reichsbürgern"

Einen deutlichen Anstieg extremistischer Straftaten gab es laut Bericht im Bereich der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter": Dort nahm die Zahl der Straftaten um 34,3 Prozent zu, die der Gewalttaten sogar um 55,4 Prozent.

Der Verfassungsschutz hatte 2021 den neuen Phänomenbereich "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" definiert. Der Entschluss, die Kategorie zu etablieren, war auch eine Folge der Aktionen radikaler Gegner der staatlichen Anti-Corona-Maßnahmen. Nach Einschätzung der Behörde versuchen Menschen aus diesem Spektrum, "Krisensituationen und Ängste in der Bevölkerung zu instrumentalisieren, um staatliche Stellen und politische Verantwortungsträger zu diskreditieren".

Ebenfalls stark zugenommen hat die Zahl der Straf- und Gewalttaten mit "ausländisch-ideologischer extremistischer Motivation": Dort wurden im vergangenem Jahr 1974 Delikte erfasst, das ist ein Anstieg um 154,4 Prozent im Vergleich zu 2021. Mehr als 60 Prozent davon stehen im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.

Rechtsextremistische Straftaten und Delikte von "Reichsbürgern" stark zugenommen

Oliver Sallet, ARD Berlin, tagesschau, 20.06.2023 15:00 Uhr

Zahl linksextremistischer Straftaten rückläufig

Die politisch motivierte Kriminalität von links ist laut dem Bericht hingegen zurückgegangen. 2022 wurden diesem Bereich insgesamt 6976 Straftaten zugeordnet (2021: 10.113), hiervon waren 842 Gewalttaten (2021: 1203). Der Anteil linksextremistischer Straftaten sank ebenfalls um 37,4 Prozent, die linksextremer Gewalttaten um 39 Prozent.

Eine große Gefahr geht dem Bericht zufolge von kleinen, im Geheimen agierenden Gruppen aus, die mit großer Brutalität gegen den politischen Gegner, insbesondere Rechtsextremisten, vorgehen. Linksextremistische Gewalt richte sich aber auch gegen Polizeikräfte, die teilweise in Hinterhalte gelockt würden.

Fast unverändert blieb die Anzahl extremistischer Straftaten im Bereich der "politisch motivierten Kriminalität - religiöse Ideologie": Dort meldet das BKA 418 Straftaten (2021: 409), die meisten davon hatten einen islamistischen Hintergrund.

Bianca Schwarz, ARD Berlin, tagesschau, 20.06.2023 10:31 Uhr