Der Briefkopf der Jüdischen Gemeinde Ahrensbök
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In mehreren Bundesländern "Reichsbürger" gründen "Jüdische Gemeinden"

Stand: 14.09.2023 09:20 Uhr

Anhänger aus dem "Reichsbürger"-Milieu haben bundesweit mehrere angeblich jüdische Vereine gegründet. Offenbar wollen sie sich so tarnen - und staatliche Gelder erhalten.

Personen aus dem Spektrum der "Reichsbürger" haben mehrere vermeintlich jüdische Vereinigungen gegründet. Darunter sind angebliche "Jüdische Gemeinden" in verschiedenen Regionen Deutschlands. Das ARD-Politikmagazin Panorama stieß auf mindestens zehn solcher Gründungen.

Die Vereine tragen Namen wie "Jüdische Gemeinde Ahrensbök" oder "Jüdische Gemeinde zu Zeitz". Zwischenzeitlich wurden mehrere der Vereine offiziell ins Vereinsregister eingetragen. Laut der Satzungen verfolgen diese "Jüdischen Gemeinden" "ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Ziele". So sollte die angebliche Gemeinde im schleswig-holsteinischen Ahrensbök bei Lübeck eine "Sammelgemeinde aller konservativ-liberalen, liberalen und reformierten Juden im Bundesland Schleswig-Holstein" sein.

Inzwischen hat diese "Gemeinde" wegen Mitgliedermangels ihren Status als eingetragener Verein aufgegeben. Mindestens vier "jüdische" Vereine mit Bezügen zur "Reichsbürger"-Szene sind derzeit allerdings noch im Vereinsregister zu finden.

"Reichsbürger" sind Verfassungsfeinde, die die Bundesrepublik nicht anerkennen und an das Fortbestehen des "Deutschen Reiches" glauben. Rund 23.000 Menschen werden bundesweit vom Verfassungsschutz zu dieser Szene gezählt. Seit Jahren fallen sie mit antisemitischen Verschwörungstheorien auf, mit judenfeindlichen Äußerungen und Holocaust-Leugnungen. Wie passt das zusammen, dass ausgerechnet "Reichsbürger" "Jüdische Gemeinden" gründen?

Angeblicher Oberrabbiner mehrfach vor Gericht

Eine Spur führt zu einem angeblichen "Oberrabbiner", der für mehrere dieser "Gemeinden" zuständig sein soll: Iwan Götz aus der Nähe von Parchim in Mecklenburg-Vorpommern. Der 75-Jährige bewegt sich schon länger im "Reichsbürger"-Milieu und ist vor allem wegen seiner rechtsextremen Äußerungen bekannt. Mehrfach musste er sich bereits vor Gericht verantworten, unter anderem wegen Volksverhetzung.

Iwan Götz

Der 75-jährige selbsternannte "Oberrabbiner" Iwan Götz.

Im Interview mit Panorama erklärt Götz, dass er sich selbst zum Oberrabbiner ernannt habe. Er sieht sich als Vertreter des "wahren Judentums", in Deutschland gäbe es sonst nur Zionisten. Und die hätten den Nationalsozialismus unterstützt: "Deutsche selbst haben einen geringen Teil davon gemacht, Hitler wurde von Juden finanziert", behauptet der "Reichsbürger". Eine antisemitische Geschichtsfälschung.

Ziele: Tarnung und Fördermittel?

Auch in Sachsen haben "Reichsbürger" vor einigen Jahren angebliche "Jüdische Gemeinden" gegründet, in Radeburg und in Bautzen. "Die haben tatsächlich den Namen der historischen Bautzener Gemeinde benutzt. Sie haben agiert mit dem Briefbogen und mit dem Logo der Gemeinde", berichtet Nora Goldenbogen, die Vorsitzende des Landesverbands Sachsen der Jüdischen Gemeinden.

Nora Goldenbogen

Nora Goldenbogen, Vorsitzende des Landesverbands Sachsen der Jüdischen Gemeinden.

Die "Reichsbürger" würden ihrer Einschätzung nach mit solchen Gründungen eine perfide Strategie verfolgen: "Man benutzt das Judentum als Schutzschild, denkt und agiert aber antisemitisch", sagt Goldenbogen im Gespräch mit Panorama. Es könnte ihnen also zum einen um eine Art Tarnung gehen, vermutet sie, und zum anderen auch darum, staatliche Gelder zu erhalten.

Tatsächlich hatte beispielsweise die angebliche "Jüdische Gemeinde Ahrensbök" versucht, Fördergelder zu erlangen, wie der Bürgermeister von Ahrensbök auf Panorama-Anfrage mitteilt. Der Antrag sei aber abgelehnt worden.

Derlei Aktivitäten von "Reichsbürgern" werden in mehreren Bundesländern vom Verfassungsschutz beobachtet. Laut dem sächsischen Verfassungsschutz können solche Gründungen den "Reichsbürgern" als Tarnung dienen. "Die entfalteten 'Reichsbürger'-typischen Aktivitäten zielen dabei jedoch stets darauf ab, das Handeln von Behörden zu behindern oder zu verzögern sowie der Bundesrepublik Deutschland die Souveränität abzusprechen", sagt eine Sprecherin. Das Bundesinnenministerium sieht es als "regionales Phänomen".

Zentralrat der Juden: "Gesamtgesellschaftlich gefährlich"

Auch dem Zentralrat der Juden in Deutschland sind bereits mehrere Fälle bekannt geworden. "Die Problematik dieser Gruppierungen und Personen ist uns bekannt", sagt ein Sprecher Panorama. "Die Verschleierung der wahren Absichten" dieser Gruppen aus dem "Reichsbürger"-Milieu sei "gesamtgesellschaftlich gefährlich". In einigen Fällen sei der Zentralrat "schon juristisch gegen einige Protagonisten vorgegangen".

Grundsätzlich ist der Begriff "Jüdische Gemeinde" rechtlich jedoch nicht geschützt. Auch bei den Vereinsregistern gibt es in der Regel keine Überprüfung, ob hinter den Vereinen tatsächliche jüdische Einrichtungen stehen.

Über dieses und andere Themen berichtet Panorama heute um 21:45 Uhr im Ersten.