Polizisten während der Razzien gegen "Reichsbürger"
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Mutmaßliche Verschwörer Die Nähe der "Reichsbürger" zu Russland

Stand: 19.07.2023 05:00 Uhr

Die mutmaßlichen Verschwörer um Heinrich XIII. haben bei ihren Umsturzplänen offenbar auf die Hilfe Russlands gehofft. Laut MDR-Recherchen wurde diese Annahme durch Kontakte zu russischen Regierungsstellen genährt.

Von Ludwig Kendzia und Bastian Wierzioch, MDR

Vier ausgedruckte Seiten waren es, die bei den Fahndern des Bundeskriminalamtes und der sächsischen Polizei Aufmerksamkeit fanden, als sie die Wohn- und Geschäftsräume von Frank R. in Olbernhau im Erzgebirge bei der Großrazzia im vergangenen Jahr durchsuchen.

Die Bundesanwaltschaft beschuldigt R., die "Reichsbürger"-Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß unterstützt zu haben. Er ist einer von zwei Dutzend Beschuldigten, die an diesem 7. Dezember 2022 festgenommen wurden.

Diese vier Seiten enthalten einen E-Mailverkehr zwischen Frank R., dem ebenfalls festgenommen Christian W., dem verdächtigen Udo M. und dem russischen Generalkonsulat in Leipzig. Nach Recherchen des MDR begann dieser Nachrichtenaustausch am 28. November 2022, als die geheimen Ermittlungen gegen Reuß und seine Gruppe bereits auf Hochtouren liefen. Auch W. und R. standen im Visier der Terrorfahnder, als sie die Mail an diesem Tag über die Firmenadresse von Frank R. an das Generalkonsulat schickten. 

Verabredung mit russischem Diplomaten

In der Mail gaben sie sich klar pro-russisch. Sie seien eine Gruppe von mittelständischen Unternehmern, die die Berichterstattung der deutschen Medien über den Ukraine-Krieg für einseitig hielten, was der Russischen Föderation schade. Sie wollten dies, so heißt es in der Mail, der russischen Regierung mitteilen und sich deshalb bei einem persönlichen Treffen im Generalkonsulat in Leipzig vorstellen.

Das Generalkonsulat schien den Wunsch nach einem Treffen der drei Olbernhauer nicht als sinnlose Spinnerei abzutun. Im Gegenteil: Nur zwei Tage später schrieb ein hochrangiger Diplomat an die mutmaßlichen Reuß-Gruppenmitglieder. Er schlug ein kurzfristiges persönliches Treffen im Leipziger Konsulat am 8. Dezember vor.

Doch dazu kam es nicht mehr. Am 7. Dezember schlugen die Terrorfahnder zu. Was also wollten die Männer genau in Leipzig? Wieso bekamen drei unbekannte sächsische Geschäftsleute aufgrund einer Mail voller Floskeln einen kurzfristigen persönlichen Termin in einer offiziellen diplomatischen Vertretung Russlands? 

Der MDR bat die Anwälte der Männer um eine Stellungnahme. Einige lehnten ab, andere reagierten nicht auf die Anfrage. Auch das russische Generalkonsulat in Leipzig antwortete nicht auf eine entsprechende MDR-Anfrage.

In den Ermittlungen der Bundesanwaltschaft soll das Konsulat mehrmals auftauchen. Der Chef der mutmaßlichen Verschwörer, Heinrich XIII., soll mit seiner angeblichen russischen Lebensgefährtin Vitalia B. in Leipzig gewesen sein. Sie wiederum soll das Konsulat mehrfach aufgesucht haben.

Welche Rolle B. spielt, die bei der Razzia im Reußen-Schloss in Bad Lobenstein festgenommen wurde, ist offenbar nicht genau geklärt. Ihr wird die Unterstützung einer Terrorgruppe vorgeworfen.

Russische Agentin oder einfach Kunsthistorikerin?

Vitalia B., dunkle lange Haare, blasser Teint, spitze Nase, schmales Gesicht, konzentrierter Blick. Auf Fotos, die dem MDR vorliegen, wirkt sie in heller Bluse und dunklem Blazer wie eine Managerin eines Wirtschaftsunternehmens.

In zahlreichen Medienveröffentlichungen wird sie als "Lebensgefährtin" oder "Assistentin" von Reuß bezeichnet. Was davon tatsächlich zutrifft, ist unklar. Fragen will ihre Anwältin nicht beantworten.

Nach MDR-Recherchen reiste Vitalia B., 1983 in Kaliningrad geboren, erstmals am 1. Oktober 2002 nach Deutschland ein. Bis zu ihrer Festnahme in Bad Lobenstein, wo sie zuletzt eine Wohnung gesucht haben soll, war sie in Heidelberg gemeldet. Dort hatte sie Kunstgeschichte studiert. Zwischen 2012 und 2019 schrieb sie an der Universität Heidelberg ihre Doktorarbeit.

Noch während ihrer Abschlussfeier und Doktortitelverleihung 2019 soll sie bekannt geben haben, nach Russland zurückkehren zu wollen. Dass das offenbar nicht stimmte, zeigt auch ihre Verhaftung in Thüringen im Dezember.

Welche Rolle spielt Vitalia B. in dem Fall? Ist sie eine russische Agentin und wurde sie auf die Gruppe angesetzt? Wenn ja, mit welchem Ziel? Oder ist sie eine gut situierte Kunsthistorikerin mit einer Affinität zum Adel und völlig unverschuldet in die Geschichte geschlittert? Fragen dazu wollten weder Ihre Verteidigerin in Rücksprache mit Vitalia B., noch die Bundesanwaltschaft beantworten. 

Unschuldig im Gefängnis?

Aufhorchen lässt aber eine Begebenheit, die sich kurz nach B.s Festnahme in der Untersuchungshaft abgespielt haben soll. Nach MDR-Informationen soll sie während einer medizinischen Untersuchung gegenüber Mitarbeiterinnen der Justizvollzugsanstalt behauptet haben, nicht die zu sein, für die sie gehalten wird. Ihr Name laute vielmehr "Maria Romanov".

Als Unschuldige sitze sie zu Unrecht im Gefängnis. Einer ihrer ehemaligen Heidelberger Kontakte bestätigte dem MDR jedoch, die Frau auf dem Foto mit den dunklen Haaren, dem schmalen Gesicht und dem konzentrierten Blick habe sich während der gesamten Studienzeit Vitalia B. genannt.

Hoffnung auf russische Hilfe enttäuscht

Russland und auch mögliche Kontakte zu russischen Regierungsstellen waren offenbar ein zentraler strategischer Bestandteil der Gruppe Reuß. So wird immer wieder von einer "Allianz" gesprochen, bei der die mutmaßlichen Putschisten Hilfe aus Moskau erwarteten.

Offenbar, so war ihre Hoffnung, könne es von dort ein Signal geben, dass man einen gewaltsamen Aufstand und eine Destabilisierung der Bundesrepublik befürworte. Das jedenfalls scheinen die Anführer der Gruppe ihren Mitgliedern immer wieder gesagt zu haben.

Doch das Signal kam offenbar nicht, was zu Frust führte. Bei einem Treffen in einem Hotel, nur fünf Kilometer vom Ostthüringer Schloss von Heinrich XIII. entfernt, soll es zum Streit gekommen sein. Am 17. September 2022, drei Monate vor Auffliegen der Gruppe, trafen sich einige der Gruppe Reuß, besonders die des militärischen Arms. Einer wollte von den Führungsleuten wissen, wie es denn mit der russischen Unterstützung aussehe.

Die Ermittler, die diese Treffen überwachten, notieren, dass es wohl keine befriedigende Antwort gab und ein Streit begann. Offenbar hatten die mutmaßlichen Verschwörer zu sehr auf Moskauer Hilfe vertraut.