
Untersuchungsausschuss Amri Was wusste Maaßen?
Hat der Bundesverfassungsschutz den späteren Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz falsch eingeschätzt? Der frühere Behördenchef Maaßen wird heute dazu im Amri-Untersuchungsausschuss befragt.
Es ist der erste prominente Zeuge im Untersuchungsausschuss zum Anschlag auf den Berliner Breitscheidplatz: Ex-Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen. Sein heutiger Auftritt wird mit Spannung erwartet. Nicht nur, weil sich Maaßen nach umstrittenen Äußerungen 2018 mit der Bundesregierung überworfen hat.
Schon früher, im NSA-Untersuchungsausschuss zum Überwachungsskandal provozierte Maaßen. Damals sagte er, Whistleblower Edward Snowden könnte ein russischer Agent sein. Wie sich Maaßen jetzt präsentiert? Im tagesschau-Interview warnt er die Parlamentarier schon mal vor: Er könne alles - auf den Putz hauen, forte fortissimo, aber auch piano pianissimo. Sein Interesse sei allerdings eine sachliche Aufklärung.
Welchen Fehler haben die Sicherheitsbehörden gemacht?
Knapp vier Jahre liegt das Attentat auf dem Weihnachtsmarkt zurück. Zwölf Menschen starben damals. Dutzende wurden zum Teil schwer verletzt. Viele sind bis heute traumatisiert.
Der Untersuchungsausschuss im Bundestag will die Fehler der Sicherheitsbehörden erkennen und Verbesserungsvorschläge für die Zukunft entwickeln. Im Zentrum der Befragung Maaßens: der Sommer 2016. Die wohl wichtigste Frage dabei ist: Warum hat das Bundesamt für Verfassungsschutz seine Mitarbeiter nicht auf den späteren Attentäter Anis Amri angesetzt?
Als Gefährder eingestuft
Als Frühwarnsystem hat die Behörde die Aufgabe, Anschlagspläne, wie die von Amri zu erkennen und dann die Polizei vorzuwarnen. Dass der Tunesier nicht nur ein Drogendealer, ein Identitätstäuscher, sondern eben auch brandgefährlich war, wussten sowohl Polizei als auch Nachrichtendienste. Amri war als islamistischer Gefährder eingestuft. Der Fall wurde sieben Mal im "Gemeinsamen Terrorismus Abwehrzentrum" besprochen, also in dem Gremium, in dem alle Sicherheitsbehörden vertreten sind.
Das heißt: Sie trauten ihm einen Anschlag zu. Im Sommer 2016 aber stoppte die Berliner Polizei die Observation Amris. Ein Grund: Die Polizei war damals aufgrund der Fülle von Anschlagsgefahren am Rand ihrer Kapazitäten.
"Der Verfassungsschutz hätte nach der polizeilichen Beobachtung in die Überwachung von Anis Amri eintreten können", ist sich Irene Mihalic sicher, die für die Grünen im Untersuchungsausschuss arbeitet. Die Rechtsgrundlagen für eine Observation durch den Verfassungsschutz hätten vorgelegen.
"Nicht die Rückfallposition der Polizei"
Maaßen widerspricht bis heute: "Der Verfassungsschutz ist nicht die Rückfallposition der Polizei", so der Ex-Behörden-Chef. "Wenn es einen Fall gibt, der von der Polizei federführend bearbeitet wird, hat die Polizei den Hut auf." Ob die Maßnahmen der Polizei zurückgefahren würden, ob Maßnahmen hochgefahren würden, oder ob der Verfassungsschutz um Amtshilfe gebeten würde, entscheide die Polizei. Die Polizei hätte demnach den Verfassungsschutz um Hilfe beten müssen, am besten schriftlich. Da das nicht passiert ist, habe der Verfassungsschutz nicht so ohne weiteres intervenieren können.
Schon jetzt zeichnet sich ab, dass sich Maaßen mit dieser Haltung im Untersuchungsausschuss wieder einmal keine Freunde machen wird. "Ein Verfassungsschutz kann bei einem gefährlichen Islamisten niemals raus sein", sagt Benjamin Strasser, der die FDP im Untersuchungsausschuss vertritt. Die Frage sei höchstens, wann der Schwerpunkt bei der polizeilichen und wann bei der nachrichtendienstlichen Arbeit sei. "Und gerade in einem Stadium, wo die Polizei offensichtlich nicht mehr weiterkommt, muss sich ein Nachrichtendienst, der Vorfeldaufklärung macht, überlegen: Mit welchen nachrichtendienstlichen Mitteln kann ich so einen Gefährder bearbeiten?" Das heißt: Maaßens Behörde hätte eben doch einspringen müssen.
Brisant ist, dass das Bundesamt eine Quelle in der Fussilet-Moschee hatte, in der auch der spätere Attentäter ein- und ausging: Einer aus der Szene, der Geld dafür bekommen hat, um Informationen an den Verfassungsschutz zu liefern - heimlich versteht sich.
Maaßen betont, dass diese Quelle einen anderen Auftrag gehabt habe - und nicht die Observation Amris. Außerdem will die Quelle Amri vor dem Anschlag nicht gekannt haben. Auch dann nicht, als man ihr Fotos vom späteren Attentäter vorgelegt hat. "Bemerkenswert, dass diese Quelle nichts zu Anis Amri geliefert haben will", wundert sich Benjamin Strasser. Nicht nur, dass die inzwischen geschlossene Fussilet-Moschee als eher kleiner, überschaubarer Treffpunkt von radikalen Islamisten galt.
Hinzu kommt auch: Nach dem Anschlag auf den Breitscheidplatz erkannte die Quelle des Verfassungsschutzes Amri auf Fotos dann doch plötzlich. "So eng", sei er als Behördenchef mit dem Fall Amri nicht betraut gewesen, sagt Maaßen im Interview. Der Untersuchungsausschuss wird ihm das wohl nicht durchgehen lassen.