Björn Höcke
interview

Höcke-Prozess "Strategie der Selbstverharmlosung"

Stand: 21.04.2024 10:41 Uhr

In Halle hat der Prozess gegen Thüringens AfD-Landeschef Höcke wegen einer verbotenen SA-Losung begonnen. Zuvor hatte er erklärt, nichts von dem Verbot gewusst zu haben. Ein Politikwissenschaftler findet die Argumentation nicht glaubwürdig.

tagesthemen: Thüringens AfD-Chef Björn Höcke findet die verbotene SA-Losung "Alles für Deutschland" sei harmlos. Spricht er aus, was viele denken, die die Aussage nicht sofort zuordnen können?

Dierk Borstel: Das mag jemand denken, der die Aussage nicht kennt. Er als Geschichtslehrer wird eine der drei zentralen Parolen der NSDAP und in diesem Fall der Sturmabteilung, ich vermute, mit Sicherheit gekannt haben.

Von daher ist es eher so eine Strategie der Selbstverharmlosung zu sagen: Es ist doch wieder nur eine Kleinigkeit, bauscht das nicht so auf. Es spricht viel dafür, dass dahinter schon eine etwas längerfristige und auch ausführlichere Strategie, steht. Nämlich, uns genau an solche Dinge auch zu gewöhnen. Damit es irgendwann auch so eine Art Normalisierungseffekt gibt.

"Strategie der Selbstverharmlosung", Dierk Borstel, Rechtsextremismusforscher und Politikwissenschaftler, zum Prozess gegen Höcke

tagesthemen, 18.04.2024 22:15 Uhr

"Stück für Stück an völkische Ideologie gewöhnen"

tagesthemen: Wie sieht diese Strategie konkret aus?

Borstel: Das ist eine Strategie, dass wir uns langsam wieder gewöhnen an völkische, rassistische, vielleicht auch nationalsozialistische Elemente oder Teilbereiche.

Man kann das vielleicht mit einem Beispiel erklären: Wenn wir uns mal vorstellen, wir hätten eine sehr starke Waffenlobby und die würde uns jeden Tag erzählen, dass Sicherheit nur durch persönliche, individuelle Bewaffnung möglich wäre. Wenn es dieser Waffenlobby gelänge, das Stück für Stück so zu setzen, dass wir das irgendwann glauben.

Wahrscheinlich würden wir uns dann einerseits bewaffnen. Mit ziemlicher Sicherheit gäbe es mehr Gewalt und wir würden dann auch eine Politik befürworten, die genau diese Bewaffnung eben auch ja finanziert und fördert.

Diese Idee verfolgt eben die AfD auch: Dass wir uns Stück für Stück an völkische Ideologie-Elemente gewöhnen. Dass es irgendwann normal ist für uns, dass es sie gibt, und darauf aufbauend dann auch Politik zu machen. Das ist eine Strategie der kulturellen Subversion mit Provokationen einerseits, aber auch mit einem Opfermythos zu arbeiten andererseits, damit wir uns daran gewöhnen. Damit dauerhaft eine völkische Politik darauf aufgebaut werden kann.

Zur Person

Dierk Borstel ist Politikwissenschaftler und Rechtsextremismusforscher an der Fachhochschule Dortmund.

"Die Neue Rechte denkt in langfristigen Schritten"

tagesthemen: Glauben Sie, dass Höcke und Gleichgesinnte damit erfolgreich sein können?

Borstel: Es ist zumindest nicht ausgeschlossen. Vor allem ist es eine Strategie, die nicht kurzfristig denkt, sondern langfristig. Das heißt, man arbeitet immer mit dem Mittel der Provokation, geht dann also zwei Schritte vor. Und wenn es dann ein Stoppschild gibt, so wie mit dem Gerichtsverfahren, dann geht man eben sehr wehklagend und mit einem Opferbegriff arbeitend wieder einen Schritt zurück. Man ist damit aber trotzdem einen Schritt vorangekommen.

Diese Neue Rechte, auf die sich Herr Höcke bezieht, denkt nicht in kurzen Legislaturperioden, sondern in ganz langfristigen Schritten der Normalisierung. Und von daher ist es schon eine Geschichte, die ernstzunehmen ist, die auch historische Vorbilder hat und, wie man in den Wahlumfragen derzeit sieht, sicherlich auch einen gewissen Erfolg versprechen kann.

"Höcke will eine andere Geselllschaft"

tagesthemen: Höcke betont ja immer wieder, er verhalte sich einfach nur patriotisch. Wie sehen Sie das?

Borstel: Patriotismus würde ich jetzt definieren als Liebe zum eigenen Land. Was Höcke aber predigt, sind aus meiner Sicht eher völkische Ideologien. Die haben häufig einen rassistischen und menschenfeindlichen Kern.

Er sagt das auch sehr deutlich: Er will eine andere Gesellschaft, er will auch eine andere Bevölkerung haben. Und damit ist es nicht Patriotismus, sondern das ist vor allem sehr viel Hass gegenüber anderen Menschen.

"Ganz wichtig ist, dass wir widersprechen"

tagesthemen: Es geht um die Grenzen des Sagbaren. Wie lässt sich diese Debatte im Kollegen- oder auch im Bekanntenkreis führen, wenn auch da einige so argumentieren wie Björn Höcke?

Borstel: Zunächst einmal müssen wir das überhaupt erkennen. Wir dürfen uns nicht daran gewöhnen. An Ungerechtigkeiten, weil die eben immer der Menschenfeindlichkeit vorangehen. Und wir dürfen uns auch nicht an Menschenfeindlichkeit gewöhnen.

Ganz wichtig ist aber, dass wir laut werden, dass wir dem widersprechen. Das muss nicht immer bis ins Letzte inhaltlich gefüllt sein, sondern allein der Widerspruch bedeutet erst einmal, dieser Seite nicht das Spielfeld zu überlassen. Und was mir ganz wichtig ist: Das funktioniert halt am besten, wenn wir die eigenen Werte - das heißt Werte der Humanität, die Idee des Rechtsstaates, der Demokratie - auch selbst im Alltag authentisch leben und uns in solchen Organisationen engagieren. Also da, wo Demokratie gelebt und auch gut organisiert ist.

Rechtsextremismus ist immer etwas schwer. Und dieser Dreiklang nicht gewöhnen, widersprechen und etwas dafür tun - das ist das, was im Kollegenkreis auch entscheidend sein kann.

Das Gespräch führte Jessy Wellmer, tagesthemen. Es wurde für die schriftliche Variante gekürzt und redigiert.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 18. April 2024 um 22:15 Uhr.