
Debatte über Kiew-Besuch Wenn jemand keine Reise tut
Kanzler Scholz bleibt dabei - vorerst keine Kiew-Reise. Der ukrainische Botschafter nennt ihn "beleidigte Leberwurst". CDU-Chef Merz hingegen ist bereits unterwegs - und ihm wird vorgeworfen, Parteipolitik zu betreiben.
UN-Generalsekretär Antonio Guterres, EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und allein aus den USA die Minister Antony Blinken, Lloyd Austin und die Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi. Und dies ist nur eine kleine Auswahl der Spitzenpolitikerinnen und Spitzenpolitiker, die in den vergangenen Wochen die ukrainische Hauptstadt Kiew besucht haben. Und Deutschland?
Bundeskanzler Olaf Scholz weigert sich weiter, nach Kiew zu reisen und begründet in einem ZDF-Interview sein durchaus bemerkenswertes Vorgehen mit einem "ganz bemerkenswerten Vorgang" - der Ausladung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier durch die Ukraine Mitte April.
Er widersprach nicht, als die ihn interviewende stellvertretende ZDF-Chefredakteurin Bettina Schausten anmerkte, daraus höre man wohl, "der Präsident müsste zunächst kommen, danach werden Sie sich wahrscheinlich Richtung Kiew bewegen".
Rückendeckung von Strack-Zimmermann
Rückendeckung für solch einen möglichen Kurs kommt von der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Die FDP-Politikerin hatte Scholz wegen dessen Zögern bei der Lieferung schwerer Waffen selbst mehrfach öffentlich kritisiert, äußert aber nun Verständnis für den Bundeskanzler. Sie forderte den ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk auf, sich beim Bundespräsidenten zu entschuldigen.
Die Ukraine habe Frank-Walter Steinmeier ausgeladen und könne nun nicht erwarten, dass Kanzler Scholz nach Kiew reise, sagte sie den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Vielleicht, lieber Herr Melnyk, entschuldigt man sich einfach mal beim Präsidenten und lädt dann den Kanzler höflich ein zu kommen."

Unterstützung für Scholz von Strack-Zimmermann: "Vielleicht, lieber Herr Melnyk, entschuldigt man sich einfach mal beim Präsidenten und lädt dann den Kanzler höflich ein zu kommen."
Ukraine-Botschafter: "Scholz spielt beleidigte Leberwurst"
Nach verbaler Abrüstung sieht es beim ukrainischen Botschafter derzeit allerdings eher nicht aus. Nach dem ZDF-Interview hatte Melnyk das vorläufige Nein von Scholz zu einer Kiew-Reise scharf kritisiert: "Eine beleidigte Leberwurst zu spielen klingt nicht sehr staatsmännisch", sagte Melnyk. "Es geht um den brutalsten Vernichtungskrieg seit dem Nazi-Überfall auf die Ukraine, es ist kein Kindergarten."
Deutliche Kritik an Scholz kommt auch aus dem EU-Parlament. Der Fraktionschef der konservativen EVP, Manfred Weber, hat kein Verständnis, dass der Kanzler weiterhin nicht nach Kiew reisen will: "Was sollen die Ukrainer jetzt machen? Sollen sie um Entschuldigung bitten, dass sie den Bundespräsidenten nicht eingeladen haben?", so der CSU-Politiker im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk.
Die Ukrainer seien "im Überlebenskampf", sagte Weber weiter und forderte von Scholz: "Deswegen jetzt auch mal runterschlucken, wenn einmal eine Entscheidung gefällt worden ist, von der ja auch eingeräumt worden ist, dass sie nicht perfekt war, und Solidarität zeigen."
Gefundenes Fressen für die Opposition
Und die Opposition? Für die ist die als eher zögerlich wahrgenommene Haltung von Scholz ein gefundenes Fressen: CDU-Chef Friedrich Merz ist inzwischen unterwegs nach Kiew. "Wir haben eine interessante Reise vor uns und bis jetzt kann ich nur sagen: Alles sicher, alles gut und die ukrainischen Behörden sind äußerst kooperativ. Sehr angenehme Menschen. Es ist schön, in diesem Land zu sein", twitterte er aus dem Zug.
Und er verkniff sich im Vorfeld auch nicht den Seitenhieb, dass er Olaf Scholz auch empfohlen habe zu fahren: "Ich werde selbstverständlich die Bundesregierung nach meiner Reise ausführlich informieren", sagte er bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit CSU-Chef Markus Söder und Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst - der mitten im Landtagswahlkampf ist.
Nach Ansicht des Vorsitzenden der Jungen Union, Tilman Kuban, übernimmt Merz mit seiner Kiew-Reise gar die Aufgabe des Kanzlers: "Wochenlang hätten Scholz und seine Minister nach Kiew fahren und damit ein Zeichen der Solidarität setzen können. Jetzt muss es Merz tun", sagte Kuban der "Rheinischen Post". Und er ergänzt gegenüber der "Funke Mediengruppe": "Die SPD hat in diesem Krieg bisher immer erst nach öffentlichem Druck gehandelt."
Parteipolitische Gratwanderung
Doch das Vorgehen der Union ist eine Gratwanderung. Schließlich gibt es das ungeschriebene Gesetz, dass Krisenzeiten aus staatspolitischer Verantwortung nicht parteipolitisch ausgenutzt werden sollten. Dem zuwider hatten sich Union und SPD schon bei der Bundestagsdebatte über die Lieferung schwerer Waffen bereits scharf gegenseitig angegriffen.
Und auch jetzt gibt es mahnende Stimmen: Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Michael Roth, warnte davor, eine solche Reise aus parteipolitischen Beweggründen anzutreten. Es ist gut, wenn auch deutsche Politiker in die Ukraine reisen", sagte der SPD-Politiker dem Redaktionsnetzwerk Deutschland:
Aber sie müssen dafür gute Gründe haben. Ein schlechter Grund ist es, einen innenpolitischen Streit in die Ukraine zu tragen und sich dort parteipolitisch profilieren zu wollen. Das ist der Dramatik des Krieges nicht angemessen.
"Geht um Solidarität, nicht um Wahlkampf"
CDU-Generalsekretär Mario Czaja will diesen Vorwurf nicht gelten lassen. Er betonte im Deutschlandfunk, nun sei ein wichtiger Zeitpunkt, um Solidarität und Unterstützung für die Ukraine zu zeigen. Dies habe nichts mit den bevorstehenden Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen zu tun.
Und Scholz? Dass Merz nach Kiew reise, störe ihn nicht, sagte er im ZDF-Interview. Der CDU-Chef habe ihn über seinen Plan informiert: "Und wir werden hinterher auch darüber, was er mir mitzuteilen hat sprechen. Alles andere wäre kein guter Umgang."