Andreas Scheuer
Analyse

U-Ausschuss zum Maut-Debakel Warum Scheuer noch im Amt ist

Stand: 01.10.2020 02:32 Uhr

Im Untersuchungsausschuss des Bundestags soll Verkehrsminister Scheuer aussagen. Doch wer einen Rücktritt erwartet, könnte sich täuschen.

Eine Analyse von Tobias Betz, ARD Berlin

Eine Analyse von Tobias Betz, ARD-Hauptstadtstudio

Einmal scheint es, als würde Andreas Scheuer als Verkehrsminister zurücktreten. Es ist ein Mittwoch im Dezember 2019: Am nächsten Tag will der Untersuchungsausschuss zur gescheiterten Pkw-Maut seine Arbeit aufnehmen. Scheuer lädt kurzfristig zur Pressekonferenz. Journalisten warten in der großen Halle des Verkehrsministeriums und spekulieren: "Rücktritt!". Dann betritt Scheuer die Halle. Stille. Seine Schritte verhallen.

"Ich erfülle meinen Amtseid jeden Tag", beginnt der Minister. "Aber es ist auch ein hartes Jahr - auch für mich persönlich." Er habe vergeblich gehofft, dass die Debatte wieder sachlicher geführt werde. All das klingt wie die Hinleitung zum Rücktritt. Doch weit gefehlt. Scheuer will seinen Posten keineswegs räumen, er habe keine Fehler gemacht, stellt er klar. Ein denkwürdiger Auftritt.

Gut möglich, dass Scheuer heute eine ähnliche Performance bei seiner Befragung vor dem Untersuchungsausschuss abliefert, obwohl es nicht gut aussieht für ihn. Scheuer soll einem kürzlich aufgetauchten Gedächtnisprotokoll zufolge das Parlament belogen haben.

Parteichefs entscheiden über ihre Minister

Doch wer erwartet, dass der Untersuchungsausschuss Scheuer zu Fall bringen wird, dürfte sich täuschen. Noch hält CSU-Chef Markus Söder an Scheuer fest. Womöglich auch deshalb, weil Scheuer weder CSU noch CDU in der Zustimmung schadet. Die Unionsfamilie befindet sich im Umfragehoch. Warum also Scheuer absetzen?

Bis zum Ende der Legislaturperiode kann er das Mautfiasko allein ausbaden. Unwahrscheinlich ist aber, dass nach der Bundestagswahl im kommenden Jahr noch ein Platz für Scheuer am Kabinettstisch frei sein wird. Das ist sogar in der CSU zu hören.

Maut-Betreiber wegen Schlechtleistung gekündigt

Dennoch ist Scheuers Aussage heute ein Showdown. Zuvor sagen die Mautbetreiber aus. Die wiederum haben noch ein Hühnchen mit dem Minister zu rupfen. Scheuer hatte die Verträge mit den Mautbetreibern auch wegen Schlechtleistung gekündigt. Kapsch, Eventim und Autoticket haben also einen Ruf zu verlieren.

Scheuer sagt am Abend aus, und er wird sich wohl bis in den späten Abend hinein, möglicherweise bis nach Mitternacht befragen lassen müssen.

Krachend gescheitert

Es ist der vorläufige Höhepunkt einer Geschichte eines krachend gescheiterten CSU-Lieblingsprojektes. Die Maut, oder besser die Ausländermaut, wie sie die CSU im Landtagswahlkampf taufte, stoppte der Europäische Gerichtshof hart im Juni 2019. Das Konzept verstoße gegen Europarecht, es sei schlicht diskriminierend. "Jetzt ist es erstmal ein Rückschlag. Jetzt ist es schon auch enttäuschend", kommentierte damals ein zerknirschter Scheuer.

Scheuer geriet massiv unter Druck, weil er die milliardenschweren Betreiberverträge bereits Ende 2018 unterzeichnen ließ. Zu diesem Zeitpunkt lief das Verfahren beim EuGH noch, es bestand also keine Rechtssicherheit.

Nach dem Urteil kündigte Scheuer die Verträge. Die Betreiber klagten deshalb auf Schadensersatz. Es geht um 560 Millionen Euro. 560 Millionen Euro, die der Staat zahlen müsste - also alle Steuerzahler. Das entspricht der Summe, die die designierten Mautbetreiber Kapsch und Eventim in zwölf Jahren Laufzeit verdient hätten.

Keine Reue, keine Demut: Scheuer sieht keine Fehler

Wer unterschreibt so wichtige Verträge vor einem entscheidenden Urteil und riskiert damit Schadensersatz in Millionenhöhe? Scheuer jedenfalls weist die Schuld von sich. Der Bundesrechnungshof legte noch eine Schippe drauf. Scheuers Verkehrsministerium habe "Vergaberecht verletzt" und "gegen Haushaltsrecht verstoßen". Und die Schadensersatzregelung sei "nicht angemessen".

Weil Scheuer aber keine Fehler einräumte, hatte die Opposition die Nase voll. Am Tag nach der denkwürdigen Pressekonferenz von Scheuer, am 12. Dezember 2019, nahm der Untersuchungsausschuss seine Arbeit auf.

"Nein, dieses Angebot gab es nicht!"

Lange sieht es so aus, als würde Scheuer halbwegs unbeschadet aus dem Mautfiasko herauskommen. Wäre da nicht der 25. September 2019. In einer Fragestunde des Bundestages will der verkehrspolitische Sprecher der FDP, Oliver Luksic, vom Minister wissen: Haben die möglichen Betreiber der Maut das Angebot gemacht, mit der Unterschrift des Vertrages bis nach dem EuGH-Urteil zu warten? Scheuer dazu klar: "Nein, dieses Angebot gab es nicht!"

Doch nun, kurz vor Scheuers Aussage im Untersuchungsausschuss, flattert ein Geheimdokument auf den Tisch der Mitglieder im U-Ausschuss. Nach einem Gedächtnisprotokoll hat Eventim-Chef Klaus-Peter Schulenberg sehr wohl das Angebot gemacht, die Mautverträge erst nach dem Urteilsspruch des EuGH zu unterzeichnen. Dieses Vorgehen hätte dem Bund letztlich wohl riesige Summen gespart. Doch Scheuer hat nach dem Protokoll abgelehnt. Das Gedächtnisprotokoll erhärtet den Vorwurf, der Minister habe das Parlament belogen.

Hat Scheuer gelogen?

Doch das Gedächtnisprotokoll wirft auch Fragen auf. Es bezieht sich auf ein Gespräch im November 2018. Warum gibt es keinerlei schriftliche Unterlagen und Dokumente, wie es bei jedem Angebot der Fall sein müsste? Außerdem ist das Protokoll datiert auf den 19.9.2020. Warum wird ein Gedächtnisprotokoll fast zwei Jahre nach einem Treffen angefertigt?

Vor dem Minister sagen die Betreiber aus. Scheuer kündigte die Mautverträge auch wegen Schlechtleistung. Das heißt: Die Mautbetreiber hätten nicht anständig gearbeitet, Fristen nicht eingehalten, Verträge gebrochen. Parallel zur politischen Aufarbeitung entscheidet ein Schiedsgericht über die Schadensersatzklage über 560 Millionen Euro.

Scheuer soll Maut-Debakel allein ausbaden

Warum aber wirft Markus Söder Scheuer nicht raus? Wer würde protestieren? Dass Scheuer weiterhin Minister sein darf, hat gleich mehrere Gründe:

  • Eine Unruhe im Bundeskabinett wollen weder CDU noch CSU. Auch die SPD hat mehrfach bewiesen, dass die GroKo bis zum Ende der Legislatur halten soll.
  • Wer Scheuer absetzt, muss auch einen Nachfolger benennen. Der Nachfolger müsste dann das Mautfiasko zu Ende führen. Eine attraktive Jobbeschreibung klingt anders.
  • CDU und CSU befinden sich im angenehmen Umfragehoch. Scheuer schadet der Unionsfamilie offenbar nicht. Warum also Scheuer rauswerfen? Er schadet offenbar nur sich selbst - seine Beliebtheit ist im Keller.

Bei Scheuers merkwürdiger Pressekonferenz im Dezember 2019 sagte er noch: Er hoffe nun auf eine friedliche Weihnachtszeit, das seien ja auch "Tage der Selbstkritik und der Selbstreflexion". Mal sehen, ob man davon im Untersuchungsausschuss etwas bemerkt.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 01. Oktober 2020 um 09:00 Uhr.