Martina Batz
Porträt

Altersarmut in Deutschland "Ich werde weiter arbeiten müssen"

Stand: 08.07.2016 01:29 Uhr

1400 Euro im Monat netto, 830 Euro Rente: Martina Batz ist 64 Jahre alt und würde gerne bald aufhören zu arbeiten. Doch daran ist so nicht zu denken. Martina Batz ist kein Einzelfall. Immer mehr ältere Menschen können nicht von ihrer Rente leben.

Von Jens Eberl, WDR

Es ist noch dunkel draußen. Der Wecker klingelt früh am Morgen, kurz nach zwei Uhr - jeden Werktag. Die Schicht von Martina Batz beginnt wenig später, dann fährt sie zehn bis zwölf Stunden lang durch die benachbarten Ortschaften von Mettmann, liefert Elektroartikel aus. Batz bekommt dafür rund 1400 Euro im Monat netto. Der Job sei anstrengend, sagt sie, eigentlich wolle sie gerne nächstes Jahr damit aufhören, dann ist sie 65 Jahre alt.

Jens Eberl

Doch wenn Batz auf ihren Rentenbescheid blickt, weiß sie, dass dies nicht möglich sein wird. 830 Euro Rente steht da nüchtern auf dem Bescheid der Deutschen Rentenversicherung. Nach Abzug von Steuern und Miete bleibt nicht mehr viel übrig. Zwar kämen nach der jüngsten Rentenerhöhung nun noch knapp fünf Prozent oben drauf, aber dennoch: "Ich werde weiter arbeiten müssen", sagt sie. "Vielleicht nicht mehr in dem Beruf, in dem ich jetzt arbeite, den packe ich irgendwann nicht mehr, aber ich werde mir wohl einen 450-Euro-Job suchen."

Zukunft ungewiss

Batz überlegt sich fast jeden Tag, was sie in Zukunft machen könnte: Ein Job, der sich auch im Alter gut bewältigen lässt - nicht zu anstrengend, irgendetwas, wo man sie noch gut gebrauchen könne. Der Gedanke, weiter arbeiten zu müssen, macht die alleinstehende Frau traurig. Sie fühle sich unfair behandelt, sagt sie.

Schließlich habe sie 45 Jahre lang Vollzeit gearbeitet und in die Rentenkasse eingezahlt. Dass jetzt so wenig für sie bei der Rentenberechnung rauskommt, sei nicht nachvollziehbar und unfair. "Ich habe zwei Töchter großgezogen neben meinem Beruf." Die 'Kinder' sind heute 37 und 44 Jahre alt. Mit Kerstin, der jüngeren Tochter, teilt sich Martina Batz derzeit die 60 Quadratmeter-Wohnung in Mettmann. Kerstin hat eine neunjährige Tochter. "Deshalb arbeite ich so früh. Wenn ich von meiner Schicht nach Haus komme, geht meine Tochter arbeiten." Die hat einen Job bei der Deutschen Bahn, arbeitet im Düsseldorfer Hauptbahnhof.

Martina Batz

Martina Batz liefert zehn bis zwölf Stunden lang am Tag Elektroartikel aus.

So organisieren sich die beiden Frauen, unterstützen sich gegenseitig. Wer zuhause ist, passt auf das Kind auf. "Nur so können wir uns den Alltag leisten". Doch wenn Batz anstelle ihres Gehalts nur noch eine kleine Rente bekommt, wird es eng. Im etwa 30 Quadratmeter großen Wohnzimmer hat die 64-Jährige eine große Jalousie aufgehängt. Sie soll aus einem Raum zwei machen, trennt Sofa und Bett voneinander ab. "Natürlich würde ich mich freuen, wenn meine Tochter einen neuen Mann findet", sagt sie, aber gleichzeitig würde das die Organisation des Alltags und die finanzielle Machbarkeit ordentlich durcheinander würfeln.

Batz ist gerne in der Nähe ihrer Tochter, doch als Mutter darauf angewiesen zu sein, belastet sie sehr. "Ich will meinen Kindern ja nicht irgendwann auf der Pelle hocken." Solange sie gesund sei, sei alles in Ordnung, sagt sie. Doch sie hat Angst, dass sie einmal erkranken könnte. "Dann könnte ich nicht mehr arbeiten und würde meinen Kindern auf der Tasche liegen, das könnte ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren". Die Angst vor der Zukunft ist quälend.

Altersarmut macht Deutschen Angst

Mit dieser Angst ist sie nicht alleine: Jeder dritte Erwerbstätige in Deutschland fürchtet sich Umfragen zufolge vor Altersarmut. Fast sechs von zehn Erwerbstätigen sagen, das Thema Altersvorsorge mache ihnen heute mehr Angst als früher.

Immer mehr Menschen können schon heute nicht von ihrer Rente leben. Die Zahl der über 65-Jährigen, die Grundsicherung beziehen, hat sich seit 2003 von etwa 258.000 auf 536.000 mehr als verdoppelt. Zwar gibt es bezogen auf die Gesamtbevölkerung auch immer mehr Menschen, die über 65 Jahre alt sind, aber auch wenn diese Entwicklung berücksichtigt wird, hat sich die Quote mehr als verdoppelt. Insgesamt bezog 2015 damit bereits mehr als eine Million Menschen Grundsicherung im Alter oder wegen Erwerbsminderung. 2003 waren es noch rund 440.000.

Batz ist überzeugt, dass diese Zahlen weiter steigen werden. Sie habe 45 Jahre Vollzeit gearbeitet und dementsprechend in die Rentenkasse eingezahlt. "Aber die jungen Menschen studieren erst einmal, fangen nicht vor Ende 20 oder Anfang 30 an zu arbeiten. Wie soll da denn noch etwas zusammenkommen?" Tauschen will sie deshalb mit der jüngeren Generation nicht. Auch wenn ihre Situation alles andere als rosig sei, glaubt Batz: "Die nachfolgenden Generationen haben mit Sicherheit mit noch viel größeren Problemen zu kämpfen".

Über dieses Thema berichtete Deutschlandradio Kultur am 22. April 2016 um 18:07 Uhr