
Zentralrat der Juden zu Halle "Fehlender Polizeischutz ist skandalös"
Stand: 09.10.2019 21:22 Uhr
Der Präsident des Zentralrats der Juden wirft der Polizei fehlenden Schutz der Synagoge vor. Die jüdische Gemeinde in Halle kritisiert eine zu langsame Reaktion der Beamten. Politiker äußerten sich bestürzt über die Tat.
Josef Schuster, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, hat nach dem Angriff auf eine Synagoge in Halle schwere Vorwürfe gegen die Polizei erhoben. "Dass die Synagoge in Halle an einem Feiertag wie Jom Kippur nicht durch die Polizei geschützt war, ist skandalös". Wie durch ein Wunder sei laut Schuster nicht noch mehr Unheil geschehen. "Diese Fahrlässigkeit hat sich jetzt bitter gerächt."
Die Brutalität des Angriffs übersteige laut Zentralrat der Juden alles bisher Dagewesene der vergangenen Jahre und sei für alle Juden in Deutschland ein tiefer Schock. Die jüdische Gemeinschaft sei "aufs Tiefste in Sorge versetzt und verängstigt", so Schuster.
Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Halle, Max Privorozki, kritisierte die Polizei ebenfalls. "Die waren zu spät vor Ort", sagte er in einem Video, das auf Twitter veröffentlicht wurde. Mindestens zehn Minuten hätten die Einsatzkräfte gebraucht, als er angerufen und gesagt habe, dass es einen "bewaffneten Anschlag gegen die Synagoge" gebe. Privorozki betonte, dass es zuvor auch in Sachsen-Anhalt den Wunsch nach mehr Polizeischutz gegeben habe - "genauso wie in großen Städten wie Berlin, München und Frankfurt."
Maas: "Das trifft uns ins Herz"
Bundesaußenminister Heiko Maas zeigte sich erschüttert. Dass am jüdischen Versöhnungsfest Jom Kippur "auf eine Synagoge geschossen wird, trifft uns ins Herz", schrieb Maas auf Twitter. "Wir alle müssen gegen den Antisemitismus in unserem Land vorgehen", betonte er.
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff sagte nach der Tat: "Es wurden durch sie nicht nur Menschen aus unserer Mitte gerissen, sie ist auch ein feiger Anschlag auf das friedliche Zusammenleben in unserem Land". Er kehrte von einer Konferenz in Brüssel vorzeitig zurück.
Kirchen entsetzt über Angriff
Die Attacke sei "abscheulich und unerträglich", sagte der Bischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, Friedrich Kramer. Sein katholischer Amtskollege Gerhard Feige übermittelte von einer Konferenz in Bosnien-Herzegowina aus ebenfalls Bestürzung: "Es ist eine menschliche Katastrophe, dass Juden in Deutschland nicht in Frieden leben und Jom Kippur feiern können."
Parteien bekunden Solidarität mit Opfern
Bundeskanzlerin Merkel sprach den Angehörigen der Opfer ihr tiefes Beileid aus. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte, die Bundesregierung hoffe, dass der Täter oder die Täter schnell gefasst würden. Die Gedanken gingen "an die Freunde und die Familien der Todesopfer".
Auch Vize-Kanzler Olaf Scholz äußerte sich bestürzt am Rande des Treffens der Euro-Finanzminister in Luxemburg: "Das sind sehr erschütternde Nachrichten, die wir aus Halle bekommen haben." Ganz klar sei, "dass auch die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes jüdischen Glaubens sicher sein können, dass wir mit unseren Herzen bei ihnen sind und wir ihnen die ganze Solidarität übermitteln, die uns überhaupt möglich ist", so Scholz. Der CSU-Vorsitzende Markus Söder betonte ebenfalls, dass das Land an der Seite der jüdischen Gemeinden stehe.
Der Grünen-Politiker Cem Özdemir twitterte: "Schreckliche Nachrichten aus Halle, heute am jüdischen Versöhnungstag Jom Kippur. Ich bin erschüttert und traurig." Allen Verletzten und Angehörigen wünschte er viel Kraft und dankte den Einsatzkräften.
Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch schrieb auf Twitter: "Am höchsten jüdischen Feiertag ein Anschlag auf jüdisches Leben in Deutschland - ekelhaft! Antisemitismus darf in unserer Gesellschaft keinen Millimeter Platz haben."
AfD-Fraktionschefin Alice Weidel schrieb auf Twitter: "Meine Gedanken sind bei den Opfern und ihren Familien. Ich hoffe, die Polizei fasst den oder die Täter schnell, ohne dass weitere Menschen zu Schaden kommen."
Schweigeminute im Europaparlament
Auch aus dem Ausland kamen bestürzte Reaktionen. UN-Generalsekretär António Guterres bewertete den Vorfall als "eine weitere tragische Demonstration von Antisemitismus", teilte ein UN-Sprecher mit. Er bekundete sein "tiefstes Beileid" für Betroffene.
Auch Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu sieht in dem Angriff einen neuen Ausdruck des wachsenden Antisemitismus in Europa. Er forderte auf Twitter die deutschen Behörden auf, "weiterhin entschlossen" dagegen vorzugehen.
Das Europaparlament legte eine Schweigeminute für die Opfer ein. In Gedanken sei man bei Deutschland, der deutschen Polizei und bei der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland, sagte Parlamentspräsident David Sassoli.
Auch der Chef der größten britischen Oppositionspartei, Jeremy Corbyn, verurteilte den Angriff: "Das ist eine schockierende Attacke während Jom Kippur, einem der heiligsten Tage im Jahr des jüdischen Kalenders", schrieb der Labour-Chef auf Twitter. Seine Gedanken seien bei den Verletzten, Trauernden und bei den jüdischen Gemeinschaften in Halle sowie überall auf der Welt.
Zentralrat der Juden fordert bessere Bewachung
Christopher Jähnert, ARD Berlin
10.10.2019 09:53 Uhr