Eine Mutter und ihr Baby

Mütter bereuen Kinderwunsch Falsch abgebogen

Stand: 10.05.2015 04:16 Uhr

Mütter berichten von Überforderung, die Gründe dafür sind vielschichtig. Bei Annika Hansen ist es eindeutiger: Sie bereut ihre Entscheidung, Mutter geworden zu sein. Studien zeigen: Kinder machen nicht glücklich - zumindest nicht einfach so.

Von Anna-Mareike Krause und Michael Stürzenhofecker

Es war kein Versehen, dass sie schwanger wurde. Ihr Partner wollte Kinder, sie wollte Kinder. Sie waren schon einige Jahre zusammen. "Es war ein guter Zeitpunkt", sagt Annika Hansen*. 

Sie ist eine sehr typische, deutsche Mutter: Sie hat zwei Kinder, ist berufstätig in Teilzeit, bezeichnet die Beziehung zum Vater der Kinder als "intakt, stabil und liebevoll”. Die Familie lebt in einer hübschen Wohnung in einer mittelgroßen Stadt, die Geldsorgen sind überschaubar. Aber das Leben, sagt sie, sei "wie eine Fassade, in die ich falsch abgebogen bin."

Viele Mütter sind mit den Anforderungen an sich überfordert, sind gestresst oder unzufrieden. Hansen hingegen bereut, überhaupt Mutter geworden zu sein. Warum - das kann sie selbst nicht genau sagen. Denn es liegt nicht an dem einen Grund wie zuviel Stress, zuwenig Zeit für die Partnerschaft oder sich selbst. Trotzdem: "Wenn ich nochmal entscheiden könnte, ich würde Nicht Mutter werden", sagt sie. "Auch, wenn diese Erkenntnis mir selbst wahnsinnig weh tut."

Damit ist sie nicht allein. Anfang April veröffentlichte die israelische Wissenschaftlerin Orna Donath die Bekenntnisse von 23 Frauen, denen es ebenso geht.

Die Bekenntnisse treffen einen Nerv. Tausende Frauen und Männer diskutieren unter #RegrettingMotherhood das Für und Wider des Kinderkriegens. Immer wieder geht es um die Frage, ob Kinder glücklich machen, ob Mütter auch oft falschen Ansprüchen nicht gerecht werden können und überfordert sind. Und: Ob Mütter das überhaupt dürfen - ihre Entscheidung bereuen.

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Für Annika Hansen ist die Debatte eine Offenbarung: "Seit Jahren fühle ich mich falsch und als Mutter defizitär", sagt sie. "Zu lesen, dass es anderen Frauen genauso geht, ist eine Erleichterung. So fühle ich mich ein bisschen weniger schuldig."

Der Druck auf junge Mütter, glücklich zu sein, ist hoch. Der Nachwuchs gehört im Gesellschaftsbild zu einem geglückten Leben dazu. Die liebende und zufriedene Mutter ist das prägende Rollenbild.

Wie lässt sich Glück messen?

Allerdings ist es mit dem Glück so eine Sache, denn was genau ist damit gemeint und wie lässt sich das messen? Nur wenige Eltern würden sich nach einer durchwachten Nacht mit einem kranken oder zahnenden Kind als glücklich bezeichnen - beim Anblick eines lächelnden Kindes wiederum würde sich kaum jemand als unzufrieden beschreiben.

Mutterglück oder Elternglück scheint variabel zu sein. Das wiesen die Wissenschaftler W. Keith Campbell und Jean Twenge bei der Auswertung von 97 Studien zu Elternschaft nach.  Ihr Ergebnis: Wer Kinder bekommt, ist in den ersten Jahren unglücklicher als Kinderlose. In der Grundschulzeit gibt es ein kurzes Hoch, das zur Pubertät wieder absinkt.

Erst wenn die Kinder aus dem Haus sind, sind Eltern glücklicher als gleichaltrige ohne Nachwuchs. Diese Beobachtung machten auch die Max-Planck-Forscher in einer groß angelegten Studie mit 200.000 Erwachsenen. Ab dem Alter von 40 Jahren bedeuten Kinder mehr Lebensglück, schreiben sie. Umso mehr es sind, umso höher das Glücksempfinden. Allerdings erst in dem Alter, wenn die meisten Eltern nicht mehr Eltern von kleinen Kindern sind.

Regierung sendet widersprüchliche Signale an Mütter

In Debatten um Mutterrollen oder Elternschaft blickt man in Deutschland gerne nach Schweden: Dort nehmen Väter mehr Elternzeitmonate und es gibt mehr und günstigere Kinderbetreuung: Wenn Kinder krank werden, können Eltern bis zu 60 Tage im Jahr freinehmen. In Deutschland sind es im Regelfall 10.

Folglich sind Mütter in Schweden eher erwerbstätig. Die ARD-Hörfunkkorrespondentin Ulrike Bosse berichtet, wenn schwedische Frauen sagen würden, sie bereuten es, Mutter geworden zu sein, wäre die erste Frage nicht: Was ist das für eine Frau? Sondern: Was ist falsch in unserer Gesellschaft?

In Deutschland hingegen ist das Gefühl vieler Mütter: "Egal, wie ich es mache - ich mache es falsch”. Hausfrauen fühlen sich verurteilt, weil sie nicht berufstätig sind, berufstätige Mütter fühlen sich mit der Vereinbarkeit alleingelassen - vom Staat, aber oft auch vom Partner.

Der Gesetzgeber sendete in den vergangenen Jahren paradoxe Signale an Mütter. 2007 trat das Elterngeld in Kraft, von der damaligen Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen mit dem ausdrücklichen Ziel eingeführt, dass Mütter früher in den Beruf zurückkehren. Fünf Jahre später beschloss die Bundesregierung das umstrittene Betreuungsgeld: Seit 2013 erhalten dies Familien, wenn ihre Ein- oder Zweijährigen nach dem Ende des Elterngeldes nicht in einer Kita betreut werden. 94,7 Prozent der Empfängerinnen sind Frauen.

Mütter terrorisieren Mütter

Früher in den Beruf zurückkehren? Oder länger zuhause bleiben? Und was hat das mit Mutterglück zu tun? 96 Prozent aller Mütter in Deutschland wollen berufstätig sein. Gleichzeitig ist die soziale Erwartungshaltung, was Frauen nebenberuflich leisten sollen, in den vergangenen Jahren noch gestiegen.

"Viele Mütter laufen permanent einem Ideal hinterher, das sie nicht erreichen können”, sagt die Soziologin Christina Mundlos. Mit dem Effekt, dass der Druck steigt: "Sie machen sich Sorgen, als Rabenmütter betrachtet zu werden und neigen dann dazu, im Gegenzug andere Mütter abzuwerten – auch, um sich selbst aufzuwerten.”

Die Unzufriedenheit von Müttern sei aber ein Tabu-Thema, so Mundlos, was wiederum den Druck weiter erhöht: "Wir haben immer noch diesen Muttermythos im Kopf, der besagt, dass Mutterschaft Frauen grundsätzlich glücklicher macht.”

Weniger Glück, mehr Sinn

Der Familiensoziologe Matthias Pollmann-Schult wertete die Daten von 4.900 jungen Erwachsenen aus und kam zu dem Schluss, dass Eltern weniger zufrieden sind, was soziale Kontakte, Freizeit und Partnerschaft betrifft. Mit dem Leben insgesamt sind sie aber zufriedener.

Eine Studie der Florida State University kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: Verglichen mit Lesen, Kochen, Sex und Shoppen macht Kindererziehung demnach nicht glücklicher - eher im Gegenteil. Die Teilnehmerinnen der Studie erklärten aber mehrheitlich, ihr Leben sei "sinnhafter".

Liebe mit Reue

In einem ganz wichtigen Punkt unterscheidet sich Annika Hansen nicht von der Mehrheit der Mütter: Sie liebt ihre Kinder über alles, sagt sie: "Ich würde mich jederzeit vor einen Bus werfen, um ihr Leben zu retten.”

Denn so ambivalent, wie die Anforderungen an Mütter sind, kann auch deren Empfinden sein. Die einen sind bereits mit einem Kind überfordert und bekommen trotzdem noch eines. Die anderen sind unglücklich, zu wenig Zeit mit ihrem Kind zu verbringen und arbeiten dennoch. Andere würden gerne Karriere machen und bereuen trotzdem nicht, Mutter geworden zu sein.

Annika Hansen hätte gerne ihr Leben ohne Kinder zurück und ist trotzdem eine engagierte Mutter, die will, dass es ihren Kindern gut geht. "Ich würde mir wünschen, dass es in der gesellschaftlichen Vorstellung von Müttern mehr Varianten gibt”, sagt sie.

*Wir haben den Namen der betroffenen Frau geändert.