
Kampf gegen Rechtsextremismus Der Mordfall Lübcke hat vieles verändert
Rechtsextremistisch motivierte Morde hat es in Deutschland schon vorher gegeben, doch der Mord an Walter Lübcke war eine Zäsur. Seitdem hat sich bei den Sicherheitsbehörden vieles verändert.
Für die Sicherheitsbehörden war der Mord an Walter Lübcke eine Zäsur - auch für den Bundesinnenminister selbst. Horst Seehofer war die Betroffenheit seinerzeit deutlich anzumerken: "Es geht um einen Anschlag gegen uns alle. Gegen diesen freiheitlichen Staat. Und das ist eine neue Qualität."
Rechtsextremistisch motivierte Morde hat es in der Geschichte der Bundesrepublik viele gegeben. Doch mit Walter Lübcke wurde zum ersten Mal ein politischer Repräsentant des Staates aus rechtsextremistischen Motiven getötet.
Seitdem hat die Bekämpfung des Rechtsextremismus Priorität Nummer eins. Das hat auch damit zu tun, dass die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus spürbar nachgelassen hat.
Zuvor stand Bekämpfung des Islamismus im Mittelpunkt
Vor allem in den Jahren 2015 bis 2017 wurden die Ressourcen überwiegend dafür genutzt - vor dem Hintergrund einer stark wachsenden Zahl radikaler Islamisten und zahlreicher realisierter oder geplanter islamistischer Terroranschläge auch in Deutschland.
In dieser Hinsicht wurde der Schalter nach der Ermordung von Walter Lübcke umgelegt: Das Bundesamt für Verfassungsschutz und das Bundeskriminalamt bekamen Hunderte zusätzliche Stellen zur Bekämpfung des Rechtsextremismus.
Die Anschläge von Halle und Hanau taten ein Übriges, um deutlich zu machen, wie groß der Handlungsbedarf ist. Nach dem Anschlag in Hanau im Februar 2020 mit zehn Todesopfern bezeichnete Bundesinnenminister Horst Seehofer den Rechtsextremismus schließlich "als die größte Bedrohung in unserem Land".
Auch methodisch beschritten die Sicherheitsbehörden neue Wege. Das Prinzip dabei: von der islamistischen Bedrohung lernen. Konkret heißt das, besonders gefährliche Personen in der rechtsextremen Szene identifizieren und die Gefahr, die von ihnen ausgeht, immer wieder neu bewerten.
Erfahrungen aus "Gefährder-Management" nutzen
Letztlich geht es darum, ein "Gefährder-Management" zu etablieren, wie es sich auch im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus bewährt hat. Da sich die Methoden jedoch nicht eins zu eins übertragen lassen, braucht das Zeit - der Prozess läuft noch.
Das Bundeskriminalamt hat mit den Landeskriminalämtern in den vergangenen Monaten bereits die Zahl der rechtsextremistischen Gefährder kritisch überprüft und in der Folge höher angesetzt: Anfang Januar wurden gut 70 Personen von der Polizei als Gefährder in diesem Bereich geführt, sowie 150 sogenannte relevante Personen.
Ihnen traut man zu, dass sie einen rechtsextremistisch motivierten Anschlag verüben oder aktiv unterstützen würden.
Letztlich erscheinen die Zahlen jedoch immer noch gering - vor allem im Vergleich zu den Hunderten Gefährdern, die im Bereich Islamismus geführt werden, und angesichts von 12.000 Rechtsextremisten, die der Verfassungsschutz als gewaltorientiert einschätzt.
Netzwerkstrukturen aufspüren
Gleichzeitig geht es darum, über auf diesem Wege identifizierte Schlüsselfiguren relevante Netzwerkstrukturen besser zu erkennen. "Wir müssen insgesamt die Einzeltäter, aber auch die Netzwerke stärker kontrollieren", erklärte Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang bereits vor einigen Monaten.
Eine Konsequenz, die man eigentlich schon deutlich früher hätte ziehen müssen - nämlich nach dem Auffliegen der rechtsextremistischen Terrorgruppe NSU im Jahre 2011. Das Trio hatte jahrelang aus dem Untergrund unbehelligt morden können.
Der Fokus bei der Beobachtung des Rechtsextremismus war vor allem auf Parteien und Organisation gerichtet. Die methodischen Veränderungen haben vor allem das Ziel, Personen, die möglicherweise einen Anschlag planen, frühzeitig ausfindig zu machen und sie aus dem Verkehr zu ziehen. Im Fachjargon spricht man davon, "vor die Lage" zu kommen.
Mehrere rechtsextreme Gruppen verboten
Allerdings gab es in dieser Hinsicht auch immer wieder Erfolge: So wurden rechtsterroristische Gruppen wie Oldschool Society, die Gruppe Freital, Revolution Chemnitz oder auch die sogenannte Gruppe S. frühzeitig entdeckt und unschädlich gemacht.
Gleichzeitig setzt man weiterhin darauf, mit Hilfe von Vereinsverboten organisierte rechtsextreme Strukturen zu zerschlagen, wie Combat 18 vor einem Jahr oder zuletzt Wolfsbrigade 44 im Dezember vergangenen Jahres.
Online-Radikalisierung früh erkennen
Darüber hinaus geht es aber auch darum, der Hetze und Radikalisierung am rechten Rand insgesamt zu begegnen, vor allem im Internet.
Holger Münch, der Präsident des Bundeskriminalamts, sprach im vergangenen Jahr von "demokratiegefährdenden Ausmaßen", auf die man reagieren müsse. So wurden die Betreiber von sozialen Netzwerken verpflichtet, Hetze und Hassparolen in Postings nicht nur zu löschen, sondern auch zur Anzeige zu bringen, wenn eine strafrechtlich definierte Schwelle überschritten wird.
Zentrale Meldestelle beim BKA
Beim Bundeskriminalamt wird zur Zeit eine Zentralstelle aufgebaut, bei der die Betreiber sozialer Netzwerke sogenannte Hasspostings zentral zur Anzeige bringen sollen.
Auch gegen Walter Lübcke hatte es aufgrund seines Eintretens für Geflüchtete in sozialen Netzwerken üble Beschimpfungen bis hin zu Morddrohungen gegeben. Seine Ermordung macht deutlich, wie groß die Gefahr ist, dass aus Drohungen Taten werden.