
Rückkehrerinnen in Hessen Fürsorgepflicht von IS-Frauen wird geprüft
Stand: 30.11.2019 03:58 Uhr
Wie geht die deutsche Justiz mit Frauen um, die mit ihren Kindern aus dem IS-Gebiet zurückkehren? Hessens Justizministerin will den Hebel bei der Fürsorgepflicht ansetzen - und dafür das Strafgesetz ändern.
Von Michael Stempfle, ARD-Hauptstadtstudio
Hessen muss derzeit die Herausforderung meistern, zwei Frauen wieder aufzunehmen, die vor Jahren ins Herrschaftsgebiet der Terrormiliz "Islamischer Staat" ausgereist waren. Beide sind erst im November nach Frankfurt am Main gebracht worden. Die alles entscheidende Frage: Haben die Frauen Straftaten im IS-Gebiet begangen, für die sie vor Gericht verantwortlich gemacht werden können? Oder haben sie lediglich für ihre kämpfenden Männer gekocht? Derzeit ermitteln die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe und die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main.
Zwar handelt es sich nicht um die ersten deutschen Frauen, die im IS-Gebiet gelebt haben und nach Deutschland zurückgekommen sind. Vergleichbare Fälle gibt es auch in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Allerdings ist die mediale Aufmerksamkeit in diesen beiden Fällen besonders hoch. Das könnte auch damit zusammenhängen, dass der internationale Druck, IS-Kämpfer oder deren Frauen und Kinder zurückzunehmen, steigt.
Keine kontrollierten Rückführungen
Die Haltung der Bundesregierung bislang: Sie organisiert keine kontrollierten Rückführungen aus Syrien. Sollte es den nach Syrien Ausgereisten allerdings gelingen, bis zu einem Konsulat im Irak oder in der Türkei zu kommen, dann tritt Deutschland in Kontakt mit der irakischen oder türkischen Regierung und hilft auch bei der Rückführung.
Mit drei Kindern zurück nach Hessen
Auffallend ist der Fall der Frau aus Mittelhessen, die vor rund einer Woche mit drei Kindern am Flughafen in Frankfurt am Main ankam. Die 30-Jährige soll in Syrien gelebt haben, über Erbil nach Deutschland gebracht worden sein und im Moment auf freiem Fuß leben. Sie dürfte aktuell im Visier der hessischen Sicherheitsbehörden sein. In ihrem Fall prüft die Justiz offenbar nicht nur, ob es Beweise gibt, sie wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung anzuklagen, sondern auch, ob die Mutter ihrer Fürsorgepflicht gegenüber den Kindern nachgekommen ist.
Paragraph 171 müsste überarbeitet werden
So ist im Strafgesetzbuch geregelt, dass Eltern zu einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren verurteilt werden können, wenn sie die Fürsorge- oder Erziehungspflicht gegenüber ihren Kindern verletzen. Der Paragraph 171 stammt allerdings aus einer Zeit, in der der Gesetzgeber selbstverständlich noch nicht mit dem Phänomen zurückkehrender Mütter aus einem Kalifat konfrontiert war. Das Gesetz wird derzeit zum Beispiel bei Sexualstraftaten oder bei Drogenverabreichungen an Kinder angewandt.
Die hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann plädiert nun für eine Verschärfung dieser gesetzlichen Regelung. Sie will des Aspekt Extremismus explizit mit aufnehmen. Der "strafrechtliche Schutz reiche im Moment noch nicht aus", so Kühne-Hörmann gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio.
"Wer sein Kind in einer religiös extremistischen Art und Weise erzieht, wer es bewusst gesundheitlichen Gefahren in Konfliktgebieten aussetzt oder wer seine Kinder den Erziehungsmethoden des IS ausliefert, der sollte sich dafür auch strafrechtlich verantworten müssen", so die hessische Justizministerin. Und das müsse sich eindeutig im Gesetzestext widerspiegeln.
Spuren in sozialen Medien hinterlassen
Es sei wichtig, sich jeden Fall genau anzuschauen, betont IS-Experte Olivier Guitta von der Beratungsfirma "GlobalStrat" in London. Es gehe darum, Frauen, die nur für ihre Männer gekocht haben, von denjenigen zu unterscheiden, die etwa Teil der IS-Sittenpolizei waren. Der Westen dürfe dabei nicht naiv sein, warnt Guitta. Der Vorteil für die Ermittler: Die IS-Anhängerinnen wären in sozialen Medien häufig nicht zurückhaltend gewesen und hätten oft wichtige Spuren hinterlassen. Glaubwürdig seien vor allem die Frauen, die nachweisen könnten, dass sie aus dem IS-Gebiet fliehen wollten.
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