Olaf Scholz
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Bürgerdialog in Erfurt Ein Gute-Laune-Kanzler mit wenigen Antworten

Stand: 11.08.2023 08:33 Uhr

Gelassen kommt Kanzler Scholz aus dem Sommerurlaub zurück. Beim Bürgerdialog in Erfurt beantwortet er nicht alle Fragen - will aber einen "Kurs der Zuversicht" vorgeben.

Eine Analyse von Thomas Vorreyer

Wenn man Olaf Scholz fragt, was stimmungsmäßig gerade los ist in Deutschland, dann sagt er: "Wir leben in Zeiten großer Umbrüche." Diese machten immer Sorgen und Angst. Dafür habe der Kanzler großes Verständnis - "alles andere wäre auch ungewöhnlich".

Scholz steht auf dem ehemaligen Gartenschau-Gelände in Erfurt. Um ihn herum sitzen etwas mehr als hundert Menschen, ausgeloste Teilnehmer und Teilnehmerinnen des Kanzlergesprächs. Thüringen ist die erste Station des Bürgerdialogs nach der Sommerpause 2023.

Sommertour des Bundeskanzlers: Scholz stellt sich Bürgerfragen in Erfurt

Marie Landes/Fabian Held, MDR, tagesschau24, 11.08.2023 09:00 Uhr

Trend für Scholz und Ampel zeigt nach unten

Scholz war zuvor einige Tage in Frankreich zum Urlaub. Er hat das Feld davor und währenddessen vor allem Oppositionsführer Friedrich Merz überlassen. Der CDU-Chef leistete sich mehrere Fehltritte mit Aussagen über die in Umfragen gerade so starke AfD. Wochenlang dominierte die Opposition die Berichterstattung.

Die Ampel hat in derselben Zeit bei keinem großen Reizthema gepunktet. Zwar halten gerade alle Parteien beim Streit um das Heizungsgesetz die Füße still. Aber die Inflation etwa ist unverändert hoch. Die Koalition redet statt über den nächsten "Wumms" über Sparmaßnahmen und die Wiederanhebung der Umsatzsteuer im Gastrogewerbe.

Bei der Asylpolitik hat Innenministerin Nancy Faeser mit neuen Abschiebe-Plänen in der SPD und in der Koalition nur verhaltene Reaktionen ausgelöst. Berlins Haltung zum Ukrainekrieg bleibt unverändert: Man plant die nächste millionenschwere Militärhilfe.

Und gegen die Rezession und die bei CDU, AfD und Teilen der Wirtschaft beschworene "Deindustrialisierung" könnte eventuell ein billigerer Industriestrompreis helfen. Die Ampel ist sich allerdings auch hier uneins.

Umfragehoch für die AfD

Im aktuellen ARD-DeutschlandTrend zeigt sich nur knapp ein Fünftel der Befragten zufrieden mit der Regierungsarbeit. Scholz’ eigener Zufriedenheitswert liegt bei 31 Prozent - so niedrig wie nie. Wäre Sonntag Bundestagswahl, kämen SPD, Grüne und FDP zusammen auf 39 Prozent. Die AfD wiederum steht bei 21 Prozent - ein Rekordwert. Hier in Thüringen, wo 2024 eine Landtagswahl ansteht, wäre die Höcke-Partei mit großem Abstand stärkste Kraft.

Zum Sommeranfang hatte Scholz die AfD eine "Schlechte-Laune-Partei" genannt, deren Wahlerfolge in Sonneberg und Raguhn-Jeßnitz Ausnahmen bleiben würden. Am Umfragehoch der in großen Teilen extrem rechten Partei treffe die Ampel keine Schuld.

Gute-Laune-Kanzler

So betont entspannt, wie er sich verabschiedet hatte, taucht der Kanzler in Erfurt wieder auf. Er grinst sein Scholz-Grinsen und lässt die Leute reden. Scholz ignoriert, dass ein Fragesteller von "Politikerkaste" spricht. Er sagt einer Frau ruhig, dass Gesundheitsminister Karl Lauterbach nicht von der Pharmaindustrie bezahlt werde.

Zur ausgestellten Gelassenheit gehört auch, dass Scholz breit erzählt, wie gut er außerhalb und innerhalb der Politik Geld verdient hat. Im Alter sei er mehr als abgesichert. 

Direkt im Anschluss sagt eine Rentnerin aus Eisenach, sie und ihr Mann müssten trotz Rente weiterarbeiten - sie in der Gastronomie, er als Taxifahrer. Die Kosten für die private Krankenversicherung erdrückten sie beinahe. Bürgergeld-Empfänger hingegen würden das Leben genießen. Scholz beginnt seine Antwort mit: "Sehr gut, dass Sie so fleißig sind."

Der Satz könnte angesichts der Situation des Paares deplatziert wirken, ist aber Teil von Scholz’ Strategie für den Abend. Entweder lobt er die Leute oder er gibt ihnen in einem Detail recht. Dann hebt Scholz an und spannt einen langen Bogen - der Kanzler, ein Mann mit dem Blick für Details und das große Ganze.

Scholz kommt um Heizungsstreit herum

Oft ist der Bogen aber eher eine Stichpunktliste, an deren Ende erst die eigentliche Antwort steht. Manchmal kommt die auch gar nicht. Nicht immer hakt die Moderatorin nach.

Eine Kleinstadt-Friseurmeisterin fragt, wie sie steigende Mindestlöhne zahlen soll. Die Kunden würden die Preiserhöhungen für einen Haarschnitt nicht mehr mitgehen. Scholz redet über die vielen Ex-Niedriglöhner, die gerade im Osten vom Mindestlohn profitiert hätten. Von Anpassungen bei den Sozialbeiträgen. Von der Bekämpfung von Lohndumping. Die Frage der Handwerkerin beantwortet er nicht.

Fragen zur Asylpolitik, zum Heizungsgesetz oder zum Dauerstreit in der Ampel bleiben Scholz erspart. Dafür verteidigt er mit bester Laune das Atomkraft-Aus, das weitestgehende Verbrenner-Aus, Kürzungen in der politischen Bildungsarbeit.

Wo das Scholz-Grinsen mal verschwindet, ist das Thema Ukraine-Hilfen. An denen lässt er nicht rütteln. Wenn sich die Vorstellungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin von Krieg als Machtpolitik durchsetzen würden, sagt Scholz, dann wäre das "ein Brand, den wir nicht mehr gelöscht kriegen" in Europa. In diesem Moment sucht er die Gesichter der Anwesenden im Rund ab.

"Kurs der Zuversicht" gegen die AfD

Aber was ist nun mit der miesen Stimmung im Land? Was tut Scholz gegen die, die die Demokratie "unterwandern" würden? "Gegenhalten", "Freiheit verteidigen", einen "Kurs der Zuversicht" vorgeben, sagt der Bundeskanzler.

Zuversicht versucht Scholz für die Zukunft der Wirtschaft auszustrahlen. Er verweist auf die jüngsten Großansiedlungen mehrerer Chip-Hersteller in Deutschland, vor allem im Osten. In dieser Woche erst hatte der Branchenriese TSMC bekannt gegeben, nach Dresden kommen zu wollen. Wie bei Intel in Magdeburg sichert der Bund den Fabrikbau mit mehreren Milliarden Euro. Es ist eine teure Wette.

Deutschland ist auf dem richtigen Weg, so die Botschaft. Mit der Umstellung auf E-Mobilität, dem künftigen Export von Wasserstoff- und Windkrafttechnik und klimaneutraler Industrie entzieht man sich laut Scholz einem immer schärferen Wettbewerb um immer knapper werdende fossile Ressourcen. Das, findet Scholz, sei "übrigens für uns in Deutschland ‘ne gute Chance".