Pressekonferenz Müller, Merkel und Söder

Bund-Länder-Gipfel Was von der MPK bleibt

Stand: 09.04.2021 18:51 Uhr

Mit der Absage der Bund-Länder-Gespräche nächste Woche endet wohl auch ein Corona-Ritual. Seit mehr als einem Jahr waren die Konferenzen der Ministerpräsidenten ein Fixpunkt. Ein Rückblick in Schlagworten: von Candy Crush bis Osterruhe.

A-Länder

Niedersachsen ist ein A-Land, Mecklenburg-Vorpommern auch, ebenso Hamburg. Nicht aber Bayern, das ist ein B-Land. Mit Nord und Süd hat die Einteilung allerdings nichts zu tun. Vielmehr handelt es sich um eine politische Einordnung. Zur Gruppe der A-Länder zählen die SPD-geführten Bundesländer plus Thüringen und Baden-Württemberg. Die B-Länder umfassen die unionsgeführten Länder. Diese Eingruppierung gilt nicht nur für die Ministerpräsidenten-Konferenzen (MPK), sondern auch für andere Fachminister-Konferenzen oder den Bundesrat. Meist sprechen sich die Gruppen vor Sitzungen ab, um anschließend gemeinsame Positionen zu vertreten.

Ä wie ÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄ ...

Den Anfang machte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff - nicht mit voller Absicht während einer zähen MPK, sondern wohl eher aus Ungeschicklichkeit. Sein einsames "Ä" - ein klassischer Twitter-Unfall. Volle Absicht darf jedoch seinem Amtskollegen Bodo Ramelow aus Thüringen im März unterstellt werden, als er 279 Äs in die Nacht twitterte. Mehr als zehn Stunden beriet zu diesem Zeitpunkt die MPK bereits - ob Ramelow damit ein politisches Statement abgeben wollte oder ihm einfach nur langweilig war? Er selbst spricht von einem solidarischen Tweet in Richtung Haseloff.

Beherbergungsverbot

Kaum ein Aspekt bewegte Länder und Gerichte so stark wie das Beherbergungsverbot im vergangenen Herbst. Der wenig gebräuchliche Begriff bedeutet nichts anderes, als dass Hotels, privat und gewerblich vermietete Ferienhäuser, Pensionen, Ferienwohnungen, Wohnmobilstellplätze, Campingplätze, Jugendherbergen oder Schullandheime keine touristischen Gäste unterbringen dürfen. Bereits im Juli hatte Baden-Württemberg ein Beherbergungsverbot ausgesprochen, mehrere Bundesländer zogen nach. Gerichte kassierten zahlreiche Verbote. Mehrere Virologen lehnten die Maßnahme ab. Die Regeln unterschieden sich zudem von Land zu Land. Am Ende herrschte ein heilloses Durcheinander.

Vor allem Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidenten Manuela Schwesig verteidigte die Maßnahmen bis zuletzt. Beim Treffen Mitte Oktober sollte es eines der Top-Themen werden - am Ende gab es aber keinen Beschluss dazu. Viele Bundesländer hoben das Verbot später auf. Ohnehin: Im Sog der nächsten Welle wurde das Thema obsolet. Inzwischen ist wegen des Lockdowns in Deutschland das Urlauben ohnehin kaum möglich - immerhin fast einheitlich.

Candy Crush

Publik gemacht hatte es zunächst der "Spiegel". In einem Artikel über die Ministerpräsidentenkonferenz wurde kolportiert, dass sich ein Ministerpräsident in den mehrstündigen Runden mit dem Spiel "Candy Crush" auf seinem Smartphone die Zeit vertreibe. Im Januar plauderte Bodo Ramelow auf "Clubhouse" aus, dass er damit gemeint war. Dem MDR bestätigte er dies später: "Die einen spielen Sudoku, die anderen auf dem Handy Schach - ich spiele Candy Crush." Angesichts der Tatsache, dass es bei den Treffen um schwerwiegende Entscheidungen geht, erntete der Linkspolitiker massive Kritik.

Expertinnen und Experten

Immer wieder wurden Expertinnen und Experten eingeladen, die vor Beginn der Verhandlungen die Lage erläutern sollten. Zu den Teilnehmern gehörten etwa Michael Meyer-Hermann vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig. Er hielt den Eingangsvortrag am 14. Oktober. In der ersten Januar-Woche erläuterte etwa der Vorstandsvorsitzende der Berliner Charité, Heyo K. Kroemer, den Ernst der Lage. Beim folgenden Treffen durfte gleich eine ganze Gruppe referieren: Rolf Apweiler, Melanie Brinkmann, Kai Nagel, Cornelia Betsch, Gérard Krause und Meyer-Hermann gehörten dazu. An der Auswahl der Experten gab es regelmäßig Kritik: Zu unausgewogen sei die Zusammensetzung der Gruppe, hieß es immer wieder.

Fehler

Dass Politiker oder Politikerinnen Fehler einräumen, kommt nicht oft vor. Noch seltener ist es, dass eine Kanzlerin sich hinstellt und einen Beschluss als "einzig und allein meinen Fehler" bezeichnet. So geschehen bei der Vereinbarung zur "Osterruhe". Merkel nahm die von allen gemeinsam in der MPK beschlossene Entscheidung zurück und bat alle Bürgerinnen und Bürger um Verzeihung.

Hotspotstrategie

Schon im Mai des vergangenen Jahres wurde eine Hotspotstrategie beschlossen. Regionen mit hoher Inzidenz (die Zahl 50 galt zunächst als Marke) sollen strengere Regeln umsetzen. Bis heute erfuhr die Strategie zahlreiche Neubenennungen. Anfang März wurde schließlich eine sogenannte Notbremse festgelegt, die bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von mehr als 100 greift. Da die Länder dies nur halbherzig umsetzten, soll nun eine verbindliche Notbremse über ein Bundesgesetz eingeführt werden.

Infektionsschutzgesetz

Die derzeit gültige Fassung des Infektionsschutzgesetzes sieht vor, dass es Aufgabe der Länder ist, Corona-Schutzmaßnahmen zu erlassen und durchzusetzen. Das führte jedoch zu bundesweit unterschiedlichen Regelungen und teilweise auch sehr freihändiger Interpretation der Beschlüsse. Das will der Bund nun ändern. Nächste Woche will das Kabinett ein geändertes Infektionsschutzgesetz auf den Weg bringen, das dem Bund mehr Kompetenzen gibt, um vor allem die Anwendung der "Notbremse" zu vereinheitlichen.

Kritik

Mit jeder Entscheidung wuchs zuletzt auch die Kritik an dem Gremium. Die MPK ist kein Verfassungsorgan. Weder Bundestag noch Bundesrat waren in die Beschlüsse einbezogen, es gab keinen transparenten Gesetzgebungsprozess. Die Corona-Beschränkungen wurden allein über Verordnungen umgesetzt. Vor allem die Opposition im Bundestag pochte immer wieder auf ein Mitspracherecht.

Live-Übertragung

Seit die Bund-Länder-Beratungen Corona-bedingt nur noch via Bildschirm stattfinden, dringt quasi jedes Wort fast in Echtzeit an die Medien. Nicht nur, dass Beschlussvorlagen vorher gezielt durchgestochen werden, auch während der Beratungen wird vieles aus der Runde sofort öffentlich. Ob sich Markus Söder mit Olaf Scholz zoffte, ob Spahn versuchte, mit einem Duplo im Mund eine Kanzlerinnenfrage zu den Test-Kapazitäten zu beantworten: Alles war wenig später im Detail nachzulesen. Die Indiskretionen aus den eigenen Reihen stärkten nicht unbedingt das Gefühl der Vertraulichkeit. Offenbar sind bei den Runden eine Vielzahl an Personen zugeschaltet, Ministerpräsident Ramelow nannte zuletzt die Zahl von 61.

MPK

Als Gremium der Selbstkoordination der Bundesländer wurde die MPK im Jahr 1954 gegründet - damals mit dem Vorsitzenden Hans Ehard. Vor Corona-Zeiten war das öffentliche Interesse an den Ministerpräsidentenkonferenzen eher begrenzt. Etwa vier Mal im Jahr fand sie normalerweise statt, zwei Mal davon mit der Kanzlerin. Bei der letzten Sitzung vor der Corona-Krise im Dezember 2019 wurde zum Beispiel über die Ladesäuleninfrastruktur für E-Autos gesprochen und den flächendeckenden Ausbau der Mobilfunkinfrastruktur.

Osterruhe

Der Vorschlag kam bei der bisher letzten MPK zu später Stunde auf den Tisch - und er sorgte nicht nur bei Beobachtern für Verwunderung. Gegen 2.30 Uhr verkündete die MPK, dass  Bund und Länder sich auf  eine "erweiterte Ruhezeit zu Ostern" geeinigt hätten. Mit diesem Lockdown sollte die dritte Corona-Welle gebrochen werden. Was das im Detail bedeutet, war zu diesem Zeitpunkt offenbar allen unklar. Nicht nur Fragen wie Lohnfortzahlung und Lieferketten blieben offen. Die Wirtschaft lief Sturm. Am Ende nahm Merkel die Entscheidung in einer beispiellosen Erklärung zurück. "Dieser Fehler ist einzig und allein mein Fehler." Sie blieb mit dem Schuldeingeständnis dennoch nicht allein. Gleich mehrere Ministerpräsidenten zogen nach und räumten ebenso Fehler ein.

Pause

Bei der Ministerpräsidentenkonferenz vor Ostern kam es kurz vor dem unheilvollen "Osterruhe"-Beschluss zu einer Pause, die als bisher längste Unterbrechung eingehen wird. Gegen 18.30 Uhr wurde das Treffen unterbrochen. Dann begann das lange Warten. Ramelow schilderte es am nächsten Tag im gemeinsamen Morgenmagazin von ZDF und ARD so: "Ich habe dort sechs Stunden vor dem Bildschirm gesessen und gewartet, dass die Viertelstunde Pause, um die gebeten worden ist, auch mal beendet wird und man gesagt bekommt, was eigentlich passiert."

Was passierte, ist eine andere Geschichte. Gegen 2.30 Uhr traten Kanzlerin und Ministerpräsidenten vor die Presse und verkündeten zu aller Überraschung die "Osterruhe".

Quarantäne

Bei der Sitzung am 12. März 2020 fehlte Baden-Württembergs Regierungschef Winfried Kretschmann. Der Grünen-Politiker musste sich nach Kontakt zu einem Corona-Fall vorsorglich in häusliche Isolation begeben. Das wäre bei späteren MPK-Sitzungen nicht weiter aufgefallen, aber zu dem frühen Zeitpunkt der Pandemie traf man sich noch leibhaftig. Wenig später schon endeten die Präsenztreffen und konferiert wurde nur noch virtuell.

Schlumpfig herumgegrinst

"Scholzomat" war gestern, heute ist Schlumpf. Er brauche hier gar nicht so "schlumpfig herumgrinsen" soll Bayerns Ministerpräsident Söder in der Sitzung Anfang März zu Finanzminister Olaf Scholz gesagt haben - da hatte man schon viele Stunden via Bildschirm zusammengehockt und sich offenbar auch hier und da angezickt. Dem Vernehmen nach versöhnten sich die Herren aber später wieder, zumal Scholz offenbar auch wenig gegen den Schlumpf-Vergleich hat. Schlümpfe seien schließlich listig und gewinnen immer, so der SPD-Kanzlerkandidat.

Team Vorsicht

Am Ende geht es immer auch um die Deutungshoheit. "Klare Linie, klarer Kurs: Das Team Vorsicht hat sich durchgesetzt", twitterte Markus Söder nach dem Treffen Ende März. Söder zählt sich natürlich selbst zum Team Vorsicht - ganz offensichtlich an der Seite von Kanzlerin Merkel. Weitere Mitglieder sind nicht bekannt. Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus ließ Anfang März mal verlauten, dass er auch zum "Team Vorsicht" gehöre. Auch wenn es nicht ausgesprochen wird. Klar ist, wen Söder nicht in diesem Team sieht: seinen mutmaßlichen Kanzlerkandidaten-Kontrahenten Laschet.

Unheil

Gut sieben Stunden lang tagten die Ministerpräsidenten Mitte Oktober, als Merkels Geduld - so berichteten zumindest mehrere Medien - zu Ende ging. "Die Ansagen von uns sind nicht hart genug, um das Unheil von uns abzuwenden", wird sie zitiert. "Dann sitzen wir in zwei Wochen eben wieder hier." Tatsächlich scheint die Mahnung, den Gesprächen eine Wende gegeben zu haben.

Die Runde besserte aber nur leicht nach. Wie wenig einig man sich war, zeigen am Ende gleich mehrere Protokollerklärungen von Bundesländern, die dem Beschluss angefügt werden. Zwei Wochen saßen Ministerpräsidenten und Kanzlerin dann tatsächlich wieder zusammen. Der "Lockdown light" wurde beschlossen.

Verordnungen

Kein Beschluss der MPK hatte politische Folgen, solange nicht die Länder die gefassten Ergebnisse in Verordnungen umsetzten. Und die wichen oftmals vom Original-Beschluss ab. Immer wieder gingen die Länder Sonderwege, so dass die Corona-Regeln in Deutschland einem unübersichtlichen Flickenteppich glichen.

XX

Keine Beschlussvorlage, die an die Medien durchgestochen wurde, kam ohne Leerstellen aus. Die eingefügten XX, wahlweise auch eckige Klammern, gaben Hinweise auf das spätere Ringen bei dem Treffen. Ab welcher Inzidenz gilt die Notbremse? Ab wann soll die Ausgangssperre verhängt werden? Wieviele Menschen dürfen zusammenkommen?

Zeit

Üblicherweise begannen die Bund-Länder-Treffen gegen 14 Uhr. Für den frühen Abend wurde meist eine Pressekonferenz angesetzt - dabei war zuletzt klar, dass sie kaum zu diesem Zeitpunkt auch wirklich beginnt. Die letzten Treffen waren gleichzeitig auch die längsten Sitzungen. Anfang März dauerte das Ringen gut neun Stunden. Es sei die längste Ministerpräsidentenkonferenz gewesen, die er bisher mitgemacht habe, sagte Laschet damals. Das folgende Treffen vor Ostern dauerte schließlich mehr als zwölf Stunden. "Es wird keine Ministerpräsidentenkonferenz mehr geben, die bis drei Uhr nachts geht", wird Dreyer später zitiert.

Manchmal ging es aber auch ganz schnell: Am 13. Dezember zum Beispiel, einem Sonntag. Große Differenzen zwischen Bund und Ländern gab es angesichts steigender Infektionszahlen nicht mehr, aus dem "Lockdown light" wurde ein harter Lockdown.