Lisa Paus

Kindergrundsicherung Wie die Familienministerin rechnet

Stand: 01.09.2023 18:55 Uhr

Immer wieder kursieren andere Zahlen zur Kindergrundsicherung. Wie genau Familienministerin Paus die Kosten für das Projekt berechnet, bleibt aber nach wie vor vage. Ein Rechenversuch.

Familienministerin Lisa Paus sagt von sich selbst, sie habe ein sehr vertrautes Verhältnis zu Zahlen. Das darf man der studierten Volkswirtin schon glauben - jahrelang wirkte sie im Bundestag als Sprecherin für Finanz- und Steuerpolitik bei der Fraktion der Grünen. Beim größten sozialpolitischen Projekt der Ampelkoalition, das sie federführend ausgearbeitet hat, muss die Politikerin sich allerdings den Vorwurf gefallen lassen, dass sie mit ihren vielen Zahlen eher verwirrt: Bei der Kindergrundsicherung nämlich kursieren seit Monaten verschiedenste Zahlen.

Zuerst hat Paus zwölf Milliarden Euro jährlich dafür veranschlagt. Dann sah die mittelfristige Finanzplanung von FDP-Finanzminister Christian Lindner für den Haushalt 2025 nur zwei Milliarden Euro dafür vor. Am 1. Januar 2025 soll die Auszahlung der Kindergrundsicherung starten. Allerdings hieß es bereits bei der Einigung zum Haushaltspapier vor der Sommerpause, dass dies zunächst nur eine Platzhalterzahl sei - die Familienministerin sollte bis Ende August konkretere Zahlenmodelle vorlegen. Wie teuer es würde, lag auch an der Frage, ob eher mehr oder weniger Leistungsverbesserungen für armutsgefährdete Kinder hinzukommen.

Immer wieder sprach Paus von zwei bis sieben Milliarden Euro jährlichen Neukosten. Am Montag kam es nun zu einer Einigung: Zunächst soll es für die Kindergrundsicherung im ersten Auszahlungsjahr 2025 doch nur rund 2,4 Milliarden Euro geben - nicht weit von der von Lindner festgelegten Zahl und scheinbar weit entfernt von Paus' Vorstellungen. Und das nach einer monatelangen und mühsamen Einigungsphase zwischen Lindner und Paus, in die Bundeskanzler Olaf Scholz mehrfach eingreifen musste. Nach einem geräuschvollen Schlussakt stand Paus wie die Verhandlungsverliererin da.

Die FDP feierte hingegen die Einigung - Lindner wollte vor allem eine Verwaltungsreform und zeigte kein Verständnis für eine allgemeine Ausweitung der Leistungen für bedürftige Kinder. Die Kindergrundsicherung war bereits im Koalitionsvertrag verhandelt worden - als Vereinfachung und Zusammenführung verschiedenster familienpolitischer Leistungen. Verbunden damit ist für die FDP-Seite die Vorstellung, dass das neue Instrument ohne generelle Leistungsverbesserungen natürlich nicht viel mehr kostet, als der Staat ohnehin bereits ausgibt: für Heranwachsende mittels Kindergeld, Kinderfreibeträge in der Einkommenssteuer, Kinderzuschlag für Geringverdiener oder über Bürgergeld für erwerbslose Eltern und solche, die ihr geringes Einkommen mit Bürgergeld aufstocken.

Verwirrspiel geht weiter

Doch das Zahlenspiel ist offenbar weiter nicht beendet: Auch nach der Einigung vom Montag rechnet die Familienministerin mit "sechs Milliarden Euro und mehr" für die kommenden Jahre. "Wenn wir dann noch die weiteren Kosten für die bereits erfolgten Kindergelderhöhungen, den höheren Kinderzuschlag und zukünftige Kindergelderhöhungen dazunehmen, sind wir schon bei deutlich über zehn Milliarden Euro", sagte Paus am Donnerstag.

Aus dem Familienministerium heißt es, bis 2028 seien voraussichtlich 6,3 Milliarden Euro im Jahr notwendig - so steht es auch im Referentenentwurf ihres Hauses, der dem ARD-Hauptstadtstudio vorliegt. Der Entwurf befindet sich derzeit in der Verbandsanhörung und soll übernächste Woche ins Kabinett. Die höhere Summe berechnet sich aus dem geschätzten Mehraufwand von bis zu 5,74 Milliarden Euro und den jährlichen Verwaltungskosten von 500 Millionen Euro.

Paus geht davon aus, dass im ersten Jahr der Kindergrundsicherung nur 47 Prozent der Bezugsberechtigten erreicht werden - dazu gehören etwa auch geringverdienende berufstätige Eltern und beruflich Selbstständige, die bisher selten Leistungen in Anspruch nehmen. Deswegen stehen für das Einstiegsjahr 2025 nur 2,4 Milliarden Euro im Gesetz.

Doch die Idee der sozialpolitischen Reform ist, möglichst alle Berechtigten zu erreichen. Erhielten vier von fünf berechtigten Kindern den vom Einkommen der Eltern abhängigen Kinderzusatzbetrag, ergeben sich laut Paus die sechs Milliarden. Paus‘ Gesetzentwurf kalkuliert, dass diese 80 Prozent spätestens im vierten Jahr nach der Einführung erreicht werden - also im Jahr 2028.

Paus doch die heimliche Gewinnerin?

Die Zahlen können verwirren - auch weil es nur Schätzungen sind. Unklar bleibt für künftige Berechnungen, wie viele Eltern die Kindergrundsicherung wirklich abrufen. Paus argumentiert etwa, dass mehr anspruchsberechtige Eltern das Geld abrufen, weil das Stigma der "Sozialhilfe" weg ist. Denn rund 1,9 Millionen Kinder kämen damit aus dem Bürgergeldbezug heraus.

Wären es 90 Prozent der Eltern und bezugsberechtigten Jugendlichen, würden nach Informationen von tagesschau.de dem Bundeshaushalt Stand heute wohl sogar 7,5 Milliarden Euro Kosten entstehen. Doch gerade der Kinderzuschlag für Geringverdiener wird laut Ministerium nur zu geschätzten 35 Prozent in Anspruch genommen. Diese bisher niedrigen Abrufquoten zeigen, dass die Anträge bisher zu unbekannt oder zu kompliziert sind. Genau das will die Ampelkoalition mit der einfacher abrufbareren Kindergrundsicherung ändern.

Je erfolgreicher das Projekt also laufen wird, desto mehr gerät Lindner mit seinem Bundeshaushalt unter Druck. Die bisherige Gesetzesvorlage, die Lindner natürlich kennt, sieht diese Möglichkeit aber als Auszahlungsanspruch klar und deutlich vor. Auf Nachfrage, ob sie in ihrem Haushalt dann künftig andere Posten kürzen muss, je teurer die Kindergrundsicherung wird, sagt Paus: Diese Verknüpfung habe es in ihrer Einigung mit Lindner nicht gegeben. Die FDP wird also, sollte das Gesetz in der jetzigen Form in Kraft treten, keine absolute Ausgabengrenze einfordern können.

Die konkrete Höhe der Kindergrundsicherung lässt sich anderthalb Jahre im Voraus nicht einfach präzise berechnen - sie steht noch nicht fest, weil der Betrag an anderen staatlichen Zahlungen hängt, die immer wieder an die aktuellen Lebenskosten angepasst werden. Die neuen Regelsätze hängen etwa auch vom soziokulturellen Existenzminimum ab, das derzeit neu berechnet wird.

Vera Wolfskämpf, ARD Berlin, tagesschau, 31.08.2023 12:11 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 31. August 2023 um 09:00 Uhr.