Oppositionsführer Merz am Rednerpult bei der Generaldebatte im Bundestag.
analyse

Union in der Opposition Welche Strategie verfolgt Merz?

Stand: 17.02.2024 13:44 Uhr

Der Kurs von CDU und CSU in der Opposition wirkt an vielen Stellen widersprüchlich. Das liegt vor allem an CDU-Chef Merz. Selbst in der eigenen Partei sind einige skeptisch ihm gegenüber.

Von Corinna Emundts, tagesschau.de

Das passte einfach nicht zusammen: Die Worte von Unionsfraktionschef Friedrich Merz in der Generaldebatte im Bundestag waren kaum verhallt, mit denen er Kanzler Olaf Scholz laut und deutlich einen Korb erteilte, was künftige Zusammenarbeit anging. Zehn Tage später wurde sein Brief an Scholz öffentlich, in dem er der Ampel Reformvorschläge zur Unterstützung der Wirtschaft machte. Gleichzeitig blockiert die Union derzeit das von der Ampelkoalition für die Wirtschaft konzipierte "Wachstumschancengesetz" im Bundesrat.

Es fällt selbst manchem Unionsmitglied schwer, in dieser Wechselhaftigkeit eine echte Strategie zu entdecken. Auch die Politologin Ursula Münch findet den Kurs der größten Oppositionspartei im Bundestag "nicht immer ganz stringent", er schwanke zwischen kooperativ und kompetitiv.

Doch sei das "nicht unbedingt ein Zeichen von Führungsschwäche oder ein Strategiedefizit von Merz", urteilt Münch im Gespräch mit tagesschau.de. Letztlich habe die Union dasselbe Schicksal wie die Ampelparteien, mit einer Vielzahl von aktuellen Problemen vom Bauernprotest bis zur Inflation konfrontiert zu sein - und zu versuchen, darauf zu reagieren. Dabei gingen auch innerhalb der Parteien Sichtweisen und Einschätzungen auseinander.

Gerade bei einer Oppositionspartei käme noch ein Aspekt hinzu, so Münch: "Für Merz stellt sich zudem die Grundsatzfrage, wie kooperativ man sich als Union überhaupt zeigen kann, wenn gleichzeitig eine destruktive Kraft wie die AfD im Bundestag sitzt."

Wozu verpflichtet die staatspolitische Verantwortung?

Tatsächlich scheint das ein Dilemma für die Union zu sein - sie schreibt traditionell die staatspolitische Verantwortung groß, was eher für eine Kooperation mit der Ampelkoalition bei verfassungsrelevanten Fragen spricht. Für die nämlich braucht es eine demokratische Zweidrittelmehrheit.

Nach Putins Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 gab sich Merz hier entsprechend staatsmännisch, lobte den Kanzler und stimmte für ein Bundeswehr-Sondervermögen mit ab. Doch je mehr Kooperation, sei es nur in Grundsatzfragen, desto eher wird die AfD behaupten, alle anderen Bundestagsparteien seien nicht unterscheidbar und machten gemeinsame Sache.

Womöglich betont Merz auch deswegen in seinen Bundestagsauftritten eher polternd lautstark das Trennende zur Scholz-Regierung - und zum Kanzler, den er als "Klempner der Macht" betitelte. Und doch gibt es Fragen wie die Stärkung des Bundesverfassungsgerichts, für die eine Zweidrittelmehrheit mit der Union gebraucht wird - die hier auch Kooperation signalisiert, im Bundestag wie auch in den Länderjustizministerien.

Und ob die Union bis zum Ende der Legislatur ihre apodiktische Absage an eine Reform der Schuldenbremse wirklich wird durchhalten können, bleibt eine offene Frage. Erst recht, sollte im Falle eines Trump-Wahlsieges noch höherer Unterstützungsbedarf für die Ukraine nötig sein und der Wehretat erneut erhöht wird. Denn dabei ist die Union klar auf Kurs der Ampelregierung.

Für die Schuldenbremse - und einen höheren Wehretat

Doch gerade beim Thema Finanzen tritt die Union erneut völlig widersprüchlich auf: Einerseits fordern auch die Unionsverteidigungspolitiker mittelfristig deutlich mehr Geld für die Bundeswehr. Andererseits hat sich Merz festgelegt, die Schuldenbremse dazu nicht antasten zu wollen. Auch ein neues sogenanntes Sondervermögen sehen die CDU/CSU-Haushälter hierfür nicht - das wäre ein separater Schuldentopf, ohne dass die Schuldenbremse berührt würde.

Bei der Förderung der derzeit schwächelnden Wirtschaft ist es ähnlich unübersichtlich: Der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck bekam von der Union im Bundestag kürzlich keinerlei Applaus für den Vorschlag, ein neues Sondervermögen zur strukturellen Stärkung der Unternehmen einzurichten. Obwohl ihn dafür Ökonomen wie etwa Clemens Fuest vom Ifo-Institut loben, auf den die Union sonst auch gern mal hört.

Keine Kooperation beim Bundeshaushalt

Vor der verspäteten Verabschiedung des Bundeshaushalts 2024 wiederum brachten die Unionsabgeordneten im Haushaltsausschuss keinerlei Änderungsvorschläge - ein unüblicher Vorgang für eine selbstbewusste Oppositionspartei. Merz begründete das im Bundestag so: Man sei vollkommen anderer Meinung als Scholz, "und zwar nicht im Detail, sondern im Grundsatz, im Grundsätzlichen!"

Bei den derzeit im Landtagswahlkampf befindlichen Ost-Landesverbänden kommt solch ein markiges Abgrenzen durchaus gut an: "Das ist die Aufgabe der CDU. Sie muss klar machen: Es gibt Opposition zu dieser Bundesregierung, die historisch unbeliebt ist bei den Menschen", sagt Brandenburgs CDU-Spitzenkandidat Jan Redmann im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio.

Die Partei müsse ein Angebot für unzufriedene Wählerinnen und Wähler sein, so Redmann. "Ihnen aufzuzeigen, dass es auch im demokratischen, seriösen, anständigen Spektrum eine Partei gibt, die durchaus Kritik in der Sache der Ampel teilt und andere politische Vorstellungen hat, das ist gerade in Ostdeutschland sehr wichtig."

Schärfere Attacken gegen AfD

Für CDU-Chef Merz sind die drei ostdeutschen Landtagswahlen im Herbst aus verschiedenen Gründen wichtig. Aus seiner Sicht geht es in Thüringen sogar um das Ansehen Deutschlands: "Ganz Europa schaut auf dieses Land am 1. September."

Dort könnte die AfD die meisten Stimmen bekommen. "Das wäre eine Schande für Thüringen, vor allem aber eine Schande für Deutschland", rief Merz beim politischen Aschermittwoch ins Bierzelt im thüringischen Apolda hinein. Und warnte vor einer "Denkzettel-Wahl gegen 'die da aus Berlin'". Zu denen gehört er ja auch.

Es geht auch um seine Zukunft als CDU-Kanzlerkandidat. Derzeit belegt er den dritten Platz der Politikerzufriedenheit nach Boris Pistorius und Annalena Baerbock - und weit vor dem Kanzler.

Merz hat sich nach dem Ende der Ära Merkel in der Union nach ganz oben durchgesetzt, aber er erreicht die Seele der Partei nicht wirklich. Seine echten Fans hat er eher im Wirtschaftsflügel der Fraktion. Dort schätzt man seinen professionellen Managementstil.

Seine Kritiker zollen ihm zwar Respekt, die Fraktion oppositionsfähig gemacht und den schier endlosen Prozess um ein neues Grundsatzprogramm in den Griff bekommen zu haben. Eher nüchtern schätzt man selbst unter seinen innerparteilichen Kritikern ein, dass er sich als aus seiner Sicht geborener Kanzlerkandidat die Chance nicht nehmen lassen wird.

"So isser halt, der Friedrich"

Zuweilen zu unbeherrscht, zu emotional sei er, bemängeln kritische Stimmen, auch im Kommunikationstil. Eine gewisse Wechselhaftigkeit gilt hier auch für seine politischen Botschaften. Machte er noch vor einiger Zeit die Grünen als Hauptfeind in der Regierung aus, notierte er kürzlich in der Nummer 187 seines selbstverfassten Partei-Newsletters "MerzMail", dass eine Koalition mit Grünen denkbar sein müsse.

Die Junge Union widersprach sofort. Schlechter Zeitpunkt, das hätte man jetzt nicht gebraucht, grummeln sogar seine Fans: "Aber so isser halt, der Friedrich."

Mit Informationen von Vera Wolfskämpf, ARD-Hauptstadtstudio.

Mehr zum Thema am Sonntag, den 18.02.24 um 18 Uhr in der ARD-Sendung Bericht aus Berlin. Dort wird unter anderem auch Friedrich Merz Gesprächsgast sein.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das Erste in der Sendung "Bericht aus Berlin" am 18. Februar 2024 um 18:00 Uhr.