Christian Lindner
analyse

FDP im Umfragetief Zu viel oder zu wenig Blockade?

Stand: 09.03.2024 08:10 Uhr

Umfragewerte zeigen: Die FDP läuft Gefahr, sich zwischen Teilen ihrer Wählerschaft zu zerreiben. Den einen setzt die Partei in der Regierung zu wenig um, den anderen blockiert sie zu viel. Wie will sie da rauskommen?

Eine Analyse von Corinna Emundts, tagesschau.de

Gemessen an den neuesten Umfragewerten der FDP wirkt Parteichef Christian Lindner derzeit einigermaßen gelassen. Als Finanzminister trat er zum neuen Rentenpaket der Ampelkoalition am Dienstag vor die Kameras, am Donnerstag startete er die Haushaltsgespräche für 2025: Die FDP hat als kleinster Koalitionspartner ein Schlüsselministerium inne und großen Einfluss. An ihr kommt kein anderes Ministerium vorbei.

Doch die Partei schwächelt seit Monaten - und fällt auf ihre Kernklientel von fünf Prozent zurück. Umfragen zufolge müsste sie um den neuerlichen Einzug ins Parlament fürchten, wären am kommenden Sonntag Bundestagswahlen.

Liegt es an dem Dreierbündnis? Intern sieht man das durchaus auch selbstkritisch, die FDP habe auch einiges selbst dazu beigetragen.

Rolle des Korrektivs reicht nicht

Sie droht sich in der Ampelkoalition zu zerreiben zwischen Teilen ihrer Wählerschaft. Zum einen gibt es diejenigen, die dem grünen Koalitionspartner mit großer Skepsis begegnen. Sie heißen die Blockade bei der EU-Lieferkettenrichtlinie gut und sähen Schwarz-Gelb lieber. Sie schrieben FDP-Bundestagsabgeordneten massenhaft aufgeregte E-Mails, als Habeck im Energiekrisenherbst 2022 eine Insolvenzwelle kleiner Handwerkerbetriebe verneinte, jedoch mit Produktionsstopps bestimmter Branchen rechnete.

Andererseits verärgert die FDP mit ihren immer wieder auftretenden Blockade-Manövern Wählermilieus - gerade Jüngere, die mit der FDP den Aufbruch ins digitale Zeitalter verbanden, aber auch Anknüpfungspunkte zu den Grünen sahen. Ihnen reicht die FDP-Rolle nicht, nur Korrektiv zu sein. Sie wollen mehr Gestaltungsprojekte statt Beschwerden darüber, wie schwierig es mit den Ampelpartnern sei.

Die FDP tickt finanz- und wirtschaftspolitisch anders als SPD und Grüne. Zwar hatten die drei Parteien das gemeinsame Etikett der "Fortschrittskoalition" gefunden. Doch was bedeutet Fortschritt in konkreten Gesetzesentwürfen und Maßnahmen? Da gehen die Vorstellungen oft weit auseinander.

So ist sich Lindner in der Analyse mit dem grünen Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck einig, dass die Wirtschaft gerade jetzt besonders gefördert werden muss. Aber wie? Bei der Frage liegen Welten zwischen den beiden.

Die Rolle der Union

Die Union wiederum fährt derzeit erkennbar die Strategie, auf der FDP herumzuhacken und sie aufzufordern, die Koalition zu verlassen. CDU-Chef Friedrich Merz sagte kürzlich mit Blick auf deren Blockaden und Debatten innerhalb der Ampelkoalition, man brauche in Deutschland nicht zwei Oppositionsführer - einen in der Regierung und einen im Parlament.

Unionsfraktionsvize Jens Spahn legte im Deutschlandfunk mit Kritik an der Rentenpolitik nach: "Die FDP glaubt immer, Schlimmeres zu verhindern in der Ampel. Mein Eindruck: Sie macht einmal mehr ziemlich Falsches möglich in der Ampel und sollte noch mal fragen, ob sie da richtig ist."

Dahinter steckt natürlich Strategie mit Blick auf kommende Wahlen, auch schon auf die Bundestagswahl 2025: Union und FDP zielen auf ähnliche Wählermilieus.

Das Zweckbündnis platzen lassen?

Man könnte sagen, die Lindner-FDP leistet derzeit einen permanenten Spagat, mit dem sie sich auf vielen Seiten Ärger einhandelt. Zum Beispiel bei der Aktienrente: Dafür müssen Schulden aufgenommen werden, die für die Geldanlage herhalten müssen - anders als von der FDP ursprünglich gedacht. Von der Rendite werden die Schuldzinsen erst einmal abgezogen, übrig bleibt ein Reförmchen in den Augen vieler FDP-Wählender: Die gesamten Ausgaben der Rentenversicherung liegen aktuell bei 360 Milliarden Euro. Zehn Rendite-Milliarden lösen nicht das grundlegende Finanzproblem der Rentenversicherung.

Immer wieder wird im politischen Berlin diskutiert, ob die FDP inzwischen das Kalkül hat, das ungeliebte Zweckbündnis aus SPD, Grünen und FDP vorzeitig platzen zu lassen - die Sorge war etwa rund um den SPD-Parteitag im Dezember da, als klar wurde, dass der Bundeshaushalt 2024 nur zeitverzögert nach Jahresbeginn, wenn überhaupt, unter den Koalitionspartnern und Haushältern im Bundestag geeint werden konnte.

Der gerade in Verhandlungen befindliche Haushalt 2025 könnte tatsächlich zu einer neuen Belastungsprobe für die Ampel werden. Beim Thema Sozialausgaben wirbt Lindner für Zurückhaltung und schlägt ein dreijähriges Moratorium für neue Sozialausgaben vor.

SPD und Grüne lehnten das aber postwendend ab. Auf der anderen Seite könnten sich SPD und Grüne höhere Schulden vorstellen, zum Beispiel durch ein Aussetzen der Schuldenbremse, mindestens aber eine Reform des Instruments. Da wiederum sagen Lindner und seine FDP: Nicht mit uns.

Interesse am Scheitern der Ampelkoalition?

Und doch wirkt die FDP-Spitze seit dem Dreikönigsparteitag im Januar konstruktiver. Man will mit zum FDP-Profil passenden Gesetzen und Wirtschaftswachstum punkten. "Die FDP wird keinen Erfolg ernten, wenn die Ampel ein Misserfolg wird" - diese intern geäußerte Einschätzung aus der Fraktion scheint sich gerade breiter durchzusetzen.

Auch Anti-Grünen-Polterer und FDP-Vize Wolfgang Kubicki ist etwas sachlicher geworden. Dafür sprach sich kürzlich FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai für ein schwarz-gelbes Bündnis aus - offenkundig nicht abgesprochen mit Lindner. Falscher Zeitpunkt, ungeschickt - so sah man es auch innerhalb der Partei.

Die Ampel-Zeiten, in denen Lindner bewusst Grünen-anschlussfähig von "Möglichkeitsräumen" und "Freiheitsenergien" sprach, sind lange vorbei. Jetzt konzentriert er sich auf die "Wirtschaftswende", die kommen muss - und fordert damit Koalitionspartner wie Union gleichermaßen heraus.

Klar ist aber auch: Für all das braucht er zuvorderst auch Habeck. Nicht nur am Haushalt 2025, sondern auch an einer bruchfreien und stabilen Achse Habeck-Lindner wird in der zweiten Hälfte der Legislatur das Schicksal der Ampelkoalition hängen. Und damit womöglich auch das Schicksal der FDP.

Mit Informationen von Hans-Joachim Vieweger, ARD-Hauptstadtstudio

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 20 Februar 2024 um 06:11 Uhr.