Eine Frau schiebt einen Kinderwagen und geht begleitet von mehreren Kindern.
reportage

Zweifel an erhoffter Wirkung Was die Kindergrundsicherung Familien bringt

Stand: 29.08.2023 11:19 Uhr

2,4 Milliarden Euro ab 2025: Die Kindergrundsicherung der Bundesregierung reiche nicht aus, kritisieren Sozialverbände und Vereine. Familien zweifeln trotz Verbesserungen an der erhofften Wirkung.

Von Martin Rottach, SWR

Yasmin Roob hat von der Einigung im Streit um die Kindergrundsicherung mehr erwartet. Die Enttäuschung ist bei der alleinerziehenden Mutter von zwei Kindern groß. Sie sitzt auf dem Fußboden in ihrer Wohnung in einem Plattenbauviertel am Rand von Stuttgart und spielt mit ihrem Sohn. Din ist eineinhalb Jahre alt und klammert sich an ein kleines blaues Auto, das er ab und zu durch die Wohnung sausen lässt. Seine Schwester ist elf Jahre alt und hat sich in ihrem Zimmer verkrochen. Sie möchte nicht über das Thema Armut reden und auch nicht in diesem Beitrag genannt werden.

In der Wohnung der Roobs stapeln sich die Umzugskartons. Erst vor Kurzem sind sie hergezogen. Zum Auspacken kommt sie nur so nach und nach, sagt Roob. Die 36-Jährige studiert Soziale Arbeit in der Nähe von Stuttgart. Mit BAföG, Kindergeld und Wohngeld bekommt sie etwa 2000 Euro im Monat. Das sei eigentlich viel Geld, sagt sie, aber es reicht eben trotzdem nicht.

Gestiegene Preise fressen den letzten Puffer auf

Die hohe Miete in Stuttgart, die gestiegenen Preise und die steigenden Kosten für ihre älter werdenden Kinder, all das frisst das Einkommen der Familie schnell auf. Am Ende des Monats bleibe ihnen wenig bis gar nichts übrig, sagt Roob. Für jeden Besuch eines Freizeitparks oder Freibads muss sie rechnen. Neue Klamotten, ein Haarschnitt oder der Eintritt ins Kino seien für sie und ihre Kinder ein großer Luxus. "Wenn ich immer überlegen muss, wieviel Geld habe ich noch übrig, dann ist das natürlich auch anstrengend."

Die Kindergrundsicherung findet sie prinzipiell ein gutes Instrument. Allerdings müsse am Ende auch mehr bei den Familien ankommen als bisher.

"Nur ein kleiner Beitrag"

Roman Jung ist Vorsitzender und Gründer des Stuttgarter Vereins "children first". Er kümmert sich um Kinder aus sozial schwachen Familien, wie die Roobs. Sein Verein organisiert unter anderem Ausflüge, Veranstaltungen und Vereinsmitgliedschaften zu günstigen Preisen. Es sollen Teilhabemöglichkeiten für Kinder geschaffen werden, die sonst aus finanziellen Gründen wenig am normalen Leben teilnehmen können.

Jung betont, dass er klar für die Kindergrundsicherung ist. Mehr Geld hilft mehr, sagt er. Und auch, dass Betroffene künftig leichter und ohne weitere komplizierte Anträge Zusatzleistungen erhalten sollen, begrüßt der 38-Jährige. Jedoch seien 2,4 Milliarden Euro viel zu wenig, um Armut zu bekämpfen. "Es ist eine große Summe, wenn man das zuerst hört. Aber bei drei Millionen von Armut betroffenen Kindern in Deutschland, ist das nur ein kleiner Beitrag."

"Es muss nachgesteuert werden"

Auch das deutsche Kinderhilfswerk kritisiert die Einigung der Bundesregierung zur Kindergrundsicherung. "Der große Wurf, den wir uns als Kinderrechtsorganisation erhofft hatten, ist die Kindergrundsicherung nicht," sagt ihr Sprecher Uwe Kamp auf Anfrage von tagesschau.de.

Zwar werde es für Familien leichter, Leistungen wie den Kinderzuschlag zu erhalten, indem die Anträge zusammengefasst werden. Jedoch ändere sich nichts an dem Problem der zu geringen Höhe der Sozialleistungen für Kinder. "Hier muss noch nachgesteuert werden", so der Sprecher weiter.

Der Wunsch, mal wieder ins Kino zu gehen

Yasmin Roobs Tochter geht so gut wie nie ins Kino. Kürzlich hat sie ihr ganzes Geld für ein Ticket der Tochter zusammengekratzt. Um selbst mitzukommen, dafür hat das Geld nicht gereicht. Dabei gehe sie eigentlich gern ins Kino. Unbeschwert sein, das Leben genießen, gesund für die Kinder einkaufen. Yasmin Roob hat viele Wünsche für ihr Leben, sagt sie. Bei den Träumen für ihr Leben musste sie allerdings Abstriche machen.

Von der Kindergrundsicherung wird die Stuttgarterin voraussichtlich profitieren. Den Kinderzuschlag bekommt sie künftig automatisch. Auch die neuen Anrechnungsregelungen werden ihr voraussichtlich helfen.

Wie viel sie am Ende mehr bekommt, weiß sie allerdings noch nicht. Für die Alleinerziehende ist klar: Viel wird es sicher nicht sein, bei der geringen Summe, die jetzt von der Bundesregierung veranschlagt wurde. Erst 2025 soll die Kindergrundsicherung in Kraft treten, dann werden Yasmin Roob und ihre Kinder merken, ob sie endlich wieder etwas unbeschwerter leben können.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 28. August 2023 um 18:00 Uhr.