Christian Lindner

Kritik an Lindners Äußerungen "Affront gegen von Armut betroffene Kinder"

Stand: 22.08.2023 08:21 Uhr

Nach Lindners Äußerungen zu einem Zusammenhang zwischen Migration und Kinderarmut wächst die Kritik. Der Finanzminister spiele die Absicherung von Kindern gegen Integrationsmaßnahmen der Eltern aus, erklärte der Verband Bildung und Erziehung.

In der Diskussion um die geplante Kindergrundsicherung gerät Bundesfinanzminister Christian Lindner immer stärker in die Kritik. Seine Äußerung zu einem Zusammenhang zwischen Kinderarmut und Migration sorgt bei Wohlfahrtsverbänden für Empörung. "Ich halte es für unsäglich, wenn der Finanzminister nun anfängt, arme Kinder aus Deutschland auszuspielen gegen die Kinder, die mit ihren Familien aus der Ukraine zu uns flüchten mussten", sagte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, Ulrich Schneider, der "Stuttgarter Zeitung".

Lindner hatte Zweifel am Konzept der Kindergrundsicherung von Familienministerin Lisa Paus angemeldet, mit der die Grünen-Politikerin Leistungen für Familien zusammenfassen und zugleich erhöhen will. "Es gibt einen ganz klaren statistischen Zusammenhang zwischen Zuwanderung und Kinderarmut", hatte Lindner am Wochenende gesagt.

"Hilft man ihnen dadurch, mehr Geld aufs Konto zu überweisen?"

Von Kinderarmut seien vor allem Familien betroffen, die seit 2015 nach Deutschland eingewandert seien, sagte der FDP-Politiker. Die Kinderarmut in Deutschland sei deutlich zurückgegangen "bei den ursprünglich deutschen Familien". Er wolle gerne diskutieren, wie man diesen Kindern und Jugendlichen am besten helfen könne. Man müsse vor allem in die Eltern investieren - mit Sprachförderung, Integration und Weiterbildung.

In der Ampelregierung gibt es seit Wochen Diskussionen über die Finanzierung der Kindergrundsicherung. Als Reaktion darauf hatte Paus ein Veto gegen die Verabschiedung von Lindners "Wachstumschancengesetz" eingelegt, das milliardenschwere Steuererleichterungen für Unternehmen vorsieht.

"Affront gegen von Armut betroffene Kinder"

Natürlich brauche es für zugewanderte Familien besondere Angebote und es sei auch richtig, dass Eltern befähigt werden sollten, in Arbeit zu kommen, sagte der Geschäftsführer des Paritätischen dazu. "Das darf doch aber kein Argument sein, um Kinder in Armut zu belassen." Es entstehe der Eindruck, dass Lindner versuche, die Kindergrundsicherung als wirkungsvolles Instrument gegen Armut zu verhindern, sagte Schneider der Funke Mediengruppe.

Auch der Chef des Verbands Bildung und Erziehung, Gerhard Brand, sagte der "Stuttgarter Zeitung": "Der Vorstoß von Bundesfinanzminister Christian Lindner ist ein Affront gegen von Armut betroffene Kinder." Die finanzielle Absicherung von Kindern gegen Integrationsmaßnahmen für die Eltern auszuspielen, werde den Problemen nicht gerecht. "Kindergrundsicherung versus Sprachkurs: So einfach ist es eben nicht", betonte Brand. Beides sei wichtig. "Armutsbekämpfung braucht eine breite Palette an Angeboten."

"Die Kindergrundsicherung ist ein ganz wichtiges sozialpolitisches Projekt der Bundesregierung. Sie muss - gut ausfinanziert - so schnell wie möglich kommen", sagte Doreen Siebernik, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Lindner entfache lediglich eine "Nebelkerzendiskussion".

Die Folgekosten für ein Scheitern der Kindergrundsicherung seien ein Vielfaches höher, als wenn man jetzt in Familien und Kinder investiere, betonte Siebernik. Das zeigt auch eine Studie des DIW und der Diakonie Deutschland zu den Folgen von Kinderarmut. Armutsbetroffene Kinder haben demnach ein höheres Risiko, gesundheitliche Probleme zu bekommen und arbeitsunfähig zu werden als Kinder aus ökonomisch starken Familien.

Mehr Bürgergeld-Bezieher ohne deutsche Staatsbürgerschaft

Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) zeigen tatsächlich einen Anstieg der Zahl von Kindern ohne deutsche Staatsbürgerschaft, die Hartz IV oder Bürgergeld erhalten. Während ihre Zahl im Dezember 2010 bei rund 305.000 lag, waren es im Dezember 2022 rund 884.000. Nach Angaben der BA erhielten im März 2023 als größte Gruppe rund 275.500 ukrainische Kinder und Jugendliche Bürgergeld. Die mit Abstand zweitgrößte Gruppe waren Kinder und Jugendliche aus Syrien.

Anders als Asylbewerber erhalten ukrainische Kriegsflüchtlinge unmittelbar Zugang zum deutschen Sozialsystem, was den zuletzt sprunghaften Anstieg erklärt. Der Trend zeigte sich aber schon vor dem russischen Angriff auf die Ukraine etwa bei syrischen Flüchtlingen.

Die BA-Zahlen gehen zurück auf eine AfD-Anfrage. Daraus geht auch hervor, dass in der Zeit von 2010 bis 2022 die Zahl von Kindern und Jugendlichem mit deutschem Pass, die die entsprechenden Sozialleistungen erhielten, gesunken ist: und zwar von rund 1,37 Millionen im Dezember 2010 auf rund 895.000 im Dezember 2022. Der Wert für März 2023 liegt nach BA-Angaben bei 1,02 Millionen.

Mittleres Einkommen hat sich nach unten verschoben

Diese Zahlen belegen allerdings nicht, dass es einen Zusammenhang zwischen Migration und Kinderarmut gebe, betonte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, im WDR.

Schließlich sei statistisch gesehen arm, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung hat. "Wenn Sie jetzt ganz viele Menschen haben, die noch ärmer sind, die neu ins Land kommen, dann verschiebt sich das mittlere Einkommen nach unten." Das bedeute, es gebe viele deutsche Familien, die nicht mehr als arm gelten, weil eben sehr viel noch ärmere dazugekommen seien, erklärte der Ökonom Fratzscher.

"Keiner würde bezweifeln, dass eine Integration in den Arbeitsmarkt die beste Methode ist, dass Eltern gut verdienen, dass ihre Kinder nicht in Armut leben." Zugleich machte er deutlich, dass dies ein längerer Prozess sei.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 22. August 2023 um 08:41 Uhr.