
Wahlrechtsreform Zu mehr fehlt der GroKo der Mut
Gemessen an den Erwartungen haben Union und SPD beim Wahlrecht tatsächlich einen Erfolg vorzuweisen. Es gibt einen Minimalstkompromiss. Zu mehr fehlte den Regierungspartnern der Mut. Schließlich geht es um Macht.
Union und SPD haben einen Kompromiss für den Einstieg in eine Wahlrechtsreform gefunden. Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger. Und gemessen an den Erwartungen ist das gar nicht mal so schlecht. Kühn kann man sogar von einer Überraschung sprechen. Schließlich waren die Regierungspartner mit extrem unterschiedlichen Konzepten in die Gespräche gegangen und hatten sich vorher noch gegenseitig machttaktisches Kalkül vorgeworfen. Man verdächtigte einander, mit den jeweiligen Konzepten vor allem den eigenen Vorteil zu suchen.
So war der Ton gesetzt - und die Erwartungen entsprechend niedrig. Und das trotz des hohen Drucks. Denn gut ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl läuft die Zeit für eine Einigung ab, und auch die Oppositionsparteien haben mit einem eigenen Gesetzentwurf längst vorgelegt.
Ein klassischer Minimalstkompromiss
Was die Spitzen von Union und SPD in der Nacht beschlossen haben, ist ein klassischer Minimalstkompromiss. Beide Seiten bewegten sich ein bisschen, damit der Bundestag ein bisschen weniger stark anwächst als befürchtet. So wird an der Zahl der Überhang- und Ausgleichsmandate ein bisschen geschraubt, die Zahl der Wahlkreise bleibt aber erstmal unverändert.
Das ist sicherlich kein großer Wurf, und der Effekt bei der nächsten Bundestagswahl im Herbst 2021 dürfte überschaubar sein - nicht ohne Grund sprechen die Koalitionäre nebulös von "Dämpfungsmaßnahmen" und "Bremsen" - aber es ist zumindest ein Anfang nach sieben Jahren Stillstand. Eine Übergangslösung. Vor der eigentlichen Reform drücken sich Union und SPD, bringen aber wichtige Weichenstellungen für die Wahl 2025 auf den Weg. So soll die Reduzierung der Wahlkreise von 299 auf 280 noch in dieser Legislaturperiode in ein Gesetz gegossen werden. Ausarbeiten soll das Ganze dann bis 2023 eine Kommission, an der auch Vertreter der Opposition beteiligt sind.
Es geht um Macht
Zu mehr fehlte den Spitzen von CDU, CSU und SPD der Mut. Zugegeben, das Thema ist sperrig und hochkompliziert, doch was die Sache wirklich schwierig macht, ist: Es geht um Macht. Weniger Wahlkreise, weniger Überhang- oder weniger Ausgleichsmandate - jede Fraktion verfolgt hier ihre eigenen legitimen Interessen. Wer beschließt schon gerne Maßnahmen, die ihm selbst schaden? Von den 46 Überhangmandaten, die bei der Wahl 2017 entstanden, holte die Union 43. Gäbe es dafür weniger Ausgleichsmandate für die anderen Parteien, wäre die Union im Vorteil.
Und so wundert es kaum, dass sich trotz aller Mahnungen zweier Bundestagspräsidenten seit Jahren nichts ändert - außer die Größe des Bundestags. 614 Abgeordnete 2005, 622 waren es 2009, 631 im Jahr 2013 und 709 nach der Bundestagswahl 2017. Und 2021 könnten es mehr als 800 Parlamentarier sein, die sich in den Bundestag drängeln. Hausherr Wolfgang Schäuble hat schon mal vorsorglich Container bestellt.
Arbeitsparlament kaum noch arbeitsfähig
Das Problem des XXL-Bundestags ist jedoch mehr als nur eine lapidare Platzfrage. Der Bundestag ist ein Arbeitsparlament, doch mit wachsender Größe ist dieses Parlament schlicht immer weniger arbeitsfähig. Und damit erwächst aus dem Platzproblem ein Problem für die parlamentarische Demokratie.
Das sollte für die Fraktionen eigentlich Grund genug sein, mit mehr Mut an die Sache ranzugehen. Radikaler zu denken. FDP, Linkspartei und Grüne plädieren in ihrem gemeinsamen Gesetzentwurf für maximal 630 Bundestagsmitglieder. Dafür soll unter anderem die Zahl der Wahlkreise auf 250 verringert werden - was weniger Überhang- und Ausgleichsmandate zur Folge hätte. Seit Oktober liegt der Vorschlag auf dem Tisch, doch Union und SPD blockieren seit Monaten die Abstimmung im Parlament.
Dass CDU-Chefin Annegret-Kramp-Karrenbauer jetzt die Opposition auffordert, sich "konstruktiv zu beteiligen", dürfte einigen denn auch die Zornesröte ins Gesicht steigen lassen. Es ist auch nicht sonderlich geschickt. Üblicherweise werden Fragen des Wahlrechts mit breiter Mehrheit im Bundestag beschlossen. Einbinden statt vergrätzen wäre daher die klügere Strategie. Großspurig sollte die GroKo angesichts des Minimalstkompromisses auch nicht auftreten.