Ein Long-Covid Patient bei einem Lungenfunktionstest.

Spitzentreffen mit Lauterbach Wo es bei der Versorgung von Long-Covid-Patienten hakt

Stand: 12.09.2023 05:02 Uhr

Tausende Long-Covid-Patienten warten auf Behandlung, auch Medikamente gibt es noch nicht. Die Ampelkoalition hat umfassende Hilfe zugesagt. Wie läuft die Versorgung? Ein Runder Tisch zieht nun eine erste Bilanz.

Long-Covid-Patienten, die bei Bernhard Schieffer auf einen Termin warten, brauchen viel Geduld. Doch die haben Betroffene in der Regel nicht. Tausende stehen auf der Warteliste und bräuchten schnell Hilfe, sagt Kardiologe Schieffer.

Je länger die Patientinnen und Patienten warten, desto unwahrscheinlicher wird es, dass ihnen umfassend geholfen werden kann. Zum Teil bekommen sie auch eine falsche Therapie, die alles noch schlimmer macht, bevor sie in Schieffers Spezialambulanz kommen. Der Mediziner leitet eine der drei großen Spezialambulanzen in Deutschland: eine gibt es in Marburg, eine in Berlin und eine in München. Den Andrang können die Ambulanzen kaum bewältigen. Bei Schieffer beträgt die Wartezeit ungefähr ein Jahr.

"Er kommt eindeutig viel zu spät", Christoph Mestmacher, ARD Berlin, über Runden Tisch zu Long Covid

tagesschau24, 12.09.2023 11:00 Uhr

Wie viele Long-Covid-Patienten gibt es?

Was er erlebt, kann der Arzt heute beim Runden Tisch zu Long Covid im Bundesgesundheitsministerium berichten. Karl Lauterbach will, dass sich Betroffene, Forschende, die Ärzteschaft, Krankenkassen und andere dort austauschen.

Menschen, die an Long Covid erkrankt sind, sollen schildern, welche Erfahrungen sie machen und wie sich ihre Situation verbessern könnte. Vieles rund um die Krankheit ist noch ungewiss. Es gibt unterschiedliche Schätzungen, wie viele Menschen überhaupt an Long Covid erkrankt sind.

Noch keine zugelassenen Medikamente

Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass direkt nach einer Infektion etwa zehn Prozent für einen längeren Zeitraum mit den Symptomen zu kämpfen haben. Die Beschwerden können dabei vielfältig sein. Dazu gehören Erschöpfung, Gedächtnisprobleme, Kurzatmigkeit und Muskelschmerzen.

Anhaltend schwer krank bleiben etwa drei Prozent, sagt die Professorin Carmen Scheibenbogen. Medizinerinnen und Mediziner können bisher nur die Symptome wie Schmerzen oder Schlafstörungen behandeln. Eine Heilung oder zugelassene Medikamente sind bisher nicht in Sicht.

Es ist keine psychische Erkrankung

Oftmals fällt schon eine eindeutige Diagnose schwer. Denn auch viele Ärztinnen und Ärzte wissen noch viel zu wenig über die Erkrankung. "Das haben wir ja nicht genauso im Studium gelernt, das ist was Neues", sagt die stellvertretende Vorsitzende des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, Nicola Buhlinger-Göpfarth.

Sie sieht die Hausarztpraxen inzwischen gut aufgestellt, um den meisten Betroffenen zu helfen. Zumal Hausärzte ihre Patienten häufig gut kennen würden und Erfahrungen mit chronischen Erkrankungen haben. Aus ihrer Sicht ist es besonders wichtig, den Long-Covid-Patienten zu signalisieren, dass es sich um keine psychische Erkrankung handelt. Nach Wochen oder Monaten mit regelmäßiger Behandlung ginge es den allermeisten deutlich besser, beschreibt Buhlinger-Göpfarth die Erfahrung aus den Praxen. "Übrig bleiben einige, wenige mit schwerer Symptomatik."

Netzwerk niedergelassener Ärzte

Diese Menschen haben häufig eine Odyssee hinter sich, bis sie einen Termin in einer Spezialambulanz bekommen. Manchmal werden die Leiden der Patientinnen und Patienten auch noch als psychische Probleme abgetan.

Scheibenbogen leitet die Spezialambulanz an der Charité in Berlin. Sie fordert klare Vorgaben, wer in einem speziellen Zentrum behandelt werden muss und wer auch beim Hausarzt gut versorgt ist. In Berlin habe man zum Beispiel ein Netzwerk mit niedergelassenen Ärzten gegründet und biete Fortbildungen an. Der Austausch und klare Strukturen seien essenziell, sagt Scheibenbogen, um mit den wenigen Ressourcen die Patienten bestmöglich zu behandeln.

Off-Label-Therapie gefordert

Die Ärztin erhofft sich zudem Fortschritte beim Thema Off-Label-Therapie. Darunter versteht man die Behandlung eines Patienten mit einem Medikament, das zwar für eine andere Erkrankung zugelassen ist, aber in dem Fall noch nicht für Long Covid. Das betrifft zum Beispiel Patientinnen und Patienten, die nach einer Coronainfektion Kreislaufprobleme haben, sagt Scheibenbogen. Da gebe es eine Reihe von Medikamenten, die helfen könnten.

Genauso sei es beim chronischen Fatigue Syndrom ME/CFS, an dem ein Teil der Patienten im weiteren Verlauf erkrankt. Doch diese Medikamente werden nicht von den Krankenkassen erstattet. Das heißt, die Patienten müssen sie selbst bezahlen. Nicht alle können das. Die Professorin fordert deshalb Sonderregelungen. Außerdem schlägt sie eine Liste mit Empfehlungen vor, damit mehr Ärztinnen und Ärzte diese Arzneimittel kennen und verschreiben.

Ampel hatte sich viel vorgenommen

Eigentlich hatte sich die Ampelregierung vorgenommen, die Versorgung von Long-Covid-Betroffenen zu verbessern. Im Koalitionsvertrag hatten SPD, Grüne und FDP sich darauf geeinigt, "ein deutschlandweites Netzwerk von Kompetenzzentren und interdisziplinären Ambulanzen" zu schaffen. Mit dem Ziel, Patienten mit Langzeitfolgen von Covid 19 und ME/CFS zu helfen - und bei der Erforschung der Erkrankung voranzukommen. 

Lauterbach hat früh auf die möglichen Langzeitfolgen von Corona hingewiesen und immer noch lautstark gewarnt, als die meisten das schon längst nicht mehr hören wollten. Passiert ist seitdem aber wenig.

Union kritisiert den "Ankündigungsminister"

Anfang des Jahres kündigte der Bundesgesundheitsminister lautstark ein Programm an: 100 Millionen Euro sollte es für die Versorgungsforschung geben. Durchsetzen konnte Lauterbach sich damit aber nicht. Nach zähen Haushaltsverhandlungen sind zunächst rund 20 Millionen Euro vorgesehen, die das Gesundheitsministerium beisteuert und rund 20 Millionen Euro aus einem Spezialtopf, der auch von gesetzlichen Krankenkassen finanziert wird.

Für Betroffene, die auf Hilfe warten, ist das eine herbe Enttäuschung. Für die Opposition ist es eine offene Flanke. Der CDU-Gesundheitspolitiker Sepp Müller etwa kritisiert Lauterbach als einen "Ankündigungsminister". Selbst von Gesundheitspolitikern der Ampel ist zu hören, man wolle nach Wegen suchen, um die Gelder noch aufzustocken.

Pharmafirmen winken ab

Aus Sicht des Kardiologen Schieffer reicht das nicht aus. Er fordert von der Politik langfristige finanzielle Zusagen, um ein Netzwerk an Spezialambulanzen aufzubauen und in der Versorgungsforschung voranzukommen. Nötig seien zehn Zentren, ausgestattet mit jeweils zehn Millionen Euro pro Jahr. Insgesamt wären das also Gelder in Höhe von einer Milliarde Euro für zehn Jahre. Es gehe auch darum, mögliche Medikamente in Studien zu testen. Er hofft auf einen Schulterschluss mit der Pharmaindustrie. 

Doch Pharmaunternehmen zeigen bisher wenig Interesse, auf dem Gebiet zu forschen. Aus Sicht des Gesundheitsministers ist das "enttäuschend". Long Covid sei "kein Nischenproblem". Er will die Pharmaindustrie stärker in die Pflicht nehmen, damit wirksame Medikamente entwickelt werden. Auch weil er davon ausgeht, dass sich die Menschen auch in Zukunft nicht nur mit Corona infizieren werden, sondern auch mit den Spätfolgen zu kämpfen haben.

 

Birthe Sönnichsen, ARD Berlin, tagesschau, 12.09.2023 05:14 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 12. September 2023 um 06:00 Uhr.