Ein 15-jähriges Mädchen wird im Impfzentrum in Bremen geimpft.
FAQ

Schutz vor Corona Wer soll boostern - und warum?

Stand: 18.11.2021 11:52 Uhr

Die Corona-Impfung verliert im Laufe der Zeit an Wirksamkeit. Die Ständige Impfkommission spricht sich für Auffrischimpfungen für alle Menschen ab 18 Jahren aus. Was aber heißt das konkret? Wo und wann soll geboostert werden?

Von Mit Informationen von Sylvaine von Liebe, BR

Wie ist die Corona-Lage?

Deutschland steckt mitten in der vierten Corona-Welle. Die Zahl der Neuinfektionen steigt rapide, immer mehr Kliniken warnen vor einer Überlastung. Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt seit Tagen bei mehr als 300. Die Zahl der Corona-Intensivpatienten - laut der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) - bei mehr als 3300. Der Bundestag und ein Bund-Länder-Treffen beschäftigen sich morgen mit Maßnahmen, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen.

Anja Martini, ARD-aktuell, mit Informationen über die Empfehlung einer Booster-Impfung

tagesschau24 19:00 Uhr

Das Problem: Derzeit sind laut Robert Koch-Institut (RKI) erst 67,8 Prozent der Bevölkerung in Deutschland vollständig geimpft. Lange Zeit rechneten Experten mit einer Herdenimmunität ab einer Impfung von etwa zwei Drittel der Bevölkerung. Mit der ansteckenderen Delta-Variante dürfte selbst das nicht reichen. Dazu kommt, dass der Schutz der Geimpften an Wirkung verliert.

Wie viele Impfungen gibt es derzeit?

Am Mittwoch wurden 504.000 Impfdosen verabreicht, der Großteil davon waren Auffrischungsimpfungen, wie aus RKI-Zahlen hervorgeht. 382.000 Dosen wurden am Mittwoch für sogenannte Booster-Impfungen verwendet. Rund 4,8 Millionen Menschen insgesamt haben somit Auffrischungsimpfungen erhalten. 56,4 Millionen Menschen sind mittlerweile vollständig gegen das Coronavirus geimpft. 58,4 Millionen Menschen wurden mindestens einmal gegen das Virus geimpft.

Warum ist eine Auffrischungsimpfung nötig?

Studien zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit zu erkranken, größer wird, je länger die Immunisierung zurückliegt. Ein Team um Peter Nordström von der Universität Umea hat schwedische Daten von mehr als 800.000 Geimpften und genauso vielen Ungeimpften ausgewertet. Die Forscher kommen zu dem Schluss, dass der anfangs sehr gute Schutz vor symptomatischen Infektionen nach mehreren Monaten deutlich nachlässt. Beim BioNTech/Pfizer-Impfstoff ist er nach rund sieben Monaten demnach kaum noch gegeben. Bei der Studie handelt es sich um ein sogenanntes Preprint, das noch nicht von Fachleuten begutachtet und in einem Fachjournal erschienen ist.

Mit Blick auf schwere Verläufe - also Klinikeinweisungen und Todesfälle - sinke die Effektivität über alle Impfstoffe hinweg von anfangs 89 Prozent auf 42 Prozent nach sechs Monaten. Der Effekt sei besonders bei gebrechlichen älteren Menschen und Patienten mit Vorerkrankungen zu beobachten, heißt es.

Sebastian Ulbert, Impfstoffexperte vom Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie, warnt allerdings davor, sich auf solche Prozentzahlen festzunageln. "Zu viele Parameter spielten bei der Durchführung einer solchen Datenbank-basierten Untersuchung eine Rolle." Dennoch sei mittlerweile klar, dass der Impfschutz mit der Zeit nachlasse - insbesondere bei älteren Menschen und Vorerkrankten. Diese müssten schnell eine Auffrischungsimpfung bekommen. "Das hat jetzt Priorität."

Booster-Impfung ab 18 Jahre - droht ohne Impfzentrum das große Chaos?

Ingrid Bertram, WDR, tagesthemen, tagesthemen, 17.11.2021 22:15 Uhr

Auch einer Studie aus Israel zufolge bietet eine Auffrischungsimpfung gegen Covid-19 älteren Menschen einen deutlich höheren Schutz vor einer Ansteckung und schweren Erkrankung. Von mehr als 700.000 doppelt Geimpften, die an der Untersuchung teilnahmen, kamen 231 Menschen trotz Impfung mit einer SARS-CoV-2 Infektion ins Krankenhaus. Von der gleichen Anzahl an Studienteilnehmern, die eine Auffrischungsimpfung erhalten hatten, kamen hingegen nur 29 Menschen ins Krankenhaus.

Corona-Modellierer Kai Nagel von der TU Berlin geht davon aus, dass mit Auffrischungen eine Wende möglich ist. "Wir sehen in den Simulationen deutlich infektionsreduzierende Effekte, sobald circa 30 Prozent der Bevölkerung den Booster erhalten haben", sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Voraussetzung dafür sei, entsprechende Impfkapazitäten zu schaffen. "Optimalerweise würden wir wieder, wie im Sommer, mindestens ein Prozent der Bevölkerung pro Tag mit dem Booster impfen. Wenn wir diese 30 Prozent deutlich vor Weihnachten schaffen, dann bestehen Aussichten auf sinkende Inzidenzen zu Weihnachten."

Intensivmediziner Christian Karagiannidis sagte dem NDR, dass eine Million Auffrischimpfungen pro Tag nötig wären, um die Ausbreitung des Virus deutlich zu reduzieren.

Impfzentren oder Arztpraxen - wo soll geimpft werden?

Laut SPD-Gesundheitsexpertin Sabine Dittmar sollen Ärzte in Praxen, Betriebsärzte, Impfzentren, aber auch mobile Impfteams die Auffrischungsimpfungen durchführen.

Viele Bundesländer wollen nach einem Bericht der "Welt" weitgehend ohne Impfzentren auskommen. Lediglich Bayern, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und das Saarland hätten vor, Impfzentren weiter zu betreiben oder wieder zu öffnen.

In Bayern sollen 81 Impfzentren als Basis für 230 mobile Teams wieder aus dem "Stand-by-Betrieb" geholt werden. In Berlin sind zwei große Impfzentren noch offen. Geplant ist laut dem Bericht nun die Eröffnung eines weiteren Zentrums im Ostteil der Stadt. Mecklenburg-Vorpommern und das Saarland reaktivierten ihre Impfzentren und setzten zusätzlich auf Impfstellen. In Rheinland-Pfalz sollen acht der ursprünglich 31 Impfzentren wieder öffnen.

Skeptisch ist man in Niedersachsen: "Anstelle großer Impfzentren in riesigen Hallen brauchen wir jetzt viele kleine Impfstellen in den Kommunen, die näher bei den Leuten sind", sagte ein Sprecher des niedersächsischen Gesundheitsministeriums der Zeitung. Ein Sprecher der Sozialbehörde Hamburg sagte der "Welt", die Einrichtung eines Impfzentrums erscheine "nicht zweckdienlich". Es entstünden hohe Kosten und es bestehe kein Bedarf oder Zusatznutzen gegenüber dezentralen Angeboten. Aus Brandenburg heißt es dem Bericht zufolge, es gebe schlicht nicht das Personal, um erneut Impfzentren mit zehn oder zwölf Impfstraßen zu betreiben.

"Wir sind nicht sicher, ob die niedergelassenen Ärzte das alleine schaffen", sagt der Vize-Präsident des Deutschen Städtetags, Markus Lewe, im ZDF. Er fordert den Bund auf Impfkapazitäten - sprich Impfzentren - zur Verfügung zu stellen. "Es ist keine Zeit mehr, um darüber zu diskutieren."

Wer ist wann dran?

Laut Stiko-Chef Thomas Mertens haben derzeit nur etwa elf Prozent der über 60-Jährigen eine Booster-Impfung bekommen. Das Problem seien im Augenblick die Kapazitäten - "die Hausärzte sind stark gefordert im Augenblick", so Mertens im ZDF.

Die Deutschen Hausärzte befürchten einen Ansturm auf die Praxen und warnen vor einem Verteilungskampf. "Vor allem bei weniger gefährdeten jüngeren gesunden Menschen ist es nach den bisherigen medizinischen Erkenntnissen nicht erforderlich, auf den Tag genau nach sechs Monaten eine Booster-Impfung durchzuführen", sagt der Vorsitzende des Hausärzteverbands, Ulrich Weigeldt den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Er warnte davor, dass die Impfungen "zu Lasten von vulnerablen Patienten erfolgen würde".

Deshalb werden auch Forderungen nach einer Priorisierung laut. Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, schlägt eine Vorrangprüfung für bestimmte Bevölkerungsgruppen ähnlich wie zu Beginn der Impfkampagne vor. "Eine Priorisierung nach Alter, Krankheit sowie Berufsgruppe muss erneut in Betracht gezogen werden", sagt Brysch.

Dem schließt sich auch SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach an. Er forderte die Stiko auf, ihre Empfehlung für Booster-Impfungen mit einer Priorisierung zu koppeln. "Wenn wir ohne Einschränkungen den Booster für alle öffnen, legen wir die Priorisierung in die Hände der Praxen. Bei 30.000 Arztpraxen bedeutet das 30.000 unterschiedliche Priorisierungen", sagte Lauterbach dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Mit welchem Impfstoff sollte man sich boostern lassen?

Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt ein mRNA-Vakzin unabhängig davon, welcher Impfstoff zuvor gespritzt wurde. Im besten Fall ist es der Impfstoff, der auch zur Grundimmunisierung verwendet wurde. Die Auffrischungsimpfung entfaltet laut Paul-Ehrlich-Institut (PEI) den vollen Schutz fünf bis sieben Tage nach der Impfung.

Wer kann sich boostern lassen?

Die Impfverordnung des Bundesgesundheitsministeriums sieht vor, dass jeder ab dem Alter von zwölf Jahren Anspruch auf eine Auffrischungsimpfung hat. Damit hat auch jeder einen Anspruch auf eine Übernahme der anfallenden Kosten, schreibt das Gesundheitsministerium. In der Regel verwiesen Ärzte aber bisher auf die Stiko-Empfehlung, die derzeit eine dritte Impfung für ältere Personen und besondere Personengruppen vorsieht.

Inzwischen spricht sich die Stiko aber für Corona-Auffrischimpfungen für alle Menschen ab 18 Jahren aus. Ein Beschlussentwurf sei zur Abstimmung an Fachkreise und Bundesländer gegangen, daher seien Änderungen noch möglich. Es handelt sich noch nicht um eine finale Stiko-Empfehlung, die dürfte aber kurz bevorstehen.

Ab wann kann man sich boostern lassen?

Die Empfehlung der Stiko lautet: Nach sechs Monaten. Der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat aber in einem Schreiben an die Ärzteschaft deutlich gemacht, dass die Auffrischungsimpfungen auch schon etwas früher als sechs Monate nach dem vollständigen Impfschutz verabreicht werden können. Der Abstand von sechs Monaten sei "als zeitliche Richtschnur zu verstehen, der natürlich nicht tagesgenau einzuhalten ist." Die Entscheidung darüber liege "im eigenen Ermessen" der Ärztinnen und Ärzte.

In Bayern empfahl Ministerpräsident Markus Söder eine Booster-Impfung schon nach fünf Monaten. Nach Angaben des bayerischen Gesundheitsministeriums wurden die Impfzentren angewiesen, dies nun zu ermöglichen.

Ausnahmen gibt es: Die Stiko empfiehlt allen Menschen, die den Impfstoff von Johnson & Johnson bekommen haben, eine Auffrischung mit einem mRNA-Impfstoff ab vier Wochen nach der Einmalimpfung. Als Grund nennt die Stiko die "vergleichsweise geringe Impfstoffwirksamkeit" des Präparats gegenüber der Delta-Variante. Personen, die ihre erste Impfserie mit dem Vektorimpfstoff von AstraZeneca erhalten haben, wird sechs Monate nach der Grundimmunisierung eine Auffrischungsimpfung mit einem mRNA-Impfstoff angeboten. 

Marcel Heberlein, Marcel Heberlein, ARD Berlin, 17.11.2021 15:38 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk Nova am 17. November 2021 um 14:10 Uhr.