Ein Arzt impft in einer Hausarztpraxis mit dem Impfstoff von Pfizer/Biontech
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Corona-Pandemie Zu langsam bei den Booster-Impfungen?

Stand: 21.10.2021 04:53 Uhr

Studien zeigen, dass der Impfschutz vor allem bei den Ältesten abnimmt. Bisher haben etwa 1,35 Millionen Menschen eine Auffrischungsimpfung bekommen. Ist Deutschland bei den Booster-Impfungen zu langsam?

Die ältesten Menschen sind Anfang des Jahres und im Frühjahr zuerst geimpft worden, weil sie besonders hart von Covid-19-Erkrankungen getroffen werden können. Mittlerweile ist rund ein halbes Jahr vergangen - und Studien haben dokumentiert, dass der Impfschutz bei den Älteren nachlässt.

Reinhold Förster vom Institut für Immunologie der Medizinischen Hochschule Hannover bestätigt im Gespräch mit tagesschau.de, dass der Schutz abnehme. "Die Halbwertzeit ist relativ gering", sagt Förster. "Je älter die Menschen sind, umso schneller geht der Immunschutz zurück".

Sinkende Effektivität

Auch das Robert Koch-Institut (RKI) schätzt in seinem Wochenbericht, die Impfeffektivität habe zuletzt abgenommen. So lag sie dem RKI zufolge für den Zeitraum 5. bis 40. Kalenderwoche für die Altersgruppe 18 bis 59 Jahre bei 83 Prozent und für die Altersgruppe über 60 Jahre bei etwa 82 Prozent.

Für den Zeitraum der vergangenen vier Wochen (37. bis 40. Kalenderwoche) sank die geschätzte Impfeffektivität allerdings: für die Altersgruppe 18 bis 59 Jahre auf etwa 78 Prozent und für die Altersgruppe über 60 Jahre auf 76 Prozent. Der Schutz vor Hospitalisierung und Tod liegt jedoch weiterhin deutlich höher - bei 90 bis 96 Prozent.

Wann nimmt der Impfschutz ab?

Die Zahlen aus den Krankenhäusern zeigen eindeutig: Geimpfte haben im Vergleich zu Ungeimpften weiterhin ein vielfach geringeres Risiko, schwer an Covid-19 zu erkranken - auch wenn "Querdenker" dies immer wieder abstreiten. Doch die entscheidende Frage ist: Wann nimmt der Impfschutz so stark ab, dass eine Booster-Impfung wichtig wird, um sich weiterhin gegen Covid-19 schützen zu können?

In Israel, wo die Impfkampagne sehr schnell vorangetrieben wurde, legten Forschende eine Studie vor, der zufolge eine Auffrischungsimpfung gegen Covid-19 älteren Menschen einen deutlich höheren Schutz vor einer Ansteckung und schweren Erkrankung bietet.

Die Gedächtniszellen und das Corona-Problem

Die meisten Studien beziehen sich bislang auf ältere Menschen. Fachleute gehen davon aus, dass der Impfschutz bei jüngeren langsamer abnimmt. Zudem bleibt eine Grundabwehr bestehen. Christine Dahlke vom Institut für Infektiologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf betont, der langfristige Immunschutz basiere nicht nur auf den Antikörpern: "Wenn man Antikörper-Level hat, die nicht messbar sind, kann es zwar zu Durchbruchsinfektionen kommen. Aber es gibt ja immer noch die T-Zellen und die Gedächtniszellen: Die können in kürzester Zeit die Antikörper wieder auf ein Niveau hochheben, sodass das Virus wieder bekämpft wird und der Körper geschützt ist."

Das bestätigt auch der der Forscher Reinhold Förster. Doch er sagt auch, das Problem bei Corona sei, dass man einer großen Menge von Erregern ausgesetzt sei, die sich im oberen Bereich des Rachens festsetzten, wo es nicht so viele schützende Antikörper gebe. Zudem könnten insbesondere sehr alte Menschen nur eine geringe oder gar keine Immunantwort auf die Impfung entwickelt haben und seien entweder gar nicht oder nicht mehr geschützt.

Empfehlung in Deutschland ab 70 Jahre

Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt seit Anfang Oktober, Menschen über 70 Jahren erneut zu impfen. Bislang haben laut RKI-Zahlen (Stand 20. Oktober 2021) etwa 1,35 Millionen Menschen in Deutschland eine Auffrischungsimpfung bekommen. Die Zahl steigt nur langsam - am 6. Oktober lag die Zahl bei 925.000, am 13. Oktober bei 1,16 Millionen. Angesichts von weit mehr als zehn Millionen Menschen, die älter als 70 sind, könnte deren Drittimpfung also noch lange dauern.

Andere Staaten setzen bei den "Booster Shots" bereits früher an: Israel bietet allen Bürgerinnen und Bürger eine dritte Impfung an. Die US-Arzneimittelbehörde FDA steht einem Medienbericht zufolge kurz vor der Bekanntgabe von Empfehlungen zu Covid-19-Auffrischungsimpfungen für Personen ab 40 Jahren.

Litauen bietet Booster für alle

In Litauen können sich alle Erwachsene mit einem "Booster Shot" gegen das Virus schützen lassen. Voraussetzung ist lediglich, dass die letzte Impfung mehr ein halbes Jahr zurückliegt. Dänemark hat jüngst ein Programm zur "Revaccination" vorgestellt und verkündet, dass es eine Auffrischungsimpfung für alle geben solle; zunächst würden die Behörden alle über 65 Jahre sowie Menschen aus Risikogruppen anschreiben und zur dritten Impfung einladen. Zudem sind in dem skandinavischen Land bereits mehr als 85 Prozent aller Menschen über zwölf Jahren zweifach geimpft.

In Großbritannien fordern Fachleute angesichts der hohen Infektions- und Patientenzahlen, das Tempo bei der Impfkampagne zu erhöhen. Sie verweisen darauf, dass viele ältere Menschen bereits ab Dezember 2020 geimpft worden seien - und der Schutz wohl nun nachlasse oder nicht mehr gegeben sei.

Auch die Europäische Arzneimittelbehörde EMA sprach sich bereits für Auffrischungsimpfungen für volljährige Menschen aus. In Frage kommen die Booster-Shots für Menschen ab 18 Jahren mit einem Abstand von mindestens sechs Monaten zur zweiten Dosis.

Ganz andere Sorgen haben viele Staaten in Afrika, die fast noch gar keinen Impfstoff bekommen haben, während sich in Russland, den USA und einigen europäischen Ländern Teile der Bevölkerung gegen eine Schutzimpfung wehren oder diese für unnötig halten.

"Neue Empfehlung unumgänglich"

Auf Deutschland bezogen, sagt Reinhold Förster von der Medizinischen Hochschule Hannover, nach seinem Dafürhalten werde es "unumgänglich sein, jüngere Menschen mit in die Impfempfehlung einzubeziehen". Noch in diesem Jahr sollten Menschen ab 60 Jahren, vielleicht sogar ab 50, eine Auffrischungsimpfung bekommen.

Zudem sollte die Notwendigkeit einer dritten Impfung stärker kommuniziert werden, da viele ältere Menschen schon keine Notwendigkeit für die ersten Impfungen gesehen hätten. Förster befürchtet, dass es nach einem relativ milden Herbstanfang in den kommenden Wochen steigende Fallzahlen und auch mehr Impfdurchbrüche geben werde - und erst dann werde das Thema wieder in den Fokus rücken.

Birthe Sönnichsen, Birthe Sönnichsen, ARD Berlin, 07.10.2021 06:09 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten am 21. Oktober 2021 MDR aktuell um 06:21 Uhr und WDR 5 um 06:36 Uhr im "Morgenecho".