Zahlreiche Menschen nehmen an einer Demonstration in Köln teil.
interview

Massenproteste gegen Rechtsextremismus "Die AfD zeigt sich hoch verunsichert"

Stand: 28.01.2024 08:37 Uhr

Auf die Massendemonstrationen gegen Rechtsextremismus reagiert die AfD mit Panik, sagt Soziologe Matthias Quent. Einen Teil der AfD-Anhängerschaft könnte die Zivilgesellschaft mit ihrem Protest noch erreichen.

tagesschau.de: Hunderttausende demonstrieren in diesen Tagen gegen die AfD und gegen Rechtsextremismus. Wie geht die AfD damit um? 

Matthias Quent: Die AfD zeigt sich hoch verunsichert durch diese Demonstrationen. Die extreme Rechte ist regelrecht in Panik. Es wird versucht, diese Demonstrationen als Fälschungen und als Inszenierungen in Frage zu stellen.

Aber so richtig dringen diese Narrative nicht durch. Es wird behauptet, es würde sich um eine inszenierte Kampagne handeln; weil diese Bilder, die wir jetzt sehen, natürlich den Nimbus infrage stellen, dass die AfD die Partei des Volkes sei. Und darum reagiert die AfD tatsächlich in Panik.

Matthias Quent
Zur Person

Matthias Quent ist Professor am Institut für demokratische Kultur an der Hochschule Magdeburg Stendal.

Die Wählerschaft bei Stange halten

tagesschau.de: Wir haben uns viele aktuelle Zitate von AfD-Politikern in deren Kanälen und auf neurechten Plattformen angeschaut. Dort hört man, die Proteste seien von der Regierung organisiert. Die Kritiker der AfD hätten nicht Angst um die Demokratie, sondern vor der Demokratie. Deutschland sei nämlich keine funktionierende Demokratie mehr, die AfD sei die einzige echte Opposition. Gegen die werde jetzt mobilisiert wegen der hohen Umfragewerte. Was bezweckt die AfD mit solchen Erzählungen?

Quent: Die AfD will einerseits diese Demonstrationen delegitimieren für die allgemeine Öffentlichkeit, indem man suggeriert, die seien nicht legitim, sie seien im Auftrag der Regierung. Oder sie sogar gleichzusetzen mit den Aufmärschen von den Nationalsozialisten oder auch aus der DDR, sozusagen als Paraden von verpflichteten Staatsbürgern, die hier gegen die Opposition demonstrieren.

Die AfD muss aber vor allem auch ihre Wählerschaft bei Stange halten, die tief verunsichert ist durch den Gegenwind, den man öffentlich gar nicht mehr so gewohnt war nach den Umfragehochs der vergangenen Monate. Und um dem etwas entgegenzusetzen, muss die AfD diese Proteste ja delegitimieren und in Abrede stellen, um damit auch weiter behaupten zu können, dass sie doch die wahre Stimme des Volkes seien.

"Erreichbarer Teil der AfD-Wählerschaft"

tagesschau.de: Verfängt diese Erzählung der AfD einer Parallel-Wirklichkeit bei den Anhängern der Partei?

Quent: Es gibt einen ideologisch verhärteten Teil der AfD-Wählerschaft. Die glauben alles, was ihnen von der AfD gesagt wird. Die polarisieren sich an diesen Demonstrationen im Zweifelsfall auch weiter in die Irrationalität hinein.

Aber es gibt durchaus auch noch einen erreichbaren Teil der AfD-Wählerschaft, der irritiert werden kann durch die Proteste und der diese Schutzbehauptung, die jetzt von den Parteioberen aufgestellt werden, nicht für bare Münze nimmt. Sie stellen ja auch im eigenen Umfeld fest, dass es den Widerspruch gibt, dass es eine große Empörung über die "Remigrations"-Pläne und über den erstarkenden Rechtsextremismus gibt. Die Sympathisanten der AfD, die reagieren darauf gespalten.

"Abschotten gegenüber anderen Argumenten"

tagesschau.de: Wenn wir uns erst einmal auf diejenigen konzentrieren, die da schon ein Stück weit verhärtet sind: Macht die AfD sich und ihre Anhänger damit auch ein Stück weit immun gegen Fakten und gegen den Protest?

Quent: Es geht darum, sich abzuschotten gegenüber anderen Argumenten und anderen Meinungen. In der Vorstellung, dass man in der Gruppe der Sympathisanten, der Unterstützer oder auch der Mitglieder der AfD, auf der richtigen Seite ist. Sich gegenseitig zu bestärken. Jede Irritation von außen abzuwehren.

Das kennen wir bereits aus dem politischen Geschäft, oft aus dem Umgang mit den Medien. Wenn gesagt wird: Das ist alles "Lügenpresse", das stimmt alles nicht. Jede Irritation wird zurückgewiesen, um das eigene Weltbild nicht zu gefährden und damit auch die eigene soziale Gruppe nicht zu gefährden. Das ist auch ein sozialpsychologischer Abwehrmechanismus.

Radikalisierungseffekte nicht einheitlich

tagesschau.de: Ein Aussteiger aus der AfD hat in einer ARD-Doku gesagt, dass diese Proteste gegen die AfD die Menschen innen weiter zusammenrücken lassen. Gibt es ein Innen und ein Außen? Warum ist das so?

Quent: Ja, diese Effekte affektiver Polarisierung, dass man sich insbesondere gegen die politischen Gegner abgrenzt und damit die eigene Identität stärkt, gibt es durchaus für einen Teil der Wählerschaft. Die sagen also: Jetzt erst recht. Daran sehe man doch erst, wie verkommen, wie korrumpiert, wie falsch der politische Gegner sei. Und darum müsse man umso erbarmungsloser damit umgehen.

Das heißt, diese Radikalisierungsseffekte gibt es, aber es gibt sie nicht einheitlich für alle AfD-Wählende. Andere Teile der Sympathisanten reagieren durchaus unterschiedlich.

"Gut, wenn Proteste zivilgesellschaftlich getragen sind"

tagesschau.de: Wenn wir weggehen von den ohnehin Unerreichbaren und auf diese andere Hälfte schauen. Gibt es eine Möglichkeit, gegen diese alternative Wirklichkeit anzukommen?

Quent: Was diesen verschwörungsideologischen Erzählungen, nach denen es sich bei den Demos um Inszenierungen des Staates handeln würde, den Wind aus den Segeln nehmen kann, sind natürlich vor allem Alltagserfahrungen. Die Wahrnehmung, dass solche Demonstrationen auch in kleinen Orten, im kleinen Maßstab, im eigenen Umfeld stattfinden. Dass man vielleicht Menschen auf der Arbeit oder im privaten Umfeld kennt, die zu solchen Demonstrationen gehen. Das kann auch die Polarisierung in den sozialen Medien zumindest durchbrechen und irritieren.

Und natürlich ist es gut, wenn diese Proteste vor allem zivilgesellschaftlich getragen werden, wenn andere politische Parteien dort nicht allzu präsent sind. Das unterstreicht, dass die Demos von einer großen Breite der Zivilgesellschaft getragen werden, die im großen Maßstab eben nicht parteipolitisch motiviert oder auch engagiert ist.

"Rechtspopulismus lebt von Untergangsängsten"

tagesschau.de: Ein anderer AfD-Aussteiger sprach in der ARD-Doku davon, dass bereits radikalisierte AfD-Mitglieder eher über Emotionen als über Fakten erreichbar seien. Können Sie das erklären?

Quent: Der Rechtspopulismus und auch der Rechtsextremismus leben von Untergangsängsten und der Vorstellung, dass alles kaputt geht, dass alles immer schlechter wird und dass letztlich nur in der AfD, nur Rechtsaußen diejenigen sind, die das Land noch retten können, und zwar als einzige.

Wenn aber sichtbar wird, dass es hier auch positive Emotionen gibt, dass es Hoffnung, Unterstützung für Demokratie, eine Ablehnung gegen diese destruktiven Positionen und diesen Kulturpessimismus gibt, dann macht das emotional. Und wir sehen das bei Demonstrationen, bei Rednern in den sozialen Medien schon jetzt, dass ein Effekt dieser Demonstrationen auf der rechtsextremen Seite so etwas wie Frustration, ein Verlust an Energie, ein gesunkenes Engagement ist.

Man ist frustriert und erschüttert darüber, dass die eigene Vorstellung über die Gesellschaft durch diese Demonstrationen so erschüttert wird. Und das passiert ganz stark auf einer emotionalen Ebene und gar nicht nur auf einer rationalen. Auch darum sind diese Demonstrationen so wichtig - vielleicht wichtiger als das eine oder andere wissenschaftliche Erklärstück.

Das Gespräch führte Susanne Petersohn, WDR.

Mehr zu dem Thema sehen Sie in der ARD-Dokumentation "Wir waren in der AfD - Aussteiger berichten".