
Vor Krisentreffen bei Scholz "Unterhaken" gegen die Inflation
Wie mit der hohen Inflation umgehen? Vor dem Krisentreffen im Kanzleramt mit Wirtschaft und Gewerkschaften fordern die einen mehr Entlastung der Bürger, andere dauerhaft höhere Löhne. Kanzler Scholz plädiert für "unterhaken und zusammenhalten".
Die Inflationsrate pendelt zwischen siebeneinhalb und acht Prozent, die Preise steigen, die Kaufkraft sinkt. Anfang Juni hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) angekündigt, er wolle im Rahmen einer "konzertierten Aktion" mit Arbeitgebern und Gewerkschaften beraten, was man gemeinsam gegen die hohe Inflation tun könne. Der Auftakt soll am Montag im Kanzleramt stattfinden - die Erwartungen an das Treffen sind groß, doch die Meinungsunterschiede sind es auch.
Scholz sagte in einem auf Twitter veröffentlichten Video-Podcast: "Wenn wir uns unterhaken und zusammenhalten, sind wir stark." Das große Problem, das viele Bürgerinnen und Bürger gegenwärtig zurecht umtreibe, seien die steigenden Preise. "Und auch da müssen wir gemeinsam handeln", mahnte Scholz. Deshalb habe er - wie das schon einmal in den 1960er- und 1970er-Jahren gewesen sei - Gewerkschaften, Arbeitgeber, Bundesbank und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eingeladen, "darüber zu sprechen, was wir machen".
Höhere Löhne und Sozialleistungen
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, sagte der Deutschen Presse-Agentur in Berlin: "Nur höhere Löhne und Sozialleistungen können nachhaltig den Schaden für Menschen mit mittleren und geringen Einkommen kompensieren." Einmalzahlungen seien dagegen nicht zielgenau, da viele davon gar nicht profitierten.
Vor einer Woche waren Pläne aus dem Kanzleramt über steuerfreie Einmalzahlungen bekannt geworden. Im Gegenzug könnten Gewerkschaften bei Tarifrunden auf einen Teil der Lohnsteigerungen verzichten, um die Inflation nicht weiter anzuheizen, hieß es. Fratzscher sagte, Einmalzahlungen könnten nur eine temporäre, aber keine dauerhafte Entlastung sein. "Der wirtschaftlich wie sozial beste Weg im Umgang mit der Inflation ist - neben höheren Löhnen und Einkommen - eine steuerliche Entlastung und höhere soziale Leistungen für Menschen mit mittleren und geringen Einkommen", so Fratzscher.
"Idee kann nach hinten losgehen"
Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm sagte der Nachrichtenagentur dpa: "Die Idee von Einmalzahlungen kann auch nach hinten losgehen." Wenn man für Einmalzahlungen auf Lohnsteigerungen verzichte, müssten sie sehr hoch ausfallen. "Das könnte natürlich unmittelbar die Nachfrage und somit wieder die Inflation anheizen."
"Einmalzahlungen auf Dauer keine Lösung"
SPD-Chefin Saskia Esken warnte davor, sich beim Krisentreffen auf Einmalzahlungen an die Beschäftigten zu beschränken. Sie sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe: "Einmalzahlungen und befristete Entlastungsmaßnahmen helfen kurzfristig, sind aber auf Dauer keine Lösung." Die Preise vor allem für Energie würden hoch bleiben. "Als Sozialstaat müssen wir daher die Leistungen an die steigende Inflation anpassen." Zusätzlich müssten die Löhne auf dem Arbeitsmarkt, insbesondere im Niedriglohnsektor, "signifikant und dauerhaft steigen".
Auch andere mögliche Instrumente sollen bei der "Konzertierten Aktion" auf den Tisch kommen. Dazu zähle das von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vorgeschlagene soziale Klimageld, hieß es in Regierungskreisen. Heil will einmal im Jahr ein Klimageld für Alleinstehende, die weniger als 4000 Euro brutto im Monat verdienen, und für Verheiratete mit zusammen weniger als 8000 Euro. Die CDU-Wirtschaftsexpertin Julia Klöckner kritisierte, das Krisentreffen falle unter die Kategorie "Wenn ich nicht mehr weiter weiß, gründe ich einen Arbeitskreis". Vielmehr müssten unter anderem Steuern und Abgaben auf Energie dauerhaft gesenkt werden.
Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel senken
Der CDU-Sozialflügel forderte hingegen: "Die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel, die um bis zu 40 Prozent teurer geworden sind, muss vorübergehend reduziert werden." Eine Tüte Chips dürfe nicht billiger sein als ein Möhrensaft, zitieren die Zeitungen der Funke-Mediengruppe ein Papier des Arbeitnehmerflügels CDA.
Nach Ansicht des Wirtschaftsweisen Achim Truger kann die "Konzertierte Aktion" helfen, eine drohende Rezession in Deutschland zu verhindern. Inhaltlich gehe es darum, "dass die Gewerkschaften keine übertriebenen Lohnforderungen stellen, damit es nicht zu einer Preis-Lohn-Spirale kommt", sagte er der Mediengruppe Bayern. Fratzscher meinte dagegen, die Lohn-Preis-Spirale sei ein "falscher Mythos". Von den Arbeitgebern verlangte Truger wie auch Fratzscher mehr Tarifbindung.
Mieterbund: Kündigungs-Moratorium
Daneben gibt es zahlreiche weitere Vorschläge, wie die Bevölkerung angesichts der explodierenden Energiepreise entlastet und die Schwächsten geschützt werden könnten. Der Deutsche Mieterbund fordert ein Kündigungsmoratorium wie in der Corona-Krise für Mieter, die die erwarteten hohen Nachzahlungen für Energie nicht gleich leisten können und für die Dauer der Energiekrise Heizkostenzuschüsse an bedürftige Haushalte.
Die Sozialverbände haben die Rentnerinnen und Rentner im Blick, Haushalte an der Armutsgrenze und Grundsicherungsempfänger. Menschen mit niedrigen Einkommen seien bisher fast leer ausgegangen, kritisierte der Paritätische Gesamtverband bei der Vorstellung seines Armutsberichts in dieser Woche. Mit der Gießkanne habe der Staat hingegen Geld an Hauseigentümer und SUV-Besitzer verteilt, die die Hilfe nicht bräuchten. Nur zwei Milliarden Euro der fast 30 Milliarden Euro umfassenden Entlastungen seien ausschließlich armen Haushalten zugutegekommen.
Der Sozialverband VdK will gegen die Energiepauschale von 300 Euro für steuerpflichtige Beschäftigte klagen, weil Rentnerinnen und Rentner und pflegende Angehörige leer ausgehen. Der Verband fordert ein drittes Entlastungspaket für alle, die bisher vergessen worden seien und die Abschaffung der Mehrwertsteuer auf gesunde Lebensmittel wie Obst und Gemüse.