Christian Lindner
analyse

Strategie der FDP Auf Krawall gebürstet

Stand: 05.04.2024 09:23 Uhr

Die FDP durchkreuzt die bundespolitisch ruhige Osterwoche mit allerlei alten Argumenten und düpiert die Koalitionspartner - wieder einmal. Diesmal aber geballt. Warum die Partei kaum anders kann.

Eine Analyse von Lissy Kaufmann, ARD-Hauptstadtstudio

Es hätte auch ein idyllisches Osterwochenende werden können. Finanzminister Christian Lindner weilte mit seiner Frau Franca Lehfeldt im Urlaub in den Bergen: Das obligatorische Frohe-Ostern-Foto mit vergnügten Gesichtern gab's auf Instagram - vor Bergpanorama, grüner Wiese, Kühen und Sonnenschein.

Hier könnte die Geschichte enden. Wäre aber langweilig. Und erzeugt nicht sonderlich viel Aufmerksamkeit. Das dachte sich vielleicht auch der FDP-Chef selbst. Lindner begann jedenfalls, die Osterruhe mit allerlei politischen Vorschlägen zu durchkreuzen und führte das die Woche über so fort: Steuererleichterungen für die arbeitende Mitte - weil ja auch das Bürgergeld "massiv und überproportional" erhöht worden sei. Ausgleich der kalten Progression, also der indirekten Steuererhöhung in Inflationszeiten - eine Maßnahme, von der Gutverdiener am meisten profitieren. Moratorium bei den Sozialausgaben, zumindest für ein paar Jahre. Und übers Bürgergeld müsste man bitte auch noch mal ganz generell sprechen, da sei ein Update nötig.  

Flankiert wurde Lindner dabei von FDP-Verkehrsminister Volker Wissing, der betonte, dass er - ja, wirklich - noch immer absolut gegen ein Tempolimit sei. Und von Fraktionschef Christian Dürr, der klarmachte, dass der Sozialstaat nicht weiterwachsen dürfe. Die drei setzen an, wo der parlamentarische Geschäftsführer Johannes Vogel kurz vor Ostern aufgehört hatte, als er Nachbesserung beim gerade frisch mit der SPD geschnürten Rentenpaket forderte. 

Die "Dagegen"-Partei, die keine Ruhe gibt

Ein Statement-Inferno der FDP in ansonsten bundespolitisch ruhigen Zeiten. Die Freien Demokraten sind wieder mal auf Krawall gebürstet, so scheint es. Denn eines haben die politischen Vorschläge gemein: Sie düpieren die Koalitionspartner SPD und Grüne. Man könnte bei diesem wiederholten Vorgehen schon von "Lindnern 2.0" sprechen: Nach "Besser nicht regieren, als schlecht regieren" gilt: "Lieber mitregieren, aber trotzdem so tun, als sei man die Opposition." Die FDP als "Dagegen"-Partei, die keine Ruhe gibt, nicht mal an Ostern. Warum? 

Die FDP kann kaum anders. Erstens, weil sie nun mal grundsätzlich andere Ansichten vertritt als ihre beiden größeren Koalitionspartner. Und zweitens, weil sie sich genau jetzt - drei Wochen vor dem Parteitag und den anstehenden Wahlen - bei ihrer Wählerschaft mit typischen FDP-Themen einschmeicheln kann und muss.

"Was wir in den letzten Tagen gesehen haben, war die Kommunikation eines glasklar liberalen Profils", sagt die Politikprofessorin Claudia Ritzi von der Universität Trier. "Lindner und Co richten sich an ihre Mitglieder und Wähler und nutzen den Parteitag als Anlass, um ihre Vorstellungen jenseits aller Zwänge innerhalb der Koalition zu skizzieren."   

Dazu eignet sich etwa das Tempolimit auf Autobahnen. Umfragen zeigen zwar, dass große Teile der Bevölkerung sehr wohl dafür sind, eine Geschwindigkeitsbegrenzung einzuführen. "FDP-Wählerinnen und -wähler sind aber typischerweise dagegen", sagt Ritzi. "Die FDP weiß, was ihre Wählerschaft von ihr erwartet."

Eine Klientel, die zwar nur in einem kleinen Teil der Bevölkerung zu finden ist, die die FDP bisher aber fast immer über die Fünf-Prozent-Hürde gehoben hat. Doch diese Klientel droht der FDP abhanden zu kommen. Laut aktuellem ARD-DeutschlandTrend erreicht die Partei nur noch vier Prozent - und wäre damit nicht mehr im Bundestag vertreten.  

Die FDP versucht zu retten, was zu retten ist

Die schlechten Umfragewerte sind auch eine Folge der Regierungsbeteiligung mit SPD und Grünen. Denn die macht Kompromisse nötig. "Die Wählerschaft goutiert überhaupt nicht, wenn die FDP vom liberalen Kernprogramm abweicht", erklärt die Politikwissenschaftlerin Ritzi. Ähnlich sieht es die Direktorin der Akademie für Politische Bildung, Ursula Münch. "Bei der breiten Wählerschaft, die nur gelegentlich FDP wählt, gilt die Partei als Verhinderer. Den Kernwählern verhindert die FDP nicht genug. Das ist für sie lebensbedrohlich."   

Die FDP versucht also zu retten, was zu retten ist: bei der Stammwählerschaft. Jetzt, vor dem Parteitag, vor der Europawahl, vor den Landtagswahlen. Die Botschaft bleibt die gleiche, wird aber noch lauter kommuniziert: weniger Sozialstaat, weniger Bürokratie, mehr Freiheit und mehr Steuererleichterungen. 

SPD und Grünen etwas entgegensetzen

Das geht unumgänglich auf Kosten des Koalitionsfriedens. "Die Konflikte werden eher noch zunehmen", prognostiziert die Politologin Münch. "Fromme Vorsätze scheitern nicht an der Unfähigkeit der Politiker, sie einzuhalten, sondern daran, dass man in Kernpunkten völlig anderer Auffassung ist, ein völlig anderes Staatsverständnis hat." Die FDP begreife die Rolle als Opposition in der Regierung nicht als Vorwurf: "Sie sagt, man muss zwei so 'sozialstaatsverliebten', zum Geldausgeben neigenden Parteien etwas entgegensetzen."  

Muss es aber gleich immer so laut, geballt und krawallig sein? Die Politikwissenschaftlerin Ritzi rät zur Orientierung an der Sache: "Es wäre sinnvoll, ein bisschen weniger den Eindruck zu erwecken, dass es hier um Selbstdarstellung geht und darum, Aufmerksamkeit zu erzeugen." Oder um persönliche Machtkämpfe - wie bei der Kindergrundsicherung. "Hier geht es darum, wer am Ende gewinnt, und nicht nur, dass man auf Basis des Koalitionsvertrags versucht, Maßnahmen auszuhandeln."  

Wer diesen Kampf gewinnt, oder ob am Ende alle verlieren, bleibt abzuwarten. Eines aber gilt schon jetzt als sicher: Auch nach der Osterurlaubswoche dürfte es rund um die FDP kein bisschen leise werden.  

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 05. April 2024 um 05:40 Uhr.