
Debatte über Corona-Maßnahmen "Der Winter ist noch nicht zu Ende"
Nach den Aussagen des Virologen Drosten fordern FDP-Politiker ein Ende der Corona-Maßnahmen, doch Minister Lauterbach bremst: Die Kliniken seien voll, das Personal sei überlastet. Die Union drängt auf eine Bund-Länder-Konferenz.
In der Debatte über Corona-Regeln lehnt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach ein sofortiges Ende aller Schutzmaßnahmen ab. "Die Kliniken sind voll, das Personal überlastet, die Übersterblichkeit ist hoch, und der Winter ist noch nicht zu Ende", sagte der SPD-Politiker auf Anfrage der Nachrichtenagentur epd. "Ein sofortiges Beenden aller Maßnahmen wäre leichtsinnig und wird auch von Christian Drosten nicht gefordert."
Zuvor hatte der Virologe Drosten dem Berliner "Tagesspiegel" gesagt, seiner Ansicht nach sei Corona als Pandemie überwunden: "Wir erleben in diesem Winter die erste endemische Welle mit Sars-Cov-2, nach meiner Einschätzung ist damit die Pandemie vorbei", so Drosten. Daraufhin hatte eine Debatte über ein mögliches Ende der Corona-Einschränkungen begonnen.
Lauterbach betonte: "Christian Drosten hat Recht, dass wir in den endemischen Zustand der Corona-Wellen übergegangen sind, die Wellen betreffen nur Teile der Bevölkerung." Trotzdem gelte es, jetzt noch die besonders gefährdeten Menschen zu schützen. Das sei etwa durch Masken in Pflegeeinrichtungen möglich.
FDP für Ende der Maßnahmen
FDP-Politiker wie Bundesjustizminister Marco Buschmann und Parteivize Wolfgang Kubicki hatten sich nach Drostens Aussagen für das sofortige Ende der Schutzmaßnahmen ausgesprochen. Hingegen äußerte sich auch der Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen vorsichtiger. "Zurzeit spricht vieles dafür, dass sich das Coronavirus kaum noch verändert und seine zurzeit noch starke Verbreitung mit dem Ende dieses Winters endlich deutlich zurückgehen wird", sagte er dem "Tagesspiegel".
Bis zum Frühjahr sollte man aber wegen der aktuell noch starken Verbreitung des Virus, damit einhergehenden Personalausfällen und der Belastung des Gesundheitswesens "weiter rücksichtsvoll sein und in Innenräumen deshalb Maske tragen, Händehygiene einhalten und auf regelmäßiges Lüften achten".
Kühnert für Einhaltung des Infektionsschutzgesetzes
Der Generalsekretär der SPD, Kevin Kühnert, plädierte im gemeinsamen Morgenmagazin von ARD und ZDF für das Einhalten des Infektionsschutzgesetzes. Das sieht bis 7. April 2023 besondere Schutzmaßnahmen vor wie etwa eine Maskenpflicht im öffentlichen Personenfernverkehr sowie beim Zutritt zu bestimmten Einrichtungen wie Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen oder Arztpraxen. In dem Gesetz seien, so Kühnert, gegenüber dem, "was wir in den letzten drei Jahren hatten, nur noch ganz wenige Maßnahmen drin".
Union für bundesweite Entscheidung
Die Union forderte mit Blick auf die Debatte eine Sonderkonferenz von Bund und Ländern Anfang Januar. Dort könnten die meisten Schutzmaßnahmen bundesweit aufgehoben werden, sagte der gesundheitspolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Tino Sorge, dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland". "Es wird Zeit, die Pandemie endlich für beendet zu erklären. Die Ampel darf sich nicht länger um diese vor allem politische Entscheidung drücken."
Masken- und Isolationspflichten müssen zum neuen Jahr mit wenigen Ausnahmen durch Empfehlungen ersetzt werden, verlangte Sorge. Europa gehe zur Normalität über, nur die Ampel-Regierung habe nicht den Mut dazu. "Eine Konferenz des Bundeskanzlers mit den Regierungschefs der Länder Anfang Januar wäre das angemessene Format, um einen solchen Schritt gemeinsam mit den Bundesländern zu koordinieren", so der CDU-Politiker. Einzig im Gesundheitswesen und in der Pflege seien Schutzmaßnahmen weiterhin angebracht.
Weiter ÖPNV-Maskenpflicht in einigen Ländern
Das Land Rheinland-Pfalz begrüßt die Debatte. In dem Bundesland gelten schon seit einer Weile kaum noch Schutzmaßnahmen und auch eine Isolationspflicht sei nicht mehr zwingend, sagte der Sprecher des Gesundheitsministeriums, David Freichel. Allerdings stiegen die Fälle von Corona-Erkrankungen insbesondere in den Krankenhäusern an, das führe auch zu hohen Ausfällen und zusätzlichen Belastungen bei den Mitarbeitenden.
Angesichts zusätzlich aktuell grassierender Atemwegsinfektionen halte Rheinland-Pfalz daher an der Maskenpflicht im öffentlichen Personennahverkehr und in den medizinischen Einrichtungen fest. Zudem werde empfohlen, dass Menschen überall dort, wo sie auf engem Raum zusammenkommen, eine Maske tragen.
Auch Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher erklärte, er wolle die Maskenpflicht im öffentlichen Nahverkehr und die Isolationspflicht bis zum Frühjahr 2023 aufrechterhalten. Im Winter solle damit der starke Anstieg der Infektionserkrankungen gedämpft und das Gesundheitswesen entlastet werden. Gerade im öffentlichen Nahverkehr von Großstädten wie Hamburg sei weiterhin Vorsicht geboten. Sehr volle Busse und Bahnen seien ein klassischer Risikofaktor für die Übertragung von Infektionen über die Atemwege.
Kommunen fordern Lockerung
Die Landkreise in Deutschland sprachen sich für eine weitere Lockerung der Maßnahmen aus. "Wir freuen uns, dass wir nach knapp drei anstrengenden Jahren auch von führenden Virologen die Bestätigung erhalten, dass die Corona-Pandemie durchgestanden ist", sagte der Präsident des Deutschen Landkreistages, Reinhard Sager, den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
Sager sprach sich für "weitere zielgerichtete Entscheidungen zur Aufhebung von Einschränkungen" aus. Als Beispiel nannte er die Maskenpflicht im öffentlichen Nahverkehr, die in einigen Bundesländern schon aufgehoben wurde: "Das verpflichtende Maskentragen in der Bahn ist immer schwerer vermittelbar, obwohl es natürlich auch unabhängig von Corona einen Beitrag zur Reduzierung von Virusinfektionen leistet."
Ärzte-Präsident plädiert für mehr Freiwilligkeit
Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, setzt auf einen freiwilligen Schutz und hält daher auch einen Abbau der rechtlich verbindlichen Corona-Schutzmaßnahmen für vertretbar. Mit großer Wahrscheinlichkeit könne gesagt werden, dass die Pandemie derzeit in eine Endemie übergehe, also nur noch kleinere Infektionswellen auftreten, sagte Reinhardt im Deutschlandfunk. Er sieht darin einen Anlass, beim Schutz vor Infektionen stärker auf Freiwilligkeit zu setzen.
Der Präsident des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, sagte im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk: "Entspannung heißt ja nicht, dass man alle Vorsichtsmaßnahmen fahren lassen kann, man muss noch ein kleines bisschen auf sich und seine Umwelt achten." Er sprach sich etwa für das Tragen von Masken in Arztpraxen aus - ebenso in engen und schlecht belüfteten Innenräumen. Er setze dabei nicht auf Gesetze, sondern auf die Vernunft der Menschen.
Wer zum Beispiel das Tragen einer Maske in öffentlichen Verkehrsmitteln zu einer Grundrechtsfrage stilisiert, dem kann ich nicht mehr helfen.