Andreas Eggert

Nach Afghanistan-Abzug Wenn das Trauma wieder aufbricht

Stand: 10.09.2021 03:01 Uhr

Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan war eine unmittelbare Folge der Terroranschläge vom 11. September 2001. Das Debakel zum Abschluss der Mission reißt bei Veteranen alte Wunden wieder auf.

Von Kai Küstner, ARD-Hauptstadtstudio

Auf einmal ist das alles wieder da: die Albträume, die Schlafstörungen, der Horrorfilm im Kopf vom Krieg in Afghanistan. Es sei für ihn kaum zu ertragen gewesen, die Bilder vom Ende des Einsatzes am Hindukusch und die Machtübernahme der Taliban mitansehen zu müssen, sagt der ehemalige Bundeswehrsoldat Andreas Eggert. "Das hat bei mir zu einer Retraumatisierung geführt. Zu einer Verschlimmerung der Symptome."

Kai Küstner ARD-Hauptstadtstudio

Sieben Mal war Eggert in Afghanistan im Einsatz. Er musste hilflos mitansehen, wie damals Kameraden fielen und ihm ans Herz gewachsene Afghanen getötet wurden. Was bei ihm im Jahr 2010 eine Posttraumatische Belastungsstörung auslöste, die nie ganz verheilte. Aber: "Ich bin 'nur' - in Anführungsstrichen - krank geworden", sagt er. "Andere Kameraden haben ihr Leben verloren, Angehörige ihre Liebsten."

Wofür er einst kämpfte

Und genau deshalb ist es für den Afghanistan-Veteran so unerträglich, all das, wofür er einst gekämpft hat, in Trümmern zu sehen - und die Taliban an der Macht: "Für mich ist das schrecklich: Wir stehen genau dort, wo wir vor 20 Jahren waren. Die Taliban haben sich weiterentwickelt, sie sind deutlich besser ausgestattet als die deutsche Armee, denn sie haben mehr Hubschrauber, die funktionieren. So makaber muss man das sagen."

Der heute in Bonn lebende Eggert hat sich entschlossen, im Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio über das Wiederaufflammen seiner Krankheit zu reden. Andere Traumatisierte wollen und können das angesichts der Bilder und Berichte aus Afghanistan derzeit nicht.

Aus Sicht des Bundes Deutscher Einsatzveteranen jedenfalls offenbart sich hier ein Riesenproblem: Schon nachdem Ende Juni die letzte Bundeswehrmaschine vom Hindukusch zurückkehrte und sich keine Politikerseele zum Empfang am Rollfeld blicken ließ, hätten die Telefone nicht stillgestanden, berichtet der Verbandsvorsitzende Bernhard Drescher. Das sei angesichts der Taliban-Machtübernahme so weitergegangen: "Auf allen Kanälen wurden uns Wut und Enttäuschung - also quasi ein Gewitter der Emotionen - mitgeteilt, welches sich gerade bei den Traumatisierten sehr stark entladen hat."

Warnung vor Radikalisierung

Drescher warnt auch vor einer gefährlichen Radikalisierung. In diesem Jahr hätten sich neue, rechte Gruppierungen wie "Veteranen 5 n 12" oder der "Veteranen Pool" gegründet, in denen Umsturzphantasien grassieren. Ein toxisches Gebräu droht diese Tendenzen offenbar nun noch zu verstärken: Die jüngsten Ereignisse in Kabul würden als "politisches Versagen" wahrgenommen, der Einsatz als sinnlos, erklärt Drescher.

Und zwar von Soldaten, die erst in Afghanistan ihr Leben riskierten und dann noch einen bisweilen jahrelangen Kampf um Anerkennung, Therapie und Entschädigung für ihr Trauma hätten führen müssen: "Die mangelnde Wertschätzung des Staates führt dazu, dass sich die vorhin angesprochenen Menschen von dieser politischen Mitte nicht mehr vertreten fühlen." Ein solches Abdriften müsse man unbedingt verhindern, so Drescher.

"Sie fühlen sich machtlos und schlecht"

Genau diese bedrohlichen extremistischen Bestrebungen nimmt auch Ex-Soldat Eggert wahr. Aber er berichtet auch von vielen Kameraden, die am liebsten sofort nach Afghanistan fliegen und helfen würden. Was aber natürlich nicht geht: "Sie fühlen sich machtlos und schlecht, nicht helfen zu können."

Eggert versucht zu helfen. Und zwar, soweit das seine Kräfte erlauben, für den Bund Deutscher Einsatzveteranen all jenen, die mit der jetzigen Situation nicht umgehen können. Das, sagt er, lindere auch bei ihm selbst das so unerträgliche Gefühl der Ohnmacht.

Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 09. September 2021 um 17:00 Uhr.