Eine Frau geht in Belgrad an einem Graffiti vorbei, das den russischen Präsidenten Wladimir Putin neben den Farben der serbischen Flagge zeigt.
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Serbische Medien Wie deutsche Firmen Desinformation finanzieren

Stand: 20.03.2023 14:11 Uhr

In vielen serbischen Medien wird massiv Stimmung gegen die EU und pro Russland gemacht. Die Auswertung der serbischen NGO CRTA zeigt: Ausgerechnet westliche Unternehmen finanzieren diese Medien durch Anzeigen - auch viele deutsche.

Von Pascal Siggelkow, ARD-faktenfinder

"Russland wurde zum Krieg gezwungen", in der Ukraine seien "ethnische Säuberungen" durchgeführt worden, ohnehin habe der Westen den Krieg in der Ukraine begonnen: Das sind Äußerungen in reichweitenstarken serbischen Medien, die dort unwidersprochen getätigt werden konnten. Dahinter steht nicht zuletzt der serbische Präsident Alexander Vucic, der die Medienlandschaft im Land zu großen Teilen unter seine Kontrolle gebracht hat.

Was brisant daran ist: Nach Angaben der serbischen Nichtregierungsorganisation CRTA finanzieren sich viele der serbischen Medien zu großen Teil durch Anzeigenerlöse westlicher Unternehmen. Eine Auswertung der Werbung in den überregionalen Fernsehsendern und Tageszeitungen des vergangenen Jahres kommt zu dem Ergebnis, dass etwa 63 Prozent davon von Unternehmen aus der EU, den USA oder der Schweiz stammte. "Ohne das Geld der westlichen Unternehmen wäre die serbische Propagandamaschinerie nicht machbar", sagt Rasa Nedeljkov, Programmdirektor bei CRTA.

Fast zehn Prozent der Anzeigen von deutschen Firmen

Auch deutsche Unternehmen sind im erheblichen Umfang daran beteiligt und gehören laut Nedeljkov zu den "wichtigsten Akteuren auf dem serbischen Werbemarkt": Sie machen knapp zehn Prozent der ausgewerteten Anzeigen aus. Zum Vergleich: Private und staatliche serbische Unternehmen kommen nach Angaben von CRTA zusammen auf 36 Prozent, russische sogar nur auf 0,1 Prozent.

Mehr als zehn deutsche Unternehmen schalteten demnach im vergangenen Jahr in serbischen Medien jeweils Anzeigen im Wert von mehr als einer Million Euro. An der Spitze steht LIDL: Nach Angaben von CRTA schaltete der Konzern Anzeigen im Wert von gut 54 Millionen Euro. Dahinter folgen Beiersdorf mit 10,3 Millionen Euro, Glovo - das zu Delivery Hero gehört - mit fünf Millionen Euro und die Berlin Chemie AG mit 3,7 Millionen Euro. Auch dm, Dr. Theiss, Bayer und METRO schalteten jeweils Werbung im Wert von mehr als einer Million Euro. Die Anzeigen wurden jeweils in verschiedenen Medien platziert.

"Mehr als die Hälfte der Ausgaben von LIDL gingen unserer Analyse nach an die Fernsehsender TV Pink und TV Happy, die beide für ihre prorussische Kriegspropaganda und ihre unprofessionelle und unethische Berichterstattung berüchtigt sind", sagt Nedeljkov. TV Pink ist nach Angaben von Nielsen Television Audience Measurement der meistgesehene kommerzielle Fernsehsender in Serbien. Auch alle anderen deutschen Unternehmen schalteten der Auswertung von CRTA zufolge bei TV Pink Werbung.

Schlechtes Bild von der EU

TV Pink gilt zusammen mit TV Happy zu den extremsten Medien des Landes. Hier werden zum Beispiel mit Blick auf den Krieg in der Ukraine vor allem die russischen Narrative verbreitet. So wird die russische Desinformation über die angebliche "Entnazifizierung" übernommen, oder die mutmaßlich von russischen Soldaten verübten Kriegsverbrechen in Butscha als Manipulation dargestellt. Zudem wird die NATO für den Krieg verantwortlich gemacht. Auch die Desinformation über die Biolabore spielt immer wieder eine Rolle.

Hinzu kommt, dass in den Medien ein schlechtes Bild von der EU gezeichnet wird. So wird unter anderem behauptet, es gebe keine Meinungsfreiheit in der EU. In einem anderen Beitrag heißt es, die einzige "Stimme der Vernunft" in der EU sei der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban. Auch die USA werden regelmäßig verunglimpft. Nach dem verheerenden Erdbeben in der Türkei und in Syrien wurden die USA sogar beschuldigt, die Katastrophe verursacht zu haben.

Auch andere reichweitenstarke Medien in Serbien verbreiten ähnliche Ansichten - wie beispielsweise die Fernsehsender TV Prva und B92 TV oder die Zeitungen Informer und Vecernje novosti. Auch hier schalteten mehrere deutsche Unternehmen Anzeigen im Wert von mehr als einer Million Euro. "Alle reichweitenstarken Medien, ob TV, online oder Print, liegen auf einer Linie", sagt Thomas Brey, langjähriger Regionalbüroleiter der Büros der Nachrichtenagentur dpa in Südosteuropa. "Es gibt nur graduelle Abstufungen."

FDP-Abgeordneter appelliert an "europäische Werte"

Thomas Hacker, Bundestagsabgeordneter der FDP, fordert von deutschen Unternehmen, besser zu analysieren, wo sie Werbung schalten. "Auch als Unternehmen sollte ich schauen, in welcher Weltlage wir uns befinden. Und da sollten sie sich fragen: Welche Art von Propaganda finanziere ich mit meinen Ausgaben?" Denn da Serbien deutlich kleiner ist als zum Beispiel Deutschland, sei die Größenordnung der Summen so hoch, dass sie etwas ausmachten. "Deshalb sollten deutsche Unternehmen darauf achten, dass sie in Medien Anzeigen schalten, die auch europäische Werte verkörpern."

Er gehe zwar davon aus, dass es sich nicht um eine bewusste Entscheidung der Unternehmen gehandelt habe, Medien mit solchen Inhalten zu unterstützen, sondern dass es ihnen viel mehr um deren Reichweite gehe. "Nichtsdestotrotz haben die Unternehmen eine Verantwortung bei der Wahl, wo sie ihre Anzeigen schalten."

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Boris Mijatovic findet das Verhalten der beteiligten deutschen Unternehmen "zweifelhaft" - besonders mit Blick auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine. "Das ist nicht im Interesse der westeuropäischen Politik, wenn man mit mehr als 20 Millionen Euro russische Narrative unterstützt." Er würde sich wünschen, dass die Öffentlichkeit diese Geschäftsgebaren stärker in den Fokus nimmt.

Wirtschaftliche Interessen im Vordergrund?

An Unwissenheit der Unternehmen hat Nedeljkov seine Zweifel: "Diese Unternehmen haben ihre lokalen Büros und Angestellten, lokale Werbe- und Medieneinkaufsagenturen - seit langem ist der 'professionelle Ruf' dieser Medien unübersehbar, wenn man in Serbien lebt und geschäftlich tätig ist oder auch nur einige Zeit hier verbringt." Er vermutet daher, dass es an der Reichweite dieser Medien liegt, die sie für Werbeanzeigen aus Sicht der Unternehmen attraktiv macht.

Auch Aleksandra Tomanic, Geschäftsführerin des European Fund for the Balkans, sieht die deutschen Unternehmen in der Verantwortung. "Gerade im Kontext des letzten Jahres und mit Blick darauf, wie viele Opfer die deutsche Wirtschaft, die deutsche Politik und die Bevölkerung in Deutschland gebracht haben, um sich deutlich moralisch zu positionieren, geht das gar nicht." Würden die Unternehmen zum Beispiel bei den russischen Sendern RT oder Sputnik Werbung schalten, wäre die Empörung groß. Die serbischen Medien seien jedoch mindestens genauso schlimm und würden durch die Anzeigen westlicher Unternehmen legitimiert und finanziert.

"Unternehmensgewinne können keine Entschuldigung für alles sein", sagt Tomanic. "Es gibt auch eine moralische und gesellschaftliche Verantwortung. Und von freier Marktwirtschaft kann man in Serbien nicht reden, wenn man sich die Rahmenbedingungen und politische Einflussnahme anguckt. Serbien ist im Moment einfach leider keine Demokratie mehr."

Unternehmen weisen Verantwortung von sich

Wie viel Geld die Unternehmen im vergangenen Jahr für Anzeigen in serbischen Medien ausgegeben haben, wollten sie auf Anfrage des ARD-faktenfinders nicht preisgeben. Ein Sprecher von LIDL Serbia teilte jedoch mit, dass die gesamten Medienausgaben aus dem vergangenen Geschäftsjahr weniger als 15 Prozent der genannten Summe ausgemacht haben. Die Entscheidung, wo Anzeigen geschaltet werden, würden "auf der Grundlage von Marketingkennzahlen wie zum Beispiel der Reichweite" getroffen, "um unsere Kunden und potenziellen Kunden bestmöglich zu erreichen".

Weiter heißt es: "Die Entscheidungen über spezifische Marketingmaßnahmen werden in den LIDL-Ländern auf nationaler Ebene getroffen und nutzen die vorhandenen Medienstrukturen unter länderspezifischen Gegebenheiten. Sie spiegeln nicht die politische Einstellung des Unternehmens wider."

Ein Sprecher von METRO Serbia teilte mit, dass das Unternehmen im Rahmen seiner Werbeaktivitäten mit einer Vielzahl von Medien zusammenarbeite, um seine Zielgruppen möglichst effektiv zu erreichen. Man verfolge hierbei "aber ausschließlich kommerziellen Ziele und mischt sich niemals in politische Angelegenheiten ein". Glovo antwortete auf Anfrage des ARD-faktenfinders, das Unternehmen würde sicherstellen, "dass unsere Werbung nicht neben unangemessenen oder illegalen Inhalten erscheint". Zudem sei das Medienbudget für das Fernsehen in Serbien im vergangenen Jahr "weitaus geringer" gewesen als die genannte Schätzung.

Dm Serbien schrieb auf Anfrage des ARD-faktenfinders, dass das Unternehmen mit TV Pink zusammenarbeite, da der Sender "der reichweitenstärkste Sender in Serbien" ist. Hauptkriterien für die Auswahl der Medien von dm seien "Zielgruppen, Reichweite, sowie Programmplan". Dm Serbien sehe lediglich bei einem serbischen TV-Sender eine klar ausgeprägte prorussische und antiwestliche Haltung, "mit dem wir auch nicht zusammenarbeiten".

Ein Sprecher von Beiersdorf teilte mit, dass das Unternehmen grundsätzlich auf den Kanälen Werbung schalte, "auf denen wir die größte Reichweite erzielen und unsere Konsument*Innen effizient erreichen". Dazu gehöre in Serbien auch der Sender TV Pink. Bayer teilte mit, den Sachverhalt prüfen zu wollen. Die Unternehmen Dr. Theiss und die Berlin Chemie AG gaben keine Stellungnahme dazu ab.

"Ein Skandal, über den zu wenig gesprochen wird"

Experten sehen neben den Unternehmen jedoch vor allem die EU in der Pflicht. Denn diese verschließe die Augen davor, dass Präsident Vucic die Medien nahezu vollständig unter seine Kontrolle gebracht habe. "Viele der serbischen Medien sind wie ein verlängertes Sprachrohr von Vucic", sagt Brey. "Die Opposition kommt nicht zur Sprache." Das deckt sich mit einer weiteren Auswertung von CRTA, demzufolge es bei TV Pink allein im Jahr 2022 258 Livestreams von Vucics Ansprachen gab, drei Viertel der Nachrichtenzeit waren für Vucic reserviert.

Auch Tomanic sieht das größte Problem in der Untätigkeit der EU. "Es ist bekannt, dass die Demokratie und Medienfreiheit in Serbien ausgehöhlt wurden. Das ist ein Skandal, über den in der EU zu wenig gesprochen und noch weniger gehandelt wird." Denn auch durch die mediale, staatlich gelenkte Propaganda sei das Ansehen der EU in der Bevölkerung immer weiter gesunken - laut dem serbischen Ministerium für Europäische Integration befürworteten im Dezember 2022 43 Prozent der Serben einem möglichen EU-Betritt - so wenig wie seit Juni 2016 nicht mehr. Und das, obwohl die EU sowohl ein wichtiger Handelspartner als auch ein großer Geldgeber für Serbien ist. Im November 2009 hatten noch 73 Prozent der Befragten einen EU-Beitritt befürwortet.

Mit Blick auf die Verhandlungen um eine Einigung im Kosovokonflikt scheue sich die EU, deutliche Kritik an Vucic zu üben, kritisieren die Experten. Dabei sind die Mängel offensichtlich, sagt Brey. "Die Justiz ist gleichgeschaltet, es gibt keine einzige unabhängige staatliche Institution. Die Medien sind zentralisiert und zensiert, die Wirtschaft wird dominiert vom Staat und von privaten Oligarchen, die dem Staat nahestehen."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 15. März 2023 um 15:36 Uhr.