Warnschild vor Biolabor
faktenfinder

Krieg in der Ukraine Desinformation über Biolabore

Stand: 02.03.2022 15:54 Uhr

Schon seit Jahren werden immer wieder Gerüchte über Biolabore der USA in Osteuropa gestreut. Nach dem Überfall auf die Ukraine tauchen nun Vorwürfe auf, die US-Regierung wolle etwas vertuschen.

Von Patrick Gensing und Pascal Siggelkow, Redaktion ARD-faktenfinder

"Die amerikanische Botschaft in der Ukraine hat am Samstag alle Dokumente über vom Pentagon finanzierte Biolabors in der Ukraine von ihrer Website entfernt." Das behauptet eine Schweizer Nachrichtenseite im Netz unter Bezugnahme auf eine bulgarische Journalistin. Eine sehr ähnliche Meldung findet sich auf einem Blog aus den USA, das auch fragwürdige Inhalte zur Corona-Pandemie verbreitet.

Der Inhalt der Meldungen zur Ukraine: Angeblich wolle das US-Pentagon nicht, dass die Öffentlichkeit die erwähnten Dokumente über Biolabore in dem Land sehe. Es wird suggeriert, die Labore könnten etwas mit Virenausbrüchen zu tun haben, außerdem ist von Biowaffen der USA die Rede. Auch der russische Staatssender RT DE berichtet über die Anschuldigungen.

Dokumente schon länger offline

Tatsächlich stehen die angeblich nun gelöschten Dokumente noch als Links auf einer Seite der US-Botschaft in Kiew. Zutreffend ist, dass diese Links auf Seiten mit Fehlermeldungen führen. Allerdings ist nicht belegt, dass das Pentagon - gemeint ist das US-Verteidigungsministerium - diese Dokumente am Wochenende offline genommen habe, so wie es behauptet wird. Vielmehr stehen sie offenkundig schon deutlich länger nicht mehr zur Verfügung.

Abfragen in Web-Archiven zeigen: Bereits seit Mai 2021 wurden keine Versionen der Berichte in dem Archiv mehr gesichert. Ein klares Indiz, dass die Seite für die automatisierte Archivierung nicht mehr zu erreichen war. Eine Abfrage der Hauptdomain "photos.state.gov" zeigt zudem, dass diese ebenfalls seit Mai 2021 nicht mehr gesichert wird - mutmaßlich, weil diese Domain ebenfalls nicht mehr zur Verfügung stand.

Screenshot Waybackmachine

Bereits seit Monaten sind die Seiten nicht mehr zu erreichen, die gesamte Domain wird offenkundig nicht mehr genutzt.

Weitere Seitenverzeichnisse unter der Domain "photos.state.gov", auf der Dokumente von diversen US-Botschaften standen, sind ebenfalls seit diesem Zeitpunkt nicht mehr zu erreichen gewesen. Offenkundig wurde die Domain schlicht stillgelegt. Über eine Seiten-Suche bei Google finden sich sehr viele Dokumente von US-Botschaften, die auf dieser Domain nicht mehr zur Verfügung stehen.

Screenshot Waybackmachine

Bereits seit Monaten sind die Seiten nicht mehr zu erreichen, die gesamte Domain wird offenkundig nicht mehr genutzt.

Die Behauptung, die USA habe speziell diese Dokumente nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine kurzerhand verschwinden lassen, ist also unbelegt und falsch.

Fraglich ist auch, wie sensibel die Informationen aus den Dokumenten tatsächlich sind. So lassen sich diese in Web-Archiven weiterhin einsehen, darin sind allgemeine Angaben zu Kooperationen angegeben; die US-Regierung hatte die Dokumente zudem - teilweise bereits vor Jahren - selbst veröffentlicht. Es ist somit wenig plausibel, dass die US-Regierung erst Dokumente selbst veröffentlicht, um sie dann der Öffentlichkeit vorenthalten zu wollen.

Vorwürfe aus China und Russland

Die bulgarische Journalistin, auf die sich die irreführenden Meldungen über die angebliche Löschung beziehen, schreibt bereits seit Jahren über vermeintliche Biolabore der USA.

Das Thema ist ein Dauerbrenner für Desinformation: Im Kontext der Corona-Pandemie behaupteten russische und chinesische Medien beispielsweise, dass Sars-CoV2 mutmaßlich aus einem US-Labor entstamme. Besonders die Einrichtungen in ehemaligen Sowjetrepubliken wie Georgien oder der Ukraine liegen bei solchen Erzählungen im Fokus.

Anschuldigungen zurückgewiesen

Die US-Botschaft in der Ukraine veröffentlichte daher bereits im Sommer 2020 eine Stellungnahme zu solchen Berichten. Dort heißt es, dass das US-Verteidigungsministerium mit der ukrainischen Regierung zusammenarbeite, "um sicherheitsrelevante Krankheitserreger und Toxine in Einrichtungen der ukrainischen Regierung zu konsolidieren und zu sichern und gleichzeitig eine friedliche Forschung und Impfstoffentwicklung zu ermöglichen".

Screenshot Post US-Botschaft Kiew

Die US-Botschaft wies bereits 2020 Anschuldigungen zurück.

Die USA arbeite mit den ukrainischen Partnern zusammen, "um sicherzustellen, dass die Ukraine durch gefährliche Krankheitserreger verursachte Ausbrüche erkennen und melden kann, bevor sie eine Sicherheitsbedrohung darstellen." Bereits seit dem Jahr 2005 arbeitet die USA mit der Ukraine zusammen. Dabei geht es nach Angaben des ukrainischen Geheimdienstes SBU vor allem um die Modernisierung der Labore. Die SBU wies zudem darauf hin, dass die Labore von der Ukraine gegründet und finanziert werden.

Angriff auf Biolabore?

In den Sozialen Netzwerken stellen einige User zudem einen Zusammenhang zwischen den Zielen der russischen Armee und den vermeintlichen Standorten der angeblichen US-Biolabore in der Ukraine her. So soll Russland gezielt versuchen, die Biolabore anzugreifen. Sieben der angeblich elf Labore seien einigen Usern zufolge bereits durch russische Raketen zerstört worden.

Screenshot eines Facebook Posts

Angebliche Angriffe auf vermeintliche US-Labore - unbelegte Behauptungen zum Ukraine-Krieg.

US-Faktenechecker widerlegten die Behauptungen über solche Labore bereits mehrfach und bezeichneten sie als Teil einer russischen Kampagne zur Desinformation, die bereits seit 2018 laufe.

"Querdenker" mit viel Verständnis für Putin

In Deutschland greifen Aktivisten aus dem "Querdenken"-Milieu die Behauptungen über die angebliche Entwicklung von Biowaffen in der Ukraine auf und verbinden ebenfalls Verschwörungslegenden zu Corona mit russischer Propaganda, wonach die Ukraine lediglich ein Vasallenstaat der USA sei.

In Sozialen Medien ist bereits seit Tagen zu beobachten, dass zahlreiche Profile, die bislang gegen eine angebliche "Corona-Diktatur" in Deutschland wetterten, nun russische Propaganda aufgreifen und weiterverbreiten.