Schottische Fans auf dem Leicester Square in London
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EM in Pandemie-Zeiten Risiko Fußballstadion?

Stand: 01.07.2021 18:48 Uhr

Ist die UEFA für den Tod vieler Menschen verantwortlich? Das zumindest behauptet SPD-Gesundheitsexperte Lauterbach. Zahlen deuten darauf hin, dass sich Fußballfans rund um die EM infiziert haben - aber auch im Stadion?

Als die schottische Gesundheitsbehörde am Mittwoch die höchste Zahl an Corona-Neuinfektionen binnen eines Tages seit Ausbruch der Pandemie vermeldete, hatte sie gleich einen Verdacht: Das muss in Zusammenhang mit der Fußball-Europameisterschaft stehen. Denn die schottischen Fans unterstützten ihre Mannschaft lautstark und in großen Massen - auf der Fan-Zone in Glasgow, im heimischen Hamden-Park-Stadion oder beim Spiel in London. 1991 Neuinfektionen in Schottland seit Beginn der EM gingen wohl auf das Turnier zurück, erklärte Jason Leitch, Gesundheitsberater der schottischen Regierung.

Lauterbach kritisiert UEFA

Auch SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach macht die Ansammlung von Fußballfans verantwortlich für eine Ausbreitung des Coronavirus. Auf Twitter teilte er einen Text von tagesschau.de über das Spiel England gegen Deutschland, bei dem rund 42.000 Zuschauer im Londoner Wembleystadion waren und kommentierte: "Das Spiel hat gestern nochmal gezeigt wie eng die Fans stehen, wie oft sie sich umarmen und anschreien. Es haben sich sicherlich Hunderte infiziert und diese infizieren jetzt wiederum Tausende."

Lauterbachs Folgerung: "Die UEFA ist für den Tod von vielen Menschen verantwortlich." Wenige Stunden später ergänzte er: "Die UEFA lässt es zu, dass die Delta Variante über volle Stadien weiter zunimmt. Damit übernimmt sie die Verantwortung für zahlreiche Todesfälle. Eine Schande für den Sport."

397 Infizierte im Wembleystadion

Ist die UEFA also verantwortlich für den Tod vieler Menschen? Die Zahlen aus Schottland scheinen zumindest den Verdacht zu bestätigen, dass sich viele Fußballfans angesteckt haben, während sie ihr Team unterstützten: Zwei Drittel von 1991 positiv Getesteten seien Fans, die zum Spiel am 18. Juni zwischen England und Schottland nach London gereist seien, so die Gesundheitsbehörde Public Health Scotland.

397 Infizierte aus Schottland seien im Wembleystadion gewesen, während in der Londoner Innenstadt Tausende weitere Fans Straßen und Plätze bevölkerten. 55 Neuinfizierte seien auf der Fanzone in Glasgow gewesen, 38 hätten das Heimspiel gegen Kroatien und 37 die Begegnung gegen Tschechien im Stadion verfolgt.

Angesteckt im Stadion oder woanders?

Drei Viertel der Infizierten waren demnach zwischen 20 und 39 Jahre alt, neun von zehn waren Männer. Das Problem bei diesen Zahlen: Es bleibt unklar, wo sich die Menschen tatsächlich angesteckt haben. Klar ist nur, dass sie während ihrer ansteckenden Phase EM-Spiele oder Fan-Events besucht oder bei einer Privatparty zuhause Fußball geschaut haben. In Relation gesetzt: Das sind sechs Prozent der insgesamt rund 32.000 Neuinfektionen in Schottland während des untersuchten Zeitraums zwischen dem 11. und dem 28. Juni.

Auch Finnland stellte einen Anstieg der Corona-Infektionen fest, nachdem mindestens 2000 finnische Fans von ihrem EM-Trip nach St. Petersburg zurückgekehrt waren, wo die finnische Mannschaft zwei Gruppenspiele ausgetragen hatte. Mehr als 120 Neuinfektionen seien bei den Rückkehrern aus der russischen Metropole festgestellt worden, so die Behörden.

Es mag wahrscheinlich sein, dass sich Fans beim Fußball angesteckt haben. Allerdings gelten Begegnungen in Innenräumen - etwa im Pub oder in der U-Bahn auf dem Weg zum Spiel - noch immer als die größere Infektionsgefahr, als unter freiem Himmel ein Spiel zu verfolgen. Nichtsdestotrotz könnte es eine Erklärung sein, warum die Zahlen in Schottland so stark angestiegen sind. Am Mittwoch wurden 3887 Neuinfektionen gemeldet - so viele wie nie zuvor. Im bisherigen Pandemieverlauf vor Juni waren nie mehr als 2700 Fälle am Tag gemeldet worden.

"Das ist kein EM-Virus"

Gesundheitsberater Leitch vermutet zwar, dass der Anstieg mit reisenden Fußballfans zusammenhängt. Er warnt jedoch, nun die Menschenansammlungen rund um die Europameisterschaft zu sehr in den Fokus zu nehmen: "Das ist kein EM-Virus. Man kann den Virus auch bekommen, wenn man nicht zur EM reist und nicht Fußball schaut."

Allerdings: Da die Delta-Mutante wesentlich ansteckender ist als frühere Coronavirus-Varianten - Leitch geht von einer Reproduktionszahl zwischen drei und vier aus - hätte ein Superspreader-Event in Menschenmassen schwerwiegende Folgen, insbesondere, weil viele junge Fußballfans noch nicht geimpft sind.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 30. Juni 2021.