Ein Corona-Tester führt im Coronatestzentrum im Gewandhaus in Leipzig einen Schnelltest durch (Archivbild).
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Geimpfte und Ungeimpfte Zahlen-Chaos bei Inzidenzberechnung

Stand: 02.09.2021 11:56 Uhr

Haben Ungeimpfte ein 14 Mal höheres Risiko, an Covid-19 zu erkranken als Geimpfte? Diesen Eindruck vermitteln die Inzidenzwerte, die Bayern veröffentlicht. Doch es gibt Schwächen bei der Berechnung.

Monatelang galt der Inzidenzwert - die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen - in Deutschland als entscheidender Wert für Corona-Maßnahmen. Doch dieser Wert hat mittlerweile wenig Aussagekraft, denn die Inzidenz schlägt wegen der Impfungen nicht mehr so klar und direkt auf die Zahl schwerer Corona-Fälle in den Intensivstationen durch. Denn die besonders gefährdeten Altersgruppen sind mittlerweile gut geschützt vor schweren Verläufen.

Nun wird darüber debattiert, weitere Indikatoren verbindlich zu verankern, wenn es um Auslöseschwellen für Beschränkungen oder Lockerungen geht. So könnten etwa die Impfquote, die Zahl der Krankenhauseinweisungen oder Aufschlüsselungen nach Alter stärker berücksichtigt werden.

Eine einheitliche Formel ist noch nicht gefunden. Einige Bundesländer haben sich mittlerweile für eine von der Inzidenz unabhängige 3G-Regel (Zugang für Geimpfte, Genesene und Getestete) entschieden. Für zukünftige Einschränkungen sollen Faktoren wie die Belegung von Krankenhäusern maßgeblich sein.

14 Mal so viele Neuinfektionen bei Ungeimpften

Bayern und Baden-Württemberg weisen als einzige Bundesländer mittlerweile die Sieben-Tages-Inzidenz auch getrennt nach Geimpften und Ungeimpften aus. Auch Hamburg und Bremen haben das in der vergangenen Woche getan, aber schnell wieder verworfen. Denn die Berechnung wirft einige Fragen auf.

Bayern, das die getrennten Zahlen einmal wöchentlich aktualisiert, weist aktuell (Stand 01.09.2021) bei Ungeimpften eine Sieben-Tages-Inzidenz von 158,75 aus, bei vollständig Geimpften von 11,27. Ungeimpfte sind demnach derzeit 14 Mal so oft von Corona-Infektionen betroffen wie Geimpfte. Das Robert Koch-Institut (RKI) gab die Inzidenz für Bayern am Stichtag mit 69,8 an.

Bei der Berechnung werden die Meldefälle der vergangenen sieben Tage nach Impfstatus unterteilt. Diese werden dann den Bevölkerungszahlen für Geimpfte und Ungeimpfte aus dem Digitalen Impfmonitoring des RKI gegenübergestellt.

"Teil-Geimpfte" werden nicht erfasst

Ein Teil der Neuinfektionen wird bei der getrennten Auswertung aber gar nicht erfasst, wie das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) gegenüber tagesschau.de erklärte. Denn wer zwar bereits geimpft ist, aber noch nicht als vollständig geimpft gilt, fällt bei einer Neuinfektion durchs Raster.

Vollständig geimpft sind Menschen erst, wenn die letzte erforderliche Impfung 14 Tage zurückliegt - also am 15. Tag. Wer beispielsweise die Erstimpfung mit dem Impfstoff AstraZeneca bekommen hat, muss bis zu zwölf Wochen bis zur Zweitimpfung und dann noch zwei weitere Wochen bis zum vollständigen Impfschutz warten.

Zahlen-Chaos in Hamburg

Hamburg hat die Inzidenzwerte lediglich einmal getrennt nach Geimpften und Ungeimpften ausgewiesen - als die bundesweit bislang einmalige 2G-Option (Zutritt nur für Geimpfte und Genesene) beschlossen wurde. In der Pressemitteilung der Sozialbehörde hieß es:

Bezogen auf die Gesamtbevölkerung liegt die Sieben-Tage-Inzidenz unter Personen mit einem Impfschutz gegen Covid-19 bei 3,36; bei Ungeimpften liegt dieser Wert bei 78,12.

"Bezogen auf die Gesamtbevölkerung" ergibt die Inzidenz jedoch wenig Sinn. Sinnvoller wäre es eher, die Inzidenz (von 3,36) im Verhältnis zu den jeweiligen Gruppen (rund 60 Prozent Geimpfte und rund 33 Prozent Ungeimpfte) zu setzen, so wie es Bayern macht. Ob die berechneten Werte stimmen, lässt sich auch nicht überprüfen, da die absoluten Zahlen der Neuinfektionen in Hamburg nicht getrennt nach Geimpften und Ungeimpften ausgewiesen wurden.

Vergleichbare Formel gesucht

Und es gibt noch ein Problem bei der Berechnung der Werte: Die Angaben zu geimpften und ungeimpften Infizierten werden von den Gesundheitsämtern anonymisiert an das Infektionsepidemiologische Landeszentrum, das Institut für Hygiene und Umwelt, übermittelt, wie die Hamburger Sozialbehörde auf Anfrage von tagesschau.de mitteilte. "Gegenwärtig gibt es unterschiedliche Werte bzw. Betrachtungsweisen in verschiedenen Kommunen und Bundesländern zu den Inzidenzen, die sich alle begründen und vertreten lassen."

Deshalb blieb es in Hamburg bei der "einmaligen Berechnung". Gesucht wird nun eine einheitliche Formel. "Nach unserer Auffassung sollte ein solcher Wert zukünftig bundesweit vergleichbar berechnet werden", erklärte die Sozialbehörde. "Dazu steht Hamburg mit den übrigen Bundesländern und dem RKI im Austausch."

Andere Bundesländer setzen auf Ampel

Andere Bundesländer weisen keine Zahlen für Geimpfte und Ungeimpfte aus. Niedersachsen oder Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise haben Ampeln eingeführt und setzen auf drei zentrale Kriterien: die Inzidenz der Neuinfektionen, die Hospitalisierung (landesweite Belegung von Krankenhäusern mit Covid-19-Erkrankten) und die prozentuale Belegung von Covid-19-Erkrankten auf Intensivbetten.

An diesen drei Warnstufen richten sich die Corona-Auflagen aus. Wenn auf der Ampel mindestens zwei der "Leitindikatoren" auf rot springen, greift die nächst höhere Stufe der Beschränkungen. Anders als bei der Inzidenzausweisung von Geimpften und Ungeimpften können die Krankenhaus- und Intensivbettenbelegung jedoch eindeutig ermittelt und ausgewiesen werden.

Impfquote falsch?

Noch ein weiteres Problem könnte es bei der Inzidenz für Geimpfte und Ungeimpfte geben, nämlich die Frage, wie viele Menschen tatsächlich schon geimpft sind. Das RKI geht davon aus, dass es mehr sind als offiziell verzeichnet. In einem Report sprach das RKI von einer "gewissen Unsicherheit". Vor allem unter den 18- bis 59-Jährigen könnten demnach schon mehr Menschen eine erste Impfung erhalten haben als in der Statistik erfasst.

Das wurde auch durch eine repräsentative Befragung von Infratest dimap in Kooperation mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung bestätigt. Die Meinungsforscher errechneten im Umfragezeitraum bis 13. Juli rund fünf Millionen mehr Erstimmunisierte als in der RKI-Statistik ausgewiesen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 31. August 2021 um 16:42 Uhr und um 23:41 Uhr.