Der Hafen von Beirut ist nach dem Unglück komplett verwüstet.
Hintergrund

Mutmaßliche Explosionsursache Woher stammt das gefährliche Ammoniumnitrat?

Stand: 05.08.2020 12:11 Uhr

Die Behörden vermuten 2750 Tonnen Ammoniumnitrat als Ursache für die schweren Explosionen in Beirut. Es stammt wohl von einem Schiff, das vor Jahren konfisziert worden war. Die Spuren führen in den postsowjetischen Raum.

Es ist ein Material, das für die Herstellung von Düngemitteln, aber auch von Sprengstoffen gebraucht wird: Ammoniumnitrat. 2750 Tonnen dieses hochexplosiven Stoffs hatte 2013 der Frachter "Rhosus" geladen, unterwegs von Georgien in Richtung südliches Afrika.

Genau dieses Schiff wird jetzt als Lieferant der Ladung vermutet, die mit so heftiger Wucht im Hafen der libanesischen Hauptstadt explodiert ist und viele Todesopfer gefordert hat.

Dass die Ladung der "Rhosus" explodiert sein könnte, berichtet unter anderem der libanesische Fernsehsender LBCI und beruft sich auf eine Sitzung des libanesischen obersten Sicherheitsrats.

Experte: Gefahr über Ammoniumnitrat war wohl bekannt

Im Oktober 2013 war das Schiff im Hafen von Beirut angekommen. Zunächst waren zehn Menschen an Bord, der russische Kapitän Boris Prokoschew sowie neun weitere Besatzungsmitglieder, alles Ukrainer.

Das Schiff wurde im Hafen festgehalten, wegen "grober Verletzung der Betriebsregeln" und weil der Crew der Lohn nicht ausgezahlt worden war. "Es passiert regelmäßig, dass ein Schiff verlassen und die Ladung konfisziert wird", sagt der russische Marineexperte Michail Wojtenko. "Es ist dann die Aufgabe der lokalen Behörden, sich darum zu kümmern. Oft wird die Ladung später versteigert."

Warum in diesem Fall nichts weiter passiert sei, außer die gefährliche Ladung möglicherweise unsachgemäß in einem Hafengebäude zu lagern, müssten die Verantwortlichen im Libanon beantworten, sagt Wojtenko. "Ammoniumnitrat ist eigentlich ein verbreitetes Gut in der Schifffahrt. In der Regel läuft der Transport ohne Zwischenfälle ab." Dass es sich um eine gefährliche Ladung handelt, war damals bereits bekannt - und es war auch öffentlich über den Libanon hinaus berichtet worden.

Crewmitglieder wurden im Libanon festgehalten

Der russische Kapitän Prokoschew wandte sich an die Internationale Transportarbeiter-Föderation (ITF), die sich um Seeleute kümmert. Er und drei weitere Crewmitglieder wurden im Libanon festgehalten. Libanesische Behörden wollten sie zunächst nicht ausreisen lassen, während das Schiff mit der gefährlichen Ladung im Hafen festsaß.

Erst ein Jahr später durften die Seeleute nach einem juristischen Streit das Land verlassen. Kapitän Prokoschew war damals nicht sonderlich beunruhigt wegen der gefährlichen Ladung, erzählt Olga Ananina von der ITF. "Es sind Seeleute, sie befördern unterschiedlichste Güter. Sie machen einfach ihren Job."

Russischer Geschäftsmann als Schiffseigner

Die Ladung stammt aus dem georgischen Schwarzmeerhafen Batumi. Ammoniumnitrat ist dort das drittwichtigste Umschlagprodukt. Das Schiff "Rhosus" gehört dem russischen Geschäftsmann Igor Gretschuschkin. Seine Firma Teto Shipping ist auf Zypern registriert. Er soll auch dort leben - nicht unüblich unter russischen Geschäftsleuten.

Doch Gretschuschkin hatte offenbar finanzielle Schwierigkeiten. "Der Kapitän hat mir damals sehr oft geschrieben", erzählt Ananina von der ITF. "Es gab Probleme mit der Nahrungsmittelversorgung, mit Wasser und damit, dass der Lohn von mehreren Monaten geschuldet wurde. Mir hat der Eigentümer nicht geantwortet. Am Anfang hat er dem Kapitän geantwortet, den dann aber ignoriert", sagt sie.

In einem Forum warnten andere Seeleute damals vor Teto Shipping. "Nur Verrückte gehen mit dieser Firma irgendeine Verbindung ein", schreibt einer dort. Unter einer zypriotischen Nummer des Geschäftsmanns erreichte das ARD-Studio Moskau niemanden.

"Rhosus" fährt unter moldauischer Flagge

Das Schiff "Rhosus" ist unter moldauischer Flagge registriert. Die Republik Moldau ist ein Land ohne Seegrenze, es gilt aber als sogenanntes Billigflaggenland. Diese Ausflaggung wird von Reedereien genutzt, um Kosten zu sparen. Meist geht es dabei um niedrige Steuern oder Gesetze, die wenig Schutz für Matrosen bieten.

Das Schiff befindet sich bis heute im Hafen von Beirut, die Ladung wurde in einem Lager untergebracht.

Mit Informationen von Katja Kusnezowa, ARD-Studio Moskau

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 05. August 2020 um 15:00 Uhr.