Ein aus Stroh gefertigtes "Z" auf einem Feld
Weltspiegel

Russland im Krieg Mitmachen oder schweigen

Stand: 08.01.2023 06:35 Uhr

Seit dem Überfall auf die Ukraine hat Russland sich abgeschottet, strenge Zensurgesetze erlassen. Wie die Menschen im Land dazu stehen, ist schwer zu erfassen. Begegnungen mit überzeugten Kriegsbefürwortern und verstummenden Kriegsgegnern.

Der überlebensgroße Buchstabe "Z" aus Stroh sticht auf dem Gelände von Roman Ponomarjows Bauernhof sofort ins Auge. Das "Z" ist in Russland ein Symbol der Unterstützung für Russlands Krieg gegen die Ukraine. Ponomarjow ist Ende 30, Landwirt und Putin-Unterstützer. In der Nähe von Stawropol im Süden Russlands hat er einen Hof mit einem kleinen Spielpark für Kinder.  

Bei der ersten Begegnung im Juni sagt er mit ruhiger Stimme, er sei "für die Spezialoperation, die unsere Regierung durchführt". Und er erläutert dann seine Meinung: "Wenn mein Nachbar auf seinem Grundstück eine Kanone aufstellt und sie auf mein Haus richtet, auf meine Familie - selbst wenn alle Nachbarn sagen würden, die Kanone schieße doch nicht, würde mir diese Situation nicht gefallen."

Keine Zweifel an "Spezialoperation"

Ponomarjow glaubt, die Ukraine sei eine Bedrohung für Russlands Sicherheit - zumindest jene Ukraine, die in den vergangenen Jahren entstanden ist. So erzählt es auch die russische Regierung und deren Staatspropaganda. "Wir halten die Ukraine nach wie vor für das Nachbarvolk, unser Brudervolk. Ich verstehe nicht, warum die Ukraine diesen Weg geht. Warum erreichen sie keine Einigung?"

Roman Ponomarjow ist typisch für sehr viele Russinnen und Russen auf dem Land. Eine große Mehrheit unterstützt hier üblicherweise Putin, findet seine Politik gut. Und trotz Berichten über getötete Soldaten hört man hier bei Gesprächen mit Besuchern auf seinem Hof keinerlei Zweifel an der "militärischen Spezialoperation", wie Russlands Krieg im Land immer noch genannt wird.

"Wir entwickeln uns in die richtige Richtung", sagt eine junge Mutter. "Wenn unser Präsident das Land in eine Richtung führt, dann ist das richtig", meint ein junger Mann mit Bart. 

Roman Ponomarjow, ein Mann mit gebräuntem Gesicht und rotem Basecap, schaut direkt in die Kamera.

Landwirt Roman Ponomarjow ist typisch für sehr viele Russinnen und Russen auf dem Land, wo eine große Mehrheit die Politik von Präsident Putin unterstützt.

Sanktionen spürt er nicht

Ponomarjow baut auf seinen Feldern Wassermelonen, Gurken, Erdbeeren und vieles mehr an. Vor ein paar Jahren entstand die Idee, einen Attraktionspark für Kinder zu bauen. Strohdrachen, eine Strohpyramide, Sandkästen für Kinder ohne Sand, dafür mit Mais und Weizen. Der "Wassermelonenhof Ponomarjow" ist beliebt in der Region und seine Erzeugnisse verkauften sich vor allem dieses Jahr gut, sagt Ponomarjow. "Wenn ein Land in eine schwierige Lage gerät, dann essen die Menschen mehr und legen mehr Vorräte an." 

Die westlichen Sanktionen spürt er nicht. Seine Traktoren sind überwiegend aus Belarus, die anderen landwirtschaftlichen Geräte aus Russland. Probleme mit der Lieferung von Ersatzteilen aus dem Westen, so wie manche seiner Kollegen das erleben, habe er nicht. 

"Verteidigen uns gegen Nazis"

Ende Juli ist Melonenernte. Der Landwirt geht von Feld zu Feld, schneidet einige Melonen auf, misst den Zuckergehalt. Danach entscheidet er, ob Melonen reif sind oder nicht. Einige Wassermelonen verschickt er kostenlos in die ukrainischen Gebiete Donezk und Luhansk, damals noch vor Russlands Annexion. Das sei sein Beitrag zum Erfolg der "Spezialoperation".

Ponomarjow erklärt es so: "Wir sind hier quasi im Hinterland und kümmern uns um unsere Angelegenheiten. Die Jungs dort verteidigen uns gegen Nazis, schützen uns vor äußeren Faktoren, die auf uns Einfluss haben könnten. Wir müssen helfen." Er glaubt die Erzählung des Kreml, in der Ukraine seien Nazis an der Macht. Mehrere seiner Mitarbeiter sind zum Kämpfen hingefahren. Mindestens einer sei mit leichten Verletzungen zurückgekommen, erzählt er.

Flaggen mit den Namen militärischer Einheiten auf dem Friedhof von Stawropol

Auf dem Friedhof von Stawropol reihen sich die Gräber von in der Ukraine gefallenen Soldaten aneinander. Darüber flattern Flaggen ihrer Einheiten.

Reihenweise Soldatengräber

Nur 40 Autominuten entfernt ein Bild des Kontrasts: Hier reihen sich auf dem Friedhof der Stadt Stawropol Gräber an Gräber. Dutzende russische Soldaten, getötet in der Ukraine. Flaggen ihrer Einheiten flattern im Wind. An Sonntagen kommen Angehörige zum Trauern hierhin. Dies sind die sichtbaren Zeichen, wie die "Spezialoperation" sich auch auf Russland auswirkt. Im Sommer ist es eine Reihe Gräber, im November sind es schon zwei Reihen. 

Doch an Ponomarjows Haltung hat dies nichts geändert. Er glaubt, dass durch die von Putin im September befohlene Teilmobilmachung der Zusammenhalt in der russischen Gesellschaft zugenommen habe.

Das russische Volk unterstützt ganz offensichtlich die Führung dieses Landes. Denn die sind Profis. Die wissen es besser als das einfache Volk, und sie machen es richtig.

Nach Demo Untersuchungshaft

Darja Heikinen, 18 Jahre alt und aus St. Petersburg, denkt da ganz anders. Sie hat direkt nach Kriegsbeginn auf den Straßen von St. Petersburg demonstriert. "Drei Mal wurde ich fast festgenommen. Es war unübersichtlich, angespannt. Viele Menschen, die wütend waren über das, was passiert ist. Viele Polizisten waren da."

Kurz danach bekam Heikinen Besuch von der Polizei. "Sie sind mit einem Durchsuchungsbefehl zu mir nach Hause gekommen. Zwei Stunden haben sie meine Wohnung durchsucht. Dann hat man mich aufs Revier gebracht. Ich kam zwei Tage in Untersuchungshaft."

Darja Heikinen kommt wieder frei. Sie hat eine kleine lokale Bewegung gegründet, um Missstände aufzudecken und die Opposition zu vereinigen. Anfang März ist sie noch optimistisch, dass die liberale Gesellschaft in Russland etwas bewegen kann - trotz der damaligen zahlreichen Gesetzesverschärfungen.

Darja Heikinen, eine junge Frau, schaut aus einem Fenster

Darja Heikinen aus St. Petersburg hatte im März noch Hoffnung für die liberale Zivilgesellschaft. Mittlerweile ist auch sie eingeschüchtert.

Die Einschüchterung funktioniert

"Mir ist wichtig zu sagen, dass es uns gibt, dass wir viele sind. Trotz allem", sagt Heikinen. "Für einen falsch formulierten Satz oder ein falsches Wort in sozialen Netzwerken kann man zehn Jahre Gefängnis kriegen. Es ist jetzt schwierig, etwas zu sagen. Aber ich bin sicher, dass die Zivilgesellschaft dennoch Wege findet, ihre Meinung kundzutun."

Im Sommer dann ein neues Treffen mit Heikinen. Sie hat zum einjährigen Jubiläum ihrer politischen Vereinigung geladen - doch es kommen kaum Besucher. Die russische Gesellschaft ist eingeschüchtert. Auch Darja Heikinen. Ihre Wohnungstür wurde von Unbekannten beschmiert.

Die Tür war komplett mit einer grünen Chemikalie übergossen. Und da lagen an mich adressierte Flugblätter, sehr persönlich, ich sei ein finnischer Nazi, weil ich einen finnischen Nachnamen habe. Da standen Drohungen: 'Warte, wir sind in der Nähe'.

Der Versuch, ein weiteres Treffen Ende des Jahres zu verabreden, scheitert. Sie hat den Kontakt abgebrochen. In ihren sozialen Medien gibt es kaum noch politische Inhalte. Womöglich ist auch für sie der Druck zu groß geworden. 

Russland, nach fast einem Jahr Krieg: mitmachen oder schweigen. Andere Möglichkeiten gibt es in Russland keine mehr. 

Die ausführliche Reportage zum Thema sehen Sie am Sonntag um 18:30 Uhr im Ersten in der Weltspiegel-Dokumentation "Russland im Krieg".

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das Erste am 8. Januar 2023 um 18:30 Uhr im "Weltspiegel".