Ein Mitglied einer Spezialeinheit der ukrainischen Armee, die Aufklärungsdrohnen einsetzt, überwacht auf dem Bildschirm die Positionen der russischen Streitkräfte, die die Starlink-Technologie an ungenannten Orten im ukrainischen Donbas einsetzen.

Ukraine Welche Rolle Künstliche Intelligenz im Krieg spielt

Stand: 21.08.2023 07:08 Uhr

Starlink, Palantir, Maxar: In der Ukraine helfen etliche Hightech-Firmen dem Militär. Wie groß ist der Einfluss von Hightech im Krieg - und gereicht er dem Land zum Vor- oder Nachteil?

Es ist ein Krieg der zwei Geschwindigkeiten, den die Bilder aus der Ukraine zeigen: Grabenkämpfe entlang der Front, Drohnenattacken und moderne Flugabwehrsysteme - und über allem ein Satellitennetz, mit dessen Hilfe aus dem ganzen Land in Echtzeit eine bislang einmalige Menge Daten in die Welt verbreitet werden. "Ich würde diesen Krieg beschreiben als einen sehr konventionellen Krieg, zum Teil mit fast archaischen Elementen wie Artillerieduellen, der allerdings überwölbt und durchdrungen ist von einer zusätzlichen Ebene von Hochtechnologie", sagt Frank Sauer von der Bundeswehr-Universität München. Dass die Ukraine schon anderthalb Jahre dem russischen Angriff standhalten kann, verdankt sie nicht nur ihrem Kampfgeist und der stetigen Lieferung konventioneller Waffen, sondern auch dem Einsatz moderner Technologie auf dem Schlachtfeld.

Schon wenige Tage nach Beginn der russischen Invasion half Tech-Milliardär Elon Musk, mit "Starlink" das Kommunikationsnetz der Ukraine aufrechtzuerhalten. Die Firma "Clearview AI" bot dem Land ihre Gesichtserkennungsdienste an, mit dem die Streitkräfte nun gefallene und gefangene russische Kämpfer identifizieren. Mit der KI-Software "Primer" gelang es ihnen, unverschlüsselte Telefongespräche russischer Kämpfer abzuhören und auszuwerten. Im April 2022 versetzten Satellitenbilder der Firma "Maxar" Beobachter in Aufruhr, weil sie mutmaßlich Massengräber am Stadtrand von Mariupol zeigen - und damit Rückschlüsse auf die Zustände in der damals noch belagerten Stadt zuließen. Anfang 2023 behauptete "Palantir"-CEO Alex Karp, die Software "Meta-Constellation" sei für den größten Teil der Zielerkennung und -auswahl in der Ukraine verantwortlich. Seine Firma wirbt seitdem offensiv mit "Skykit", einer Art Koffercomputer inklusive Quadcopter-Drohne und Satellitenschüssel, der tagelang ohne Anschluss ans Stromnetz einsetzbar sein soll.

Hightech löst nicht alle Probleme

Maschinelles Sehen, Spracherkennung, Geodaten-Analyse durch neuronale Netze: Alle genannten Dienste basieren auf Technologien, die dem Feld "Künstliche Intelligenz" zugeordnet werden können. Unbemannte Waffensysteme wie fliegende oder schwimmende Drohnen sind da vergleichsweise simple Kampfmittel - doch auch sie sind bei beiden Kriegsparteien massenhaft im Einsatz.

Die Ukraine sei "ein Labor, in dem die künftige Form der Kriegsführung geschaffen wird", drückt es ein Artikel im US-amerikanischen "National Defense Magazine" aus. Der Effekt ist für das Land bereits spürbar: Die "killchain", also der Ablauf einer Attacke vom Aufspüren bis zur Zerstörung eines Ziels wird durch den Einsatz von Targeting-Software erheblich verkürzt - ebenso die Zeit und Arbeitskraft, die zur Datenanalyse abgestellt werden muss. Auch beim Schutz der eigenen Streitkräfte spielt die Technik eine wichtige Rolle: Eine Quadcopter-Kameradrohne ist für wenige Hundert Euro zu haben und kann - wenn sie nicht abgeschossen wird - per Fernsteuerung das leisten, wofür analog eine Aufklärungstruppe geschickt werden müsste.

Der Angreifer Russland kann auf dieser Ebene bislang nicht mithalten. Militärexperte Sauer sieht "einen erheblichen Unterschied zwischen dem, was Russland medial in den vergangenen Jahren präsentiert hat und dem, was diese Systeme wirklich leisten. Man hat auch bislang keine dieser vermeintlichen Hightech-Wunderwaffen in der Ukraine gesehen. Mein Eindruck ist, dass da über den Prototypen-Status hinaus nicht viel passiert ist." Die relative Kostenersparnis durch Technikeinsatz aber macht sich auch Russland zunutze: Etwa durch den massenhaften Einsatz billig produzierter Shahed-Kamikazedrohnen, die dann von ukrainischen Kräften mit teuren Flugabwehr-Salven abgeschossen werden müssen.

Ohnehin gilt: Nicht immer löst die moderne Technologie das militärische Problem. "Sie können mit einer Drohne mit Infrarot-Sensor über ein Minenfeld fliegen - das machen Sie am Abend, wenn die Sonne den ganzen Tag geschienen hat und die Minen sich stärker erwärmt haben als das umliegende Erdreich. Dann können Sie jede einzelne Mine auf diesem Infrarotbild erkennen und das kartographieren", beschreibt Sauer. "Das ist toll, aber geräumt sind sie damit noch lange nicht. Dazu brauchen Sie Minenräum-Systeme - und für die ist es nicht auf den Zentimeter genau entscheidend, wo die Sprengkörper liegen."

Abhängigkeit von Tech-Unternehmen

Und noch ein weiterer Nachteil steckt in der relativen Abhängigkeit von Hochtechnologie: Sauer führt das Beispiel "Starlink" an, das für die Ukraine ein "game changer" gewesen sei. Mehrmals hatte Firmenchef Musk - scheinbar willkürlich - mit einer Einschränkung oder Beendigung des Diensts kokettiert, erhält sie aber bislang aufrecht.

Auch die anderen KI-Firmen sind in ihrer sogenannten "Unterstützung" der Ukraine völlig intransparent. Ob das Land dafür bezahlen muss oder die Software kostenlos bekommt, weil sie im Konflikt Daten und Erfahrungen für den Algorithmus zur Verfügung stellt, ist nicht öffentlich bekannt. "Das sind Unternehmen - und deren Ziel ist, ihre Produkte zu verkaufen", sagt Sauer. "Und ein Produkt, das man damit bewerben kann, dass man es so getestet und überarbeitet hat, verkauft sich auf der nächsten Waffenmesse besser."

Nicht nur deshalb betont die Ukraine inzwischen, dass sie auch selbst technikbasierte Kampfmittel entwickelt. Dabei kombiniert sie Hightech und Lowtech, bastelt zivile Bauteile und Militärgerät zusammen. Etwa präsentierte der Geheimdienst SBU jüngst mit "SeaBaby" eine schwimmende Drohne mit Hunderten Kilogramm Sprengstoff, die bei Angriffen auf die Brücke zur Krim und auf das russische Landungsschiff "Olenogorski Gornjak" entscheidend gewesen sein soll.

Noch längst kein "hyperwar"

Sauer betont, die Besonderheit liege hier nicht in einer außergewöhnlichen Fortschrittlichkeit, sondern daran, wie erfinderisch die ukrainischen Kräfte das zur Verfügung stehende Material und die Technik einsetzten. "Der Blick einer NATO-Streitkraft darauf wäre: 'So was brauchen wir gar nicht. Dafür haben wir Torpedos oder Seezielflugkörper'", sagt er. "Die Innovationsfähigkeit und die unfassbar kurzen Zyklen, in denen das entwickelt wird - das ist das wirklich Interessante, wovon wir uns eine Scheibe abschneiden können."

Die Chancen der Ukraine stehen in diesem Punkt nicht schlecht. Sicherheitsexpertin Ulrike Franke vom European Council on Foreign Relations (ECFR) schreibt, es sei wahrscheinlich, dass die Ukraine "ein ernstzunehmender Akteur im Drohnensektor" werde, wenn der Krieg einmal beendet sei. Die Ukrainer selbst verbreiten noch mehr Optimismus: Bis zum Kriegsende werden wir Software an Palantir verkaufen", zitierte die "Washington Post" Ende vergangenen Jahres eine Offizierin mit dem Pseudonym "Lesya".

In der Gegenwart ist der Konflikt von einem "hyperwar", wie US-Marinegeneral a.D. John Allen und KI-Unternehmer Amir Husain einen hypothetischen Krieg der Maschinen fast ohne menschliche Mitwirkung nennen, jedenfalls noch weit entfernt.